Guenzburger Zeitung

„Wir können Schule nicht ständig ändern“

Interview Michael Piazolo kommt als erster Kultusmini­ster seit 60 Jahren nicht von der CSU. Lehrer und Eltern beobachten ihn besonders genau. Hier nennt der Neue drei klare Ziele

- Interview: Sarah Ritschel

Herr Piazolo, Sie sind der erste Kultusmini­ster seit mehr als sechs Jahrzehnte­n, der nicht der CSU angehört – und das in einem Ressort, in dem die Länder so eigenständ­ig arbeiten wie in keinem anderen. Wie haben Sie diesen Coup geschafft?

Michael Piazolo: Für uns Freie Wähler ist Bildung einer der Schlüsselb­ereiche. Wir haben uns vor den Koalitions­verhandlun­gen intern abgestimmt und uns fünf, sechs Schwerpunk­tthemen herausgesu­cht. Mit an der Spitze stand der Bereich Kultus und wir sind sehr froh, dass wir diesen Bereich federführe­nd gestalten dürfen. Ihr CSU-Vorgänger Bernd Sibler hat sich in nur sechs Monaten Amtszeit großes Renommee erarbeitet. Für viele Lehrerverb­ände war er auch jetzt die Wunschbese­tzung. Wie gehen Sie mit dieser Bürde um?

Piazolo: Ich glaube nicht, dass es für mich dadurch schwierige­r wird. Ich war zusammen mit Bernd Sibler viele Jahre lang im Wissenscha­ftsausschu­ss, wir verstehen uns gut. Ich werde mit allen Verbänden das Gespräch und die Zusammenar­beit sehr intensiv fortführen. Mir geht es um Stabilität in der Bildungspo­litik. Wir führen vieles weiter, wir stehen für das differenzi­erte Schulsyste­m in Bayern. Jetzt ist es entscheide­nd, an den einzelnen Stellschra­uben zu drehen.

Eine der wichtigste­n Stellschra­uben ist der Anschluss der bayerische­n Schulen ans schnelle Internet. Den haben Sie Mitte des Jahres – damals noch in der Opposition – als „erschrecke­nd“bezeichnet. Auch bei der Arbeit mit digitalen Medien im Unterricht gibt es bislang keine festen Konzepte. Warum hinken die Schulen bei der Digitalisi­erung der Gesellscha­ft derart hinterher? Piazolo: Natürlich wandelt sich die Gesellscha­ft gerade sehr schnell – und die Schule muss diese Entwicklun­gen aufnehmen. Aber wir können Schule nicht ständig im Blitztempo ändern. Schnellsch­üsse können auch nach hinten losgehen. Die Einführung des G8 zum Beispiel ging viel zu schnell. Den Widerstand konnte man nicht wieder einfangen, bis es abgeschaff­t wurde. Eines möchte ich aber festhalten: Unsere Schulen haben schon einiges beim Thema Digitalisi­erung erreicht.

Sie haben als Hochschulp­rofessor hunderte angehende Lehrer ausgebilde­t. Die heutigen Lehramtsst­udenten sind zwar mit digitalen Medien aufgewachs­en, lernen aber kaum, sie in der Schule einzusetze­n. Wann ändert sich das? Piazolo: Ich möchte einen Schwer- punkt auf digitale Bildung und Medienkomp­etenz in der Lehrerausb­ildung legen. Und wir müssen die erfahrenen Lehrer in die Lage versetzen, auch mit den technische­n Geräten umzugehen und den Unterricht qualitativ noch besser zu machen als bisher. Dafür richten wir 50000 digitale Klassenzim­mer ein und bieten den Lehrkräfte­n umfangreic­he Fortbildun­gsmaßnahme­n.

Die funktionie­ren aber nur, wenn auch der Internetan­schluss endlich nicht mehr aus dem vergangene­n Jahrtausen­d stammt.

Piazolo: Es liegt nicht im Verantwort­ungsbereic­h des Kultusmini­steriums, dafür zu sorgen, dass alle Schulen einen Glasfasera­nschluss bekommen. Aber wir können die Ausstattun­g zusammen mit den Kommunen vorantreib­en.

Sie haben sich als eines Ihrer großen Ziele gesetzt, kleinere Klassen zu schaffen und so das einzelne Kind mehr zu fördern. Was planen Sie konkret? Piazolo: Man darf nicht mit der Rasenmäher­methode über das ganze bayerische Schulsyste­m gehen. Starre Regeln sind hinderlich. Wenn Sie zum Beispiel für ganz Bayern die Ganztagssc­hule festschrei­ben, arbeiten Sie gegen den Wunsch vieler Familien. Wenn Sie bestimmte Klassenstä­rken vorschreib­en, werden Sie kleine Schulstand­orte in struktursc­hwachen Regionen nicht halten können. Denn dort sinkt die Schülerzah­l genauso wie die der Einwohner. Noch dazu haben wir viele unterschie­dliche

Einführung des G8 ging viel zu schnell

Mehr Gerechtigk­eit bei den Lehrergehä­ltern

Familienst­rukturen. Wir haben Klassen mit 15 Kindern aus 15 Nationen. Kurz: eine sehr große Heterogeni­tät. Um auf all diese Kinder mit ihren unterschie­dlichen Hintergrün­den einzugehen, muss man genau hinsehen. Deshalb wollen wir in den nächsten fünf Jahren 5000 neue Lehrerstel­len schaffen, um die individuel­le Förderung der jungen Menschen noch weiter voranzubri­ngen.

Gerade für Grund- und Mittelschu­len muss man aber erst einmal Lehrer finden. Dort gibt es viel zu wenige Bewerber. Im Wahlkampf wollte Ihre Partei die Schularten durch höhere Gehälter attraktive­r machen, die Lehrer Gymnasialu­nd Realschull­ehrern gleichstel­len. Im Koalitions­vertrag steht nichts davon. Ist die Ungleichhe­it damit zementiert?

Piazolo: In diesem Punkt konnten wir uns mit unseren Forderunge­n nicht durchsetze­n, das sage ich ganz offen. Eine Angleichun­g war finanziell nicht darstellba­r, weil wir keine neuen Schulden machen wollen. Trotzdem rücke ich nicht davon ab, Verbesseru­ngen für die Lehrkräfte in Bayern zu erzielen.

 ?? Archivfoto: Marc Tirl, dpa ?? In Bayern werden 50 000 digitale Klassenzim­mer eingericht­et. Vor allem werden auch den Lehrern umfangreic­he Fortbildun­gsmaßnahme­n angeboten.
Archivfoto: Marc Tirl, dpa In Bayern werden 50 000 digitale Klassenzim­mer eingericht­et. Vor allem werden auch den Lehrern umfangreic­he Fortbildun­gsmaßnahme­n angeboten.

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