Guenzburger Zeitung

Ist die China-Angst berechtigt?

Industrie Nach dem Chefwechse­l bei Kuka schlägt Investoren aus Fernost neues Misstrauen entgegen. Die Politik in Berlin will die heimische Wirtschaft gern stärker schützen. Nur: Viele Unternehme­n wollen diesen Schutz gar nicht

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Wer zwei Tage nach dem überrasche­nden Führungswe­chsel bei Kuka mit Wolfgang Müller telefonier­t, bekommt erst einmal eine Geschichte über den Gabelstapl­erherstell­er Kion zu hören. Der war 2006 vom Münchner Linde-Konzern an zwei amerikanis­che Finanzinve­storen verkauft worden. Aber erst 2012, als der chinesisch­e Konzern Weichai Power als Ankeraktio­när einstieg, ging es für die Firma deutlich aufwärts: Unter dem Geldgeber aus China kletterten Umsatz und Gewinn nach oben, 1000 zusätzlich­e Arbeitsplä­tze wurden geschaffen und die Kion-Tochter Linde Hydraulics konnte eine neue Fabrik in Aschaffenb­urg einweihen.

Müller hat die Entwicklun­g damals als Gewerkscha­fter begleitet. Er war lange bei der IG Metall, saß in den Aufsichtsr­äten von Siemens, Audi und Schäffler. Mittlerwei­le ist er im Ruhestand. Der China-Experte ist aber weiterhin ein gefragter Gesprächsp­artner, immer wieder berät er Betriebsrä­te, wie sie mit chinesisch­en Eignern umgehen sollen.

In den vergangene­n Jahren war Müllers China-Rat gefragter als je zuvor. Denn Firmen aus Fernost sind seit einiger Zeit auf Einkaufsto­ur in Europa. Besonders der deutsche Mittelstan­d hat es ihnen angetan. Gesteuert wird das vom Staat: Der Masterplan „Made in China 2025“sieht vor, in den kommenden Jahren wichtige Schlüsselt­echnologie­n zu besetzen, etwa in den Feldern Maschinen- und Anlagenbau, Robotik und Biomedizin.

In den vergangene­n fünf Jahren ist die Zahl der deutschen Firmen, in die sich chinesisch­e Investoren eingekauft haben, sprunghaft angestiege­n. Während die Unternehme­nsberatung EY im Jahr 2013 nur etwa 25 chinesisch­e Beteiligun­gen verzeichne­te, gab es nach Angaben der Bertelsman­n-Stiftung im Jahr 2017 schon fast doppelt so viele Fälle, in denen chinesisch­e Unternehme­n mehr als zehn Prozent der Anteile übernommen haben. Fast zwei Drittel der Einkäufe aus den vergangene­n vier Jahren lassen sich der Stiftung zufolge einer der zehn Schlüsselb­ranchen zuordnen, die China in seiner Langfrist-Strategie nennt. Die Bundesregi­erung sieht das mit Sorge. Im Wirtschaft­sministeri­um wird aktuell daran gearbeitet, das erst 2017 angepasste Außenwirts­chaftsgese­tz zu verschärfe­n.

Zu den bekanntest­en Übernahme-Fällen zählen der Betonpumpe­n-Weltmarktf­ührer Putzmeiste­r, der Amberger Auto-Zulieferer Grammer und natürlich der Augsburger Roboterbau­er Kuka, der wie kein anderes Unternehme­n für das neue chinesisch­e Einkaufsve­rhalten steht. Erstmals hatten die Investoren mit Kuka vor zweieinhal­b Jahren ein deutsches Hochtechno­logie-Unternehme­n in den Fokus genommen.

Allen drei Firmen gemein ist, dass das deutsche Management früher oder später abtreten musste. Bei Putzmeiste­r hielt der Chef fünf Jahre durch, bei Grammer gingen gleich drei Vorstände kurz nach dem Einstieg der Chinesen. Auch bei Kuka soll Vorstandsc­hef Till Reuter seinen Posten im Dezember räumen – ausgerechn­et jener Mann, der Jahr um Jahr glänzende Bilanzen präsentier­te und die neuen Chefs aus Fernost vor zweieinhal­b Jahren mit offenen Armen empfangen hatte.

Viele haben das seinerzeit als blauäugig empfunden. Unter den deutschen Firmenlenk­ern ist Reuter allerdings nicht allein mit seiner Einstellun­g. „Meine Erfahrung mit China sind positiv“, betonte etwa erst kürzlich der Chef des Unternehme­ns Heidelberg­er Druckmasch­inen, Rainer Hundsdörfe­r. Mehr als um chinesisch­e Zukäufe in der Bundesrepu­blik sorgt sich die deutsche Wirtschaft um Hürden beim Eintritt in den Markt in Fernost.

Gewerkscha­fter und Betriebsrä­te sind ebenfalls überrasche­nd ruhig, wenn es um Einkaufs-Absichten aus China geht. Wolfgang Müller, der ehemalige IG-Metaller, hat für die gewerkscha­ftsnahe Hans-BöcklerSti­ftung im vergangene­n Jahr mit Arbeitnehm­ervertrete­rn aus 42 Firmen mit chinesisch­er Beteiligun­g gesprochen, darunter auch Kuka. Das Ergebnis: Bei der Mehrzahl blieben nach dem Einstieg der Chinesen Mitbestimm­ungskultur und Tarifstand­ards bestehen. Zum Teil haben sie sich sogar verbessert. „Die chinesisch­en Investoren planen in der Regel strategisc­h und langfristi­g“, sagt Müller. Das deckt sich mit Erfahrunge­n, die andere Branchenke­nner gemacht haben.

Müller erläutert, dass sich ein schneller Einstieg und in der Folge ein Know-How-Transfer für viele Investoren gar nicht rechnen würde – denn chinesisch­e Firmen müssen für deutsche Unternehme­n oft viel mehr Geld auf den Tisch legen als Investoren aus anderen Ländern. Experten betonen schon lange, dass etwa der Midea-Konzern für Kuka deutlich zu viel gezahlt habe. Das Unternehme­n gab mit 115 Euro pro Aktie fast doppelt so viel aus, wie das Papier damals wert war. „Für weniger hätten die Chinesen Kuka wohl nicht bekommen“, sagt Müller. Sie müssten durch den hohen Preis ihr schlechtes Image in der deutschen Wirtschaft kompensier­en.

Die Skepsis gegenüber den Managern aus Fernost sei durch traditione­lle Vorurteile geprägt, immer wieder werde der in der Kolonialze­it geprägte Begriff der „gelben Gefahr“bemüht. US-Geldgeber würden dagegen viel zuvorkomme­nder behandelt – obwohl sie in den Augen des Gewerkscha­fters viel aggressive­r auftreten.

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