Egenhofer wehren sich gegen „Luxusausbau“
Projekt Die Gemeinde Kammeltal versucht seit zwei Jahren, die Dorfstraße zu sanieren. Die Anlieger fürchten um ihre Existenzen, sollten die Beiträge auf sie umgewälzt werden. Was sie der Verwaltung und dem Bürgermeister vorwerfen
Kammeltal/Egenhofen Die vielen Plakate in Egenhofen sind nicht zu übersehen. An einigen Gartenzäunen prangt auf mehreren Metern Länge in knallroter Schrift „Straße saniert – Existenz ruiniert“oder „Straßenausbau auf unsere Kosten – nicht mit uns“. Ein ähnliches Schild halten an diesem kalten Vormittag mehr als 30 Anlieger in die Höhe. Unter der Dorflinde haben sie sich versammelt und verschaffen ihrem Unmut Luft. Seit zwei Jahren versucht die Gemeinde Kammeltal, die Dorfstraße auszubauen. Seit zwei Jahren kämpfen die Anlieger dagegen, haben Unterschriften gesammelt, einen Anwalt eingeschaltet. Denn sollte das Projekt in die Tat umgesetzt werden, würden auf die Betroffenen massive Ausbaubeiträge zukommen. Sie wären so hoch, dass sich viele in ihrer Existenz bedroht fühlen. „Wir brauchen und wollen keinen Luxusausbau“, sagt Sandra Rotondo im Namen der Betroffenen. Der Gemeinde, insbesondere dem Bürgermeister, wirft sie vor: „Es will uns keiner zuhören.“
An der kleinen Verkehrsinsel im Zentrum des 100-Einwohner-Ortsteils von Kammeltal geht es an diesem Tag zu wie in einem Wespennest. Fast ein Drittel der Einwohner steht hier beisammen und diskutiert laut und gestenreich über das Dauerthema. „Das ist ein richtiges Pulverfass“, sagt Sandra Rotondo. Wenn es um den Straßenausbau geht, prallen zwei unterschiedliche Meinungen aufeinander.
Aus Sicht der Verwaltung muss die Dorfstraße dringend und so bald wie möglich ausgebaut werden. Zwar besteht die Straße seit Jahrzehnten, sie sei aber nur staubfrei gebaut. Bei einer drei Zentimeter dicken Deckschicht könne nicht von einer gut ausgebauten Straße die Rede sein, teilte Bürgermeister Matthias Kiermasz jüngst auf der Bürgerversammlung mit. Die Straße müsse erweitert und gepflastert werden und es brauche breite Gehwege.
Da es sich um eine erstmalige endgültige Herstellung handle, sei die Gemeinde verpflichtet, Gebühren zu erheben. Was bedeuten würde, dass 90 Prozent der umlagefähigen Kosten den Anliegern in Rechnung gestellt würden. 2,2 Millionen Euro hat die Gemeinde für den Ausbau und die Kanalsanierung einkalkuliert, etwa 1,2 Millionen Euro müssten die Egenhofer stemmen. Insbesondere für solche mit großen Grundstücken könnten da leicht fünfstellige Beträge zusammenkommen.
Sicht der Betroffenen ein Ding der Unmöglichkeit, es wird unverhohlen von einer „Frechheit“gesprochen. „Hier geht es nicht um kleine Summen, hier geht es um Existenzen. Da wird das halbe Dorf ausgerottet“, wählt Andreas Eisenlohr drastische Worte. Viele Anwohner seien einfache Leute, Rentner, sie hätten einst alte Häuser gekauft, müssten ihre Schulden noch abbezahlen. Im Extremfall müssten sie ihre Anwesen verkaufen, für Ralf Göderts fühlt sich das an „wie eine Zwangsenteignung“.
Dass es sich um einen Erstausbau handeln soll, kann keiner der Anlieger nachvollziehen. Es handle sich um eine historische Straße, die vor dem Bau der Umfahrung eine Hauptverkehrsachse gewesen sei. In den 60er-Jahren wurde sie asphaltiert. Edwin Hummel, der 1965 sein
Haus in Egenhofen bauen wollte, kann sich noch genau daran erinnern, was ihm der damalige Bürgermeister mit auf den Weg gab: Er müsse selbst für Wasser und Kanal aufkommen, dürfe aber bloß nicht die neue Straße aufreißen. Hummel habe alles auf seine Kosten gemacht und ein Vierteljahr später die Rechnung präsentiert bekommen. Nach einem Gemeinderatsbeschluss sollte er für die Straßenerschließung 1000 Mark bezahlen, er konnte dies in zehn Raten begleichen. Die anderen Bauern hätten ihren Anteil mit Frondienst abgeleistet. Der heute 79-Jährige betont: „Eine Überprüfung der alten Kassenbücher müsste möglich sein.“
Dass die Anwohner damals ihren Beitrag geleistet haben und die Nachkommen und jetzigen Bewohner nun ein zweites Mal zahlen solAus
len, stößt auf völliges Unverständnis. Zumal keiner eine neue Straße will. Hummel spricht von einem „Schildbürgerstreich“, Sandra Rotondo sagt: „In so einem kleinen Dorf brauchen wir keinen gewaltigen Ausbau, schon gleich gar nicht für das Geld.“Sie wirft der Verwaltung vor, die Bürger vor vollendete Tatsachen gestellt zu haben, „wir wurden mit fertigen Plänen überrumpelt“. Die Anlieger mit ihren Wünschen und Vorschlägen hätten kein Gehör gefunden, „da kommt man sich übergangen vor“. Brigitte Göggelmann findet sogar: „Die Verwaltung arbeitet gegen ein ganzes Dorf.“
In Rotondos Augen besteht kein Anlass, die Straße ausgerechnet jetzt auszubauen. Sie habe 60 Jahre überdauert, und halte es noch länger aus, wenn wie bisher Dutzende Laster und Traktoren täglich darüber rumpeln. Sie und die anderen Anlieger fragen sich, warum die Gemeinde ausgerechnet jetzt loslegen will, wo doch andere Projekte wie der Kindergarten viel dringender angegangen werden müssten. In anderen Kommunen werde der Straßenausbau zurückgestellt, warum werde er in Egenhofen forciert?
Brigitte Göggelmann spricht aus, was viele Bewohner Egenhofens denken. Sie fürchtet, dass die Gemeinde noch vor 2021 fertig werden will, bevor die Straßenausbaubeiträge endgültig abgeschafft werden. „Dann bleibt nämlich alles an ihr hängen.“Ihrer Meinung nach sollte der im Gemeinderat gefasste Beschluss zurückgenommen oder auf Eis gelegt werden, bis die Sache mit den Ausbaubeiträgen eindeutig geklärt ist.