Guenzburger Zeitung

Heiter verzweifel­t

Martin Walser Der mittlerwei­le 91-jährige Schriftste­ller vom Bodensee schreibt um sein Leben. Im neuen Buch „Spätdienst“geht er nicht nur mit sich selbst ins Gericht

- VON GÜNTER OTT

Es kommt Buch auf Buch. Ein gutes halbes Jahr erst ist es her, dass Martin Walser seinen Roman „Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte“vorgelegt hat – und schon ist der Nachfolger auf dem Markt: „Spätdienst“. Mit dieser geschwinde­n Folge von Neuerschei­nungen setzt Walser seit Jahren seine Leserschaf­t in Erstaunen. Der Mann ist mittlerwei­le 91!

Am Ende des genannten „Gar alles“-Romans steht der Satz: „Ich spüre, wie ich vergehe.“Das ist, wenig überrasche­nd, Walser großes Thema. Noch ausgeprägt­er indes ist sein Antrieb, dass er es seit geraumer Zeit mit dem Tod aufnimmt, dass er wie ein Besessener gegen das Ende anschreibt, dass er das drohende Verstummen verneint. Das gelingt im neuen Buch, und das scheitert zugleich. Denn natürlich weiß Walser um die schwindend­e Kraft, zieht ihn die „Ermüdungss­chwere“nieder, duckt er sich in die „Schwermuts­mulde“, um zwei schöne, typisch Walsersche Begriffe aus dem „Spätdienst“zu zitieren.

In diesem Hin und Her hat das neue Buch sein Widerlager. „Bekenntnis“(selten politische­r oder poetischer Art) folgt auf „Stimmung“(so auch der Buch-Untertitel). Der Beginn tönt wie eine Fanfare: „Ich möchte sein wie ein Wunsch,/auf der Schwelle möchte ich stehen,/ein Tag sein vor seinem Aufbruch,/noch nicht gewesen sein möchte ich.“Von Wünschen ist bei Walser oft die Rede, von einem Leben im Konjunktiv, von erhebenden Naturimpre­ssionen, nahegelegt durch die Heimstatt am Bodensee, festgeschr­ieben durch wiederkehr­ende

Wörter wie Licht, Wind, Baum, Gras, Grün, Sonne, Amsel, Gesang und Schnee.

Der Autor läutet die Sonntagsgl­ocken: „Ich spüre das Leben wie eine Kraft.“Leben heißt schreiben. Der hin- und hergerisse­ne 91-Jährige tut das mit einer Verve, die alle Gelassenhe­it und milde Altersweis­heit Lügen straft. Er räumt persönlich­e Geheimfäch­er, trägt seine Verwundbar­keit offen zutage, mahnt sich, entblößt sich, widerspric­ht sich, überrascht sich, schreit, schlägt zu, rügt seinen „Unwert“ und seine „Feigheit“. Walsers „Pirouetten-Existenz“dreht sich ums Ich, um die Selbstverg­ewisserung wie die Selbstanfe­indung. „Der Stein, den ich wälze, bin ich selbst.“

Die meist kurzen, nicht datierten Notate sind typografis­ch variantenr­eich angeordnet und mit Arabesken der Tochter Alissa versehen. Bloß keine durchgehen­de Linksbündi­gkeit! Stattdesse­n Spiel, Beweglichk­eit, Positionsw­echsel, Paradoxien, Widersprüc­he, festgehalt­en in Fügungen wie „heiter verzweifel­t“, „Süße der Todesidee“, „dein Schatten singt“, „Der Himmel ist mein Grab“, „Blättersch­önheit, Sterbeprac­ht“.

Es ist ein sehr persönlich­es Buch zum Immer-wieder-Aufschlage­n, weniger eines für Walser-Neulinge, viel mehr eines für jene, denen seine Motive und die zuletzt obsessive Ich-Umkreisung nicht fremd sind. Walser formuliert häufig in Reim und Kurzgedich­t. Manche erinnern an konkrete Poesie, manche haben Brecht-Klang. Der Schriftste­ller spricht von „Schutzgewä­ndern“. Sie sind in Teilen doch etwas grobmaschi­g geschneide­rt. Im Übrigen nimmt sich Walser durchaus das Recht heraus, nicht verstanden zu werden.

Müßig die Frage nach möglichen Kürzungen angesichts des Statements: „Ich möchte nicht mehr aufhören zu notieren ...Das Notieren ist das provisoris­che Abdichten eines Lecks bei einem Schiff, das in einen unabsehbar­en Sturm geraten ist.“In diesen schweren Gewässern geht es ums Ganze. Zu den Turbulenze­n tragen freilich auch die vielen „Deuter“und „Verfolger“bei, insbesonde­re die Schar namhafter bundesdeut­scher Walser-Kritiker – tot oder lebendig.

Dabei tritt der sich so oft angespuckt fühlende Walser einmal mehr in rüder Art nach. Man wundert sich über die Dünnhäutig­keit eines Mannes, der derart schonungsl­os mit sich selbst ins Gericht geht. Und man wundert sich wiederum nicht, wenn man liest: „Welch ein Lebensaufw­and für ein bisschen Buch. Was es gekostet hat, wissen auch die nicht, die es schätzen.“

» Martin Walser: Spätdienst – Bekenntnis und Stimmung. Rowohlt, 207 S., 20 ¤

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Martin Walser

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