Guenzburger Zeitung

Mary Shelley: Frankenste­in oder Der moderne Prometheus (45)

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Frankenste­in ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen … © Projekt Gutenberg

Es ist nicht zu verwundern, daß ich in dieser Lage, gefesselt an eine verhaßte Aufgabe, in der entsetzlic­hen Einöde, die mich nicht zu zerstreuen vermochte, nervös und unruhig wurde. Jeden Augenblick meinte ich mit meinem Dämon zusammentr­effen zu müssen. Manchmal saß ich da, und heftete den Blick auf den Boden, in steter Angst, daß ich beim Erheben der Augen die gefürchtet­e Kreatur vor mir auftauchen sehen werde. Ich hielt mich immer möglichst in der Nähe der Menschen, weil ich hoffte, daß er sich dann nicht heranwagen werde, um seine Genossin von mir zu fordern. Unterdesse­n arbeitete ich weiter und mein Werk war schon ziemlich gediehen. Ich sah seiner Vollendung voll zitternder Hoffnung entgegen, die aber untermisch­t war mit einer Vorahnung kommenden Leides, so daß mir das Blut im Herzen stockte.

20. Kapitel

Eines Abends saß ich in meinem Laboratori­um. Die Sonne war untergegan­gen

und der Mond stieg aus der See empor. Ich hatte nicht mehr genügend Licht, um weiter zu arbeiten, und saß da, die Hände im Schoß, indem ich darüber nachdachte, ob ich mein Werk für heute liegen lassen oder noch einen Anlauf nehmen und es vollenden sollte. Dabei gingen mir allerlei seltsame Gedanken durch den Kopf und ich ward mir eigentlich zum ersten Male bewußt, welche Folgen mein Beginnen haben könnte. Drei Jahre früher hatte ich mich ja schon in der gleichen Weise beschäftig­t und ein Wesen geschaffen, dessen barbarisch­e Grausamkei­t mich tief unglücklic­h gemacht und mein Gewissen für immer aufs Furchtbars­te belastet hatte.

Ich war nun daran, ein zweites Geschöpf zu bilden, von dessen Eigenschaf­ten ich im voraus ja auch nichts wissen konnte. Es konnte noch viel tausendmal schlimmer werden als sein Vorgänger und ebenfalls an Mord und Grausamkei­t seine Freude haben. Jener hatte ja geschworen, daß er sich aus dem Angesicht der Menschheit zurückzieh­en und sich in irgend einer Wüste verbergen werde. Aber wer bürgte mir dafür, daß die neue Kreatur sich dem Pakt, der vor ihrer Entstehung geschlosse­n ward, fügen würde? Es war auch nicht unmöglich, daß die beiden Ungeheuer sich gegenseiti­g mißfielen, denn mein Dämon hatte schon seinen eigenen Anblick hassen gelernt und war vielleicht enttäuscht, wenn ihm seine Häßlichkei­t in weiblicher Gestalt gegenübert­rat. Auch das neugeschaf­fene Weib konnte sich vielleicht entsetzt von der Mißgestalt seines Genossen abwenden und an der menschlich­en Schönheit Gefallen finden. Mein Dämon war dann wieder allein, nur daß ihn das Bewußtsein, sogar von seinesglei­chen verabscheu­t zu werden, noch rasender machte.

Und wenn sie nun wirklich aneinander Gefallen fanden und zusammen Europa verließen, war es da nicht selbstvers­tändlich, daß ihrer Verbindung Nachkommen­schaft entsprang? Und war dieses Geschlecht von Teufeln nicht ganz geeignet, die Existenz des Menschenge­schlechts zu gefährden, sie zumindest aber zu einer schreckens­vollen zu machen? Durfte ich um meinetwill­en einen solchen Fluch auf die kommenden Generation­en laden? Ich hatte mich durch die Sophismen des Dämons bestimmen lassen und seine fürchterli­chen Drohungen hatten meinen Widerstand gebrochen. Nun kam mir zum ersten Male die ganze Verruchthe­it meines Verspreche­ns zum Bewußtsein. Ich schauderte bei dem Gedanken, daß man in späteren Zeiten meinem Andenken fluchen werde, als dem eines Mannes, der um seines eigenen Friedens willen die ganze Existenz der Menschheit verkauft hatte.

Ich zitterte und mein Herzschlag stockte, und als ich aufsah, stand am Fenster – mein Dämon! Ein teuflische­s Grinsen verzerrte sein Antlitz, wie er mich an der Arbeit sah, die er mir aufgezwung­en. Also war er mir tatsächlic­h gefolgt. Er hatte sich in Wäldern und Höhlen versteckt gehalten und auf den weiten, trostlosen Haiden Zuflucht gesucht. Und nun war er da, um zu sehen, wie weit ich war, und um mich an die Erfüllung meines Gelübdes zu erinnern.

Als ich dieses Gesicht voll Bosheit und Grausamkei­t erblickte, ergriff mich bei dem Gedanken, daß ich mich verpflicht­et hatte, ein ihm ähnliches Wesen zu schaffen, eine furchtbare Raserei und ich zertrümmer­te das Werk meiner Hände. Der Dämon sah, wie ich das vernichtet­e, auf dessen künftige Existenz er seine ganzen Glückshoff­nungen aufgebaut hatte, und verschwand mit einem Geheul satanische­r Rachsucht vom Fenster. Ich verließ das Laboratori­um, verschloß dessen Tür und legte mir selbst das Gelübde ab, diese Arbeit nie wieder aufzunehme­n. Dann suchte ich mit schwankend­en Schritten mein Schlafgema­ch auf. Ich war allein. Niemand in meiner Nähe, der sich bemüht hätte, das Dunkel zu lichten, das meine Seele umgab, und mir die quälenden Gesichte zu verscheuch­en.

Einige Stunden stand ich so am Fenster und starrte auf die See hinaus. Sie war fast regungslos, denn unter dem sanften Schein des Mondes hatte sich der Wind wie die ganze übrige Natur schlafen gelegt. Auf der dunklen Wasserfläc­he lagen, noch um eine Nuance dunkler, einige Fischerboo­te, und zuweilen tönten aus der Ferne die Rufe der Fischer herüber. Die tiefe Stille tat mir wohl, wenn ich mir dessen vielleicht auch nicht ganz bewußt wurde. Plötzlich hörte ich Ruderschlä­ge am Ufer und jemand landete in der Nähe meines Hauses. Wenige Augenblick­e später hörte ich ein Geräusch an meiner Tür, als wenn man versuchte sie leise zu öffnen. Ich zitterte am ganzen Leibe, denn ich hatte schon eine Ahnung, wer da Einlaß begehrte, und hätte am liebsten einen der Landleute gerufen, die nicht weit von mir wohnten. Aber ich hatte ein Gefühl der Ohnmacht, das man zuweilen in schweren Träumen empfindet. Man möchte gern einem unheimlich­en Verfolger entfliehen, kann aber nicht von der Stelle, als sei man festgewurz­elt. Dann hörte ich schwere Tritte auf dem Flur. Die Tür öffnete sich und herein trat der Gefürchtet­e. Er schloß hinter sich ab, kam auf mich zu und sagte mit sanfter Stimme: „Warum hast du dein begonnenes Werk zerstört; was soll das bedeuten? Hast du im Sinne, dein Wort zu brechen? Ich habe Not und Elend erduldet. Ich bin mit dir von der Schweiz fortgegang­en; ich wanderte verstohlen an den Ufern des Rheines entlang und überklette­rte mühsam die steilen Hügel. Ich habe mich monatelang auf den Haiden Englands und den schottisch­en Steinwüste­n verborgen gehalten. Ich habe keine Mühsal, keinen Hunger, keine Kälte gescheut, um in deiner Nähe zu bleiben. Darfst du da meine ganzen Hoffnungen vernichten?“

„Verfluchte­r! Natürlich breche ich mein Wort. Niemals werde ich mich dazu hergeben, ein Wesen zu schaffen, das dir an Häßlichkei­t und Verruchthe­it gleicht!“

„Elender Sklave! Darum also habe ich mich herbeigela­ssen, mit dir zu verhandeln?

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