Familie leidet nach Unfall auf A 8 noch immer
Justiz Warum der Prozess gegen einen 50-Jährigen vor dem Amtsgericht trotzdem mit einem Freispruch endet
Günzburg Vier zum Teil schwer verletzte Menschen und mehrere erheblich demolierte Autos waren die Bilanz einer Karambolage auf der A 8 nahe der Ausfahrt Günzburg im Oktober 2016. Erst mehr als zwei Jahre später musste sich jetzt ein 50-Jähriger wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung verantworten, weil er mit einem plötzlichen Überholmanöver den Crash ausgelöst haben soll. Nach gut sechsstündiger Verhandlung wurde der Angeklagte freigesprochen.
„Wahrscheinlich waren Sie beteiligt“, gab Richter Martin Kramer dem 50-Jährigen mit auf den Weg, „und haben unaufmerksam die Spur gewechselt.“Trotzdem ging der Angeklagte straffrei aus, denn das Gericht konnte nicht mit Sicherheit feststellen, wie sich das Geschehen abgespielt hat. Ausschlaggebend waren unterschiedliche Zeugenaus- sagen und widersprüchliche Gutachten zweier Sachverständiger.
Fest steht, dass der Angeklagte mit seinem Gespann auf der A8 Richtung Ulm fuhr und kurz vor der Anschlussstelle Günzburg von der rechten auf die mittlere Spur wechselte, um einen Lastzug zu überholen. Das löste eine heftige Kettenreaktion aus. Ein auf der Mittelspur folgender 31-Jähriger am Steuer eines BMW Kombi machte eine Vollbremsung und versuchte nach links auszuweichen. Dort krachte er mit einem Audi RS 6 zusammen, der gegen die Betonleitwand schleuderte, dann quer über die ganze Autobahn und sich mehrmals an einer Böschung überschlug. Die 38-jährige Beifahrerin verlor bei dem Unfall vier Finger der rechten Hand und leidet bis heute an den Folgen. Ihre Kinder im Alter von zwei und neun Jahren kamen mit dem Schrecken davon, der Vater am Steuer erlitt einen Halswirbelbruch. Der auswei- chende BMW prallte gegen den Anhänger eines zweiten Gespanns. Alle weiteren Insassen blieben unverletzt. Der Schaden an den drei Fahrzeugen wurde damals auf mindestens 50 000 Euro geschätzt.
Um die Frage zu klären, ob der Angeklagte den Unfall schuldhaft verursacht hat, hatte Richter Kramer acht Zeugen und zwei Sachverständige aufgeboten. Der Fahrer des stark motorisierten Audi sagte aus, er sei höchsten 140 Stundenkilometer gefahren. Ein Sachverständiger ging aufgrund der Unfallspuren aber von einem Tempo von 170 bis 200 Stundenkilometer aus. Der Lenker des BMW sagte, das Gespann habe so kurz vor ihm die Spur gewechselt, dass er, um ein Auffahren zu vermeiden, ausweichen musste. Sein Tempo gab er mit höchstens 140 Stundenkilometern an. Im Polizeibericht war noch von 160 Stundenkilometern die Rede. Möglicherweise sei der 31-Jährige unaufmerksam oder abgelenkt gewesen, so ein Sachverständiger, dass er das Gespann zu spät bemerkt habe. Der zuständige Beamte der Autobahnpolizei sagte aus, dass die Unfallstelle aussah „wie auf einem Schlachtfeld“. Nach ersten Informationen von beteiligten Personen stufte er den Angeklagten als Beschuldigten ein. Verteidigerin Sabine Lösch empfand dies als unzumutbar, weil zu diesem Zeitpunkt der Ablauf noch nicht klar gewesen sei. Außerdem warf sie dem Polizisten vor, dass handschriftliche Protokolle in den Gerichtsakten fehlten und der Fahrer des kurz vor dem Unfall überholten Lastzuges nicht als Zeuge ermittelt wurde.
Akribisch aufgearbeitet hatten den Unfall zwei Sachverständige. Der eine meinte, dass der zu abrupte Fahrspurwechsel des Angeklagten der Auslöser gewesen sein könnte. Denkbar sei aber auch, dass das Gespann schon länger auf der mittleren Spur gewesen sei. Diese Ansicht bekräftigte der zweite Sachverständige. Er versuchte, mit komplizierten Berechnungen den Ablauf zu beschreiben.
Da sich kein klares Bild ergab, plädierte sogar die Staatsanwältin auf Freispruch. Rechtsanwalt Thomas Dick, der die beim Unfall schwer verletzte und traumatisierte Familie als Nebenkläger vertrat, hielt den Schuldnachweis für erbracht. Er beantragte eine Geldstrafe und ein zweimonatiges Fahrverbot. Die Unfallfolgen wolle sie nicht kleinreden, sagte Verteidigerin Lösch, doch ihr Mandant sei dafür nicht verantwortlich zu machen. Daher käme nur ein Freispruch infrage, mit dem das Verfahren schließlich endete. Trotzdem sind nach diesem noch nicht rechtskräftigen Urteil zivilrechtliche Forderungen der Familie gegen den Freigesprochenen möglich, so Richter Kramer gegenüber unserer Zeitung.