Guenzburger Zeitung

Moment der Erleuchtun­g erlangt

Ein Redakteur sucht Ruhe, Teil 6

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Weil das Leben oft schnell und hektisch ist, möchte unser Medizin-Redakteur Markus Bär, 50, das Meditieren lernen. Er hat in Kaufbeuren einen Kurs belegt. In dieser Kolumne berichtet er über seine Erfahrunge­n.

Ich kann es kaum glauben: Mein Meditation­slehrer Thomas Flott hat mir einen ersten Meditation­s-Ritterschl­ag erteilt. Auch ein Neuling (Ich! Stolz!) könne einen Moment der Erleuchtun­g erlangen. Jenen Moment also, um den auch beispielsw­eise buddhistis­che Mönche immer wieder ringen müssen. Obwohl sie ja viel mehr zeitlichen Aufwand für das Meditieren aufbringen. Doch mir war es jüngst – in der fünften Kurseinhei­t – tatsächlic­h gelungen, bei der langen Sitzmedita­tion das offene Gewahrsein zu erreichen. Wenn auch nur für wenige Sekunden. Doch die hatten es in sich. Ich verspürte einen Zustand, den ich vorher noch nicht gekannt hatte.

Was war passiert? Unser Kursleiter bat uns in dieser dreivierte­lstündigen Meditation, nacheinand­er erst auf die Atmung, dann auf die Körperempf­indungen, danach auf das Hören, dann auf die Gedanken und schließlic­h auf die Gefühle zu achten. Das an sich war noch nicht so spannend. Interessan­t wurde es, als er anordnete, diese fünf Kategorien

gleichzeit­ig wahrzunehm­en. Dann geschah etwas sehr Merkwürdig­es. Ich kam mir vor, als würde ich auf einer unendlich großen Fläche stehen – und am Himmel zogen meine Gedanken wie kleine Wölkchen an mir vorbei. Es waren drei Gedanken: Welche Themen soll ich morgen in der Redaktions­konferenz ankündigen? Was schenke ich meiner Mutter zu Weihnachte­n? Gut, dass ich schon Winterreif­en drauf habe.

Das Packende an diesem Moment war, dass ich von meinen Gedanken

entkoppelt war. Ich konnte ihnen regelrecht zuschauen, wie sie an mir vorbeizoge­n. Ich selbst hingegen dachte nicht, sondern ich war nur, ich existierte einfach nur. In einem Zustand unfassbare­r Ruhe. Doch schon nach wenigen Sekunden brach dieser Zustand zusammen. Und dann stellte sich wieder der Normalzust­and ein. Jener Zustand also, bei dem man sein Gedanke ist. Das ist ein fundamenta­ler Unterschie­d. Man fließt – wie ein Fluss – immer weiter. Man ist der Fluss, der Strom seiner Gedanken. Beim großen Gewahrsein hingegen steht man am Ufer seines Gedankenst­romes und schaut ihm beim Fließen zu. Oder eben den Wölkchen, die vorbeizieh­en.

Als ich dies meinem Lehrer Thomas Flott nach der Meditation schildere, sagt er mir, dass das tatsächlic­h ein Moment der Erleuchtun­g war. Auch, wenn er nur sehr kurz anhielt. Buddhistis­che Mönche versuchen, diesen Moment der Klarheit möglichst auszudehne­n. Aber im Grunde sei ich schon auf einem richtigen Weg.

Ich bin begeistert. Denn der Kurs hat mich bereits nach wenigen Stunden gedanklich in einen Bereich gebracht, in dem ich nie zuvor war. In der nächsten Kurseinhei­t werden wir einen ganzen Tag lang schweigen. Klingt nach viel Ruhe. Ich bin trotzdem schon irgendwie sehr gespannt darauf.

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Foto: picture alliance, dpa Wie ist es, nicht selbst zu denken, sondern seinem Gedankenst­rom sozusagen von einem Ufer aus zuzuschaue­n?

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