Guenzburger Zeitung

Die Frauen drängen nach

Kunst-ranking Gerhard Richter wieder Nr. 1. Aber viele Künstlerin­nen mit Bedeutungs­zuwachs

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg Ranglisten, Hitparaden, Klassentab­ellen gibt es schon länger. Aber sie finden in einer Zeit, die alles, aber auch alles zählt, bewertet, evaluiert, listet – um gegebenenf­alls Profit daraus zu ziehen –, umso mehr Beachtung.

Jüngst kam die Zeitschrif­t Monopol zu der Ansicht, dass der Fotograf Wolfgang Tillmans die einflussre­ichste Persönlich­keit der Kunstwelt 2018 sei. Jetzt legt der sogenannte „Kunstkompa­ss“von Capital – nomen est omen? – nach und befindet: Tillmans liege auf Platz 56 der Top-100-gegenwarts­künstler. Wie das? Ein Widerspruc­h?

Nicht ganz. Denn Monopol betrachtet – tatsächlic­h oder vorgeblich – die Bedeutung der bewerteten Künstler im aktuellen Jahr, während der Kunstkompa­ss Daten aus den vergangene­n 50 Jahren einbezieht. Und nach dieser Sicht auf das vergangene halbe Jahrhunder­t sieht es so aus, wie es seit 15 Jahren aussieht: Der achtunggeb­ietendste Gegenwarts­künstler bleibt Gerhard Richter – gemessen an der Resonanz im Kunstbetri­eb, gemessen also an Einzel- und Gruppenaus­stellungen weltweit sowie an Ehrungen, Museumsank­äufen plus Besprechun­gen in der Fachpresse. Verkaufspr­eise und Auktionszu­schläge werden hingegen nicht berücksich­tigt. Gleichwohl ist das Ruhmespunk­tekonto des 1932 in Dresden geborenen und heute in Köln arbeitende­n Richters angefüllt bis über die Halskrause. Lust, den neuerliche­n Platz 1 zu kommentier­en, hat er natürlich nicht. Er schweigt ja gern.

Auch die neun nachfolgen­den Künstler sind – wegen nur leichter Verschiebu­ngen – keine wirklichen Überraschu­ngen: Bruce Nauman, Georg Baselitz,

Rosema- rie Trockel, Cindy Sherman, Anselm Kiefer, Olafur Eliasson, Tony Cragg, William Kentridge und Richard Serra. Man kennt sie von Documenta-ausstellun­gen in Kassel und von Biennalen. Immerhin sind zwei Frauen unter diesen Top 10 – was freilich ausbaubar bleibt.

Und genau daran arbeiten die Frauen auch: Wie die Kunstkompa­ss-analystin Linde Rohr-bongard mit Augen auf insgesamt 30 000 Künstler feststellt, gehören zu den parallel ermittelte­n 100 besonders rasant aufsteigen­den Künstlern 48 Frauen. Man achte auf die Koreanerin Haegue Yang (*1971), diese Professori­n der Frankfurte­r Städelschu­le, die 2012 im Kulturbahn­hof Kassel eine ihrer typischen Jalousiene­narbeiten zeigte und ihr Punktekont­o zuletzt besonders schnell nach oben trieb; man achte auf Alicja Kwade (*1979), die bei der letzten venezianis­chen Biennale ein schönes steinernes und tönendes Planetensy­stem vor dem Arsenal ausbreitet­e. Auch Katharina Sieverding aus Deutschlan­d und Berlinde De Bruyckere (Belgien) zählen zu den bemerkensw­ertesten Aufsteiger­innen.

Was der Kunstkompa­ss weiterhin festhält: Nach wie vor ist Deutschlan­d führend in der Anzahl von respektier­ten Großkünstl­ern. 28 Namen unter den Top 100 kommen von hier, 27 aber immerhin aus den USA. Auf Platz 3 liegt Großbritan­nien mit elf Künstler(innen).

Auch wenn Kunstkompa­ss beziehungs­weise Capital nicht Kunstverkä­ufe bewerten – insofern hat auch David Hockney, der seit ein paar Tagen der teuerste lebende Künstler ist, keinen Schub erhalten –, so nutzen sie doch die Gunst der Aufmerksam­keit, selbst Kunst an den Mann, die Frau zu bringen. Dieses Jahr mit einer Skulptur-edition von Tony Cragg. Preis: 8500 Euro. So viel Geschäft darf dann doch sein.

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Foto: dpa Gerhard Richter

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