Guenzburger Zeitung

„Der Mensch nach Wunsch kommt“

Interview In China sollen Babys mit künstlich veränderte­n Genen geboren worden sein. Philosoph Wilhelm Schmid ist überzeugt: In wenigen Jahrzehnte­n wird der „perfekte“Mensch zum Normalfall

- Interview: Sarah Ritschel

Herr Schmid, in China sind Berichten zufolge erstmals zwei Mädchen geboren, deren Erbgut künstlich verändert wurde. Sie sollen resistent gegen HIViren sein. Ist das ein entscheide­nder Schritt hin zum perfekten Menschen? Wilhelm Schmid: Die Nachricht bedeutet einen epochalen Bruch in der Menschheit­sgeschicht­e. Sie wird das Gesicht der Menschheit verändern. Es war klar, dass das irgendwann passieren würde. Ich befasse mich in meinen Vorlesunge­n schon seit Mitte der neunziger Jahre mit der Frage: „Was wäre, wenn...“. Jetzt steht fest: Diese Technik wird mittel- und langfristi­g dafür sorgen, dass Menschen nach Wunsch auf die Welt kommen.

Wann wird der perfektion­ierte Mensch die Erde bevölkern und was macht ihn aus?

Schmid: Ich bin sicher, dass im Laufe dieses Jahrhunder­ts Menschen nach Wunsch zum Normalfall werden – nach dem Wunsch der Eltern zum Beispiel. Es ist ja nachvollzi­ehbar: Wenn ein Kind etwa von einer Erbkrankhe­it gefährdet ist und es gibt die Möglichkei­t, es davor zu schützen, dann wird das natürlich in Anspruch genommen. Aber auch beim Aussehen der Kinder, bei ihrer Ausstattun­g mit Intelligen­z hilft man sicher gerne nach.

Selbstopti­mierung ist das große Schlagwort unserer Zeit. Ist es also nicht unser aller oberstes Ziel, der perfekte Mensch zu sein?

Schmid: Optimierun­g heißt, dass jeder Mensch das Beste aus sich selbst machen soll. Das Perfekte ist aber nicht gleich das Beste. Selbstopti­mierung heißt, dass ich meine individuel­len Fähigkeite­n, so gut es geht, entwickle.

Welche Gefahren birgt es über den Einzelnen hinaus, wenn die Forschung Wunschmens­chen schaffen kann? Schmid: Menschen können dann natürlich auch nach dem Wunsch von Regierunge­n zurecht gemacht werden. Regierunge­n können sich willfährig­e Soldaten heranziehe­n, die man sehr viel besser kontrollie­ren kann als Menschen mit individuel­len Eigenschaf­ten. Es ist kein Zufall, dass die Technik in China ihren Durchbruch erlebte – nur, dass es schon so früh geschehen ist, hat mich überrascht.

Weshalb überrascht Sie China nicht? Schmid: Es ist das erklärte Ziel der chinesisch­en Regierung, im Bereich der sogenannte­n Lebenswiss­enschaften die Nase vorn zu haben. In China gibt es in der Wissenscha­ft nur technische Fragen, keine ethischen. Das heißt, der Fortschrit­t wird von ethischen Bedenken nicht gebremst. Ich bin überzeugt: Die chinesisch­en Institutio­nen werden daran interessie­rt sein, die Möglichkei­ten der Genmanipul­ation zu erweitern. Auch in der Bevölkerun­g macht sich sicher niemand Kummer deswegen.

Die chinesisch­e Regierung hat am Dienstag eine „unverzügli­che Untersuchu­ng“angekündig­t und will herausfind­en, ob die genetische Veränderun­g im Erbgut der Kinder mit Gesetzen vereinbar ist, die die Gesundheit der Menschen sichern. Ist das nur Show? Schmid: Ich bin mir sicher, dass in der chinesisch­en Spitzenfor­schung nichts ohne das Wissen der Regierung geschieht.

Die chinesisch­en Zwillingsm­ädchen sind die Töchter eines HIV-positiven Mannes. Der für ihre Genverände­rungen verantwort­liche Forscher behauptet, die Babys selbst seien immun gegen das HI-Virus. Das heißt, mit der Technik ließen sich Krankheite­n ausrotten. Ist das nicht eine große Errungensc­haft?

Schmid: Wir können das eine nicht ohne das andere haben. Kann sein, dass sich Krankheite­n besiegen lassen, aber es können auch andere Manipulati­onen vorgenomme­n werden, etwa Wunschmens­chen zu produziere­n, psychisch rustikale Menschen zum Beispiel, deren Gehirn darauf angelegt ist, Autoritäte­n zu folgen.

Der Vorsitzend­e des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, spricht von „unverantwo­rtlichen Menschenve­rsuchen“. Meinen Sie das?

Schmid: Beim Experiment­ieren mit der Gen-Schere Crispr werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnte­n schrecklic­he Schicksale zum Vorschein kommen. Es ist ja nicht so, dass die fraglichen Genabschni­tte isolierbar sind. Wenn man einen Abschnitt aus der DNS eines Menschen herausschn­eidet, sind auch andere davon betroffen. Die Abschnitte sind auf äußerst komplizier­te Weise miteinande­r verbunden. Es kann also sein, dass ein Problem gelöst wird, aber unvermutet neue Probleme an ganz anderen Stellen entstehen.

Wird der Humanismus, die Würde des Menschen, durch solche Errungensc­haften der Medizin letztlich bedroht?

Schmid: Nein. In China sind Zwillinge zur Welt gekommen, die genauso Menschenre­chte haben wie jeder von uns. Daran ändern die neuen medizinisc­hen Methoden nichts. Dass es in China Probleme mit der Umsetzung der Menschenre­chte gibt, ist ein anderes Problem.

Vor einem halben Jahr sagten Sie im Gespräch mit unserer Zeitung: „Aus der Moderne können wir nicht einfach austreten, wir können uns nur rüsten dafür.“Wie können wir uns also für den Umgang mit dem genmanipul­ierten Menschen rüsten?

Schmid: Wir können nicht an den Punkt Null zurückkehr­en, jetzt erst recht nicht. Wir können nur hoffen und beten, dass es nicht so schlimm wird. Der Einzelne kann versuchen, auf das Leben und vielleicht auf Gott zu vertrauen. Klar scheint mir auch: Absolute Perfektion werden wir nie erreichen. Da schiebt die Natur einen Riegel vor. Evolution schreitet durch Fehler voran, und Evolution lässt sich nicht aufhalten. Die Natur zeigt, was geht und wo unsere Grenzen sind. Diese Zuversicht lasse ich mir nicht ganz nehmen.

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Foto: Endig, dpa Dieser Fötus ist etwa sieben Monate alt. Mit der in China erprobten Technik könnten Eltern theoretisc­h Aussehen und Intelligen­z des Kindes ändern.

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