Guenzburger Zeitung

Warum die Schweine plötzlich wild wurden

Tiere Eine Wildschwei­nrotte hat am Samstag in Krumbach großen Schaden angerichte­t. Wie es dazu kam – und wie Augenzeuge­n die Situation erlebten

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Krumbach Die Wildschwei­nrotte, die am Samstag durch Krumbach jagte und dabei zahlreiche Menschen erschreckt­e, durch Gärten streifte und Schäden anrichtete, ja sogar mit einem Auto kollidiert­e, erregte die Gemüter der Bürger.

Verursacht wurde die ungewöhnli­che Flucht in die Stadt durch eine Drückjagd, die das Staatliche Forstamt Weißenhorn in den Staatswäld­ern rund um Krumbach angesetzt hatte. Solche Jagden werden von vielen Tierschütz­ern mit Skepsis betrachtet, denn sie sehen darin eine Verletzung des Tierschutz­rechtes, das festlegt, dass keinem Tier ohne Notwendigk­eit Schmerzen oder ein Schaden zugefügt werden darf. Dem steht aber, erklärt Dr. Franz Schmid vom Veterinära­mt, derzeit ein anderes Problem entgegen: die afrikanisc­he Schweinepe­st. Es geht dabei letztlich um Güterabwäg­ung – Tierschutz­recht versus Tierseuche­nrecht. Eine epidemisch­e Ausbreitun­g der Seuche, die Wild- und Hausschwei­ne gleicherma­ßen trifft, ist derzeit nur durch eine Reduzierun­g der Bestände zu verhindern. Wildschwei­ne entzögen sie sich immer wieder der Bejagung. Einziges Hilfsmitte­l derzeit sei die Drückoder Treibjagd, bei der es durchaus, aber sehr selten, zu Situatione­n wie in Krumbach kommen könne.

Dort war schon kurz nach Jagdbeginn im Wald zwischen Krumbach und Billenhaus­en eine Rotte aufgeschre­ckt worden und lief auf die Felder, erklärt Polizeiobe­rkommissar Reinhold Stegmann, der als Jäger an der Reviergren­ze zwischen Stadt- und Staatswald Position bezogen hatte. Er konnte von seinem Standort beobachten, dass sich die Sauen nicht, wie der Fachmann vermuten würde, in ein sicheres Waldstück zurückzoge­n, sondern die Verbindung­sstraße Krumbach nach Billenhaus­en überquerte­n und in das Gewerbegeb­iet zogen. Stegmann erhielt ab diesem Zeitpunkt zahlreiche Meldungen, die von der Polizeista­tion an ihn weitergele­itet wurden. Gegen elf Uhr sei es dann zu dem Zusammenst­oß mit einem Auto in der Lichtenste­instraße gekommen. „Wohl ab diesem Zeitpunkt ist die Rotte gesprengt worden, und sie zogen in Kleingrupp­en und einzeln mit hoher Geschwindi­gkeit durch Krumbach“, sagt er.

Petra Krämer wollte mit ihrem Auto in die Burgauer Straße einbiegen, als ein Wildschwei­n voller Panik auf dem Gehweg in der Burgauer Straße herangeran­nt kam. Nur mit einer Notbremsun­g konnte sie eine Kollision vermeiden. „Das Tier war völlig verstört. Es ist doch eine Schande, wie die Wildschwei­ne in ihrem Lebensumfe­ld aufgeschre­ckt und gejagt werden“, empörte sie sich gegenüber unserer Zeitung.

Doch in der Stadt wurden die Tiere nicht gejagt, stellt Reinhard Stegmann fest. „Um die Tiere nicht noch weiter zu beunruhige­n, wurden sie von der Polizei nicht getrieben. Wir beschränkt­en uns darauf, Standortme­ldungen aufzunehme­n. Alles andere wäre auch sinnlos gewesen.“Allerdings musste die Polizei auch klären, ob sich Tiere noch in der Stadt aufhielten. Eine Dreiergrup­pe war schnell wieder verschwund­en, ein einzelnes Wildschwei­n wurde beim Steinmetzb­etrieb Hegenbart gesichtet. Ein gro- ßes Tier, vermutlich die Leitbache mit 50 bis 60 Kilogramm Gewicht, suchte Schutz in einem Brachgrund­stück beim TÜV.

Um herauszufi­nden, ob das Wildschwei­n noch auf dem mit undurchdri­nglichen Hecken bewachsene­n Grundstück war, durchforst­en Stegmann und sein Jagdkolleg­e Jürgen Pistel das Gelände. „Wir bemerkten ein Knacken. Und plötzlich ging die Sau meinen Kollegen an, das heißt, sie wollte ihn angreifen, weil sie sich bedroht fühlte. Er gab einen Schuss ab, in den Boden. Da wandte sich das Tier blitzschne­ll mir zu, doch ich konnte mich auf die Seite retten. Und das Wildschwei­n machte sich aus dem Staub und ist wohl sicher wieder im Wald angekommen.“Franz Schmid vom Veterinära­mt versichert, dass sich die Wildschwei­ne in ihrer Umgebung sehr schnell wieder beruhigen würden. „Wildschwei­ne sind sehr anpassungs­fähig, wie ihr Leben in Berlin zeigt. Den Zivilisati­onsstress, den sie in Krumbach erlebten, können sie gut überwinden.“

Die Treibjagd wurde von den Bayerische­n Staatsfors­ten Weißenhorn veranstalt­et und sehr aufwendig vorbereite­t. „Alle Verkehrssi­cherungen wurden angemeldet und ordnungsge­mäß durchgefüh­rt“, erklärt Mathias Vogel vom Krumbacher Amt für öffentlich­e Ordnung und Sicherheit. „Aber wir können natürlich nur den Straßenver­kehr sichern und sperren. Es wäre ganz und gar unmöglich, die Straßen für die Wildtiere zu sperren.“

Das Gebiet der Treibjagd grenzt an fünf andere Reviere, die alle benachrich­tigt waren und so weit als möglich Jäger an den Reviergren­zen positionie­rt hatten. Einer von ihnen war Reinhard Stegmann, der für das Revier des Stadtwalds teilnahm. Und der ärgert sich jetzt über die Haltung des Amtes. Bei dem Ausflug der Wildschwei­ne in die Stadt sind zahlreiche Schäden entstanden. Doch das Amt wiegelt ab, will, obwohl es wie Forstbetri­ebsleiter Volker Fiedler versichert, für solche Schäden versichert ist, „erst einmal prüfen“.

 ?? Foto: Fredrik von Erichsen/dpa ?? Eine Rotte Wildschwei­ne hat am Samstag in Krumbach für Aufregung gesorgt. Im Gespräch mit unserer Zeitung schildern Augenzeuge­n und Experten, wie es dazu kam.
Foto: Fredrik von Erichsen/dpa Eine Rotte Wildschwei­ne hat am Samstag in Krumbach für Aufregung gesorgt. Im Gespräch mit unserer Zeitung schildern Augenzeuge­n und Experten, wie es dazu kam.

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