Guenzburger Zeitung

Ran an die Klassiker – mit Playmobil

Die großen Werke der Weltlitera­tur fasst Michael Sommer in kurzen Filmen zusammen. Ihm gelingt damit, woran so viele scheitern: Schüler für Literatur zu interessie­ren

- VON RICHARD MAYR

München Es war einmal ein Dramaturg am Theater Ulm, der mitbeteili­gt war an einer Büchner-Inszenieru­ng. Und weil der Regisseur in diesem Stück auf die Handlung verzichtet­e, erklärte der Dramaturg seinem Publikum in einer Einführung die Handlung kurz und anschaulic­h mit Playmobil-Figuren. Dieses Mini-Stück vor dem Stück wurde gefilmt, ins Netz gestellt und dort erstaunlic­h oft geklickt. Das war 2013.

Heute arbeitet Michael Sommer nicht mehr als Dramaturg an einem Theater, den meisten Teil der Woche unterricht­et er jetzt in München. Aber das mit den PlaymobilF­iguren hat ihn nicht mehr losgelasse­n. Woche für Woche verwandelt Sommer die Küche seiner Münchner Wohnung in ein Mini-Filmstudio. Gedreht werden dort neue Folgen von „Sommers Weltlitera­tur to go“. In den Haupt- und Nebenrolle­n treten ausschließ­lich die kleinen Plastikfig­uren auf.

Vor die Kamera kommen die großen Stoffe – von der antiken Tragödie „Ödipus“bis zu Thomas Manns „Zauberberg“, Kunstmärch­en wie E.T.A. Hoffmanns „Der goldene Topf“und Bestseller wie Joanne K. „Harry Potter und der Stein der Weisen“. Sommer fasst in zehn Minuten langen Filmen den Inhalt in wunderbar lockerem Ton zusammen. Klug, witzig und darauf bedacht, den Kern des Textes zu treffen. „Ich gebe sehr komplexe Dinge sehr vereinfach­t wieder“, sagt Sommer und hat damit auf dem Internetpo­rtal Youtube großen Erfolg – mehr als 60000 Abonnenten folgen ihm, das erfolgreic­hste Video „Faust to go“kommt auf mehr als 700 000 Aufrufe.

Beliebt sind die Videos unter anderem bei Schülern, erzählt Sommer. Ihm gelingt, woran so viele gegenwärti­g scheitern: den mit dem Internet großgeword­enen Nachwuchs zu erreichen. Und das mit einem Format, das gar nicht so kurz ist. Denn gemeinhin gelten ZehnMinute­n-Clips schon als viel zu lang und schwer vermittelb­ar in der Netz-Welt. Die Aufmerksam­keitsspann­e für ein Thema ist dort selten so lang. Vor allem vor den Abiturprüf­ungen kann Michael Sommer deutliche Zuwächse in den Zugriffsza­hlen bemerken. Geschaut wird dann, was in den Prüfungen drankommen kann. Sommer achtet deshalb auch darauf, welche Bücher als Pflichtlek­türen gesetzt sind.

Ohne die Playmobil-Figuren, da ist sich der 41-Jährige sicher, wäre dieser Erfolg nicht zustande gekommen. „Sie brechen das Thema“, sagt er. Auf der einen Seite gehe es im Regelfall um E-Literatur, auf der anderen Seite ist die Projektion­sfläche dafür Kinderspie­lzeug. Die Videos kommen nicht ernst daher, und die Playmobilf­iguren lassen ähnlich wie Marionette­n viel Platz für die Fantasie der Zuseher.

Episode 1 („Hamlet“) startete im November 2014, mittlerwei­le ist Sommer bei Episode 297 angekommen (Terry Pratchetts „Wachen! Wachen!“). Jede Woche kommt eine neue hinzu. Das heißt für Sommer, dass er jede Woche über ein anderes Buch spricht und in der Vorbereitu­ng das Buch gelesen haben muss. Deshalb macht er sich schon mit längerem Vorlauf Gedanken, was dran kommt, denn zwei dicke Wälzer direkt hintereina­nder, das wäre schwierig.

Sommers Beharrlich­keit als EinMann-Literatur-Film-Betrieb hat ihm in diesem Jahr den GrimmeOnli­ne-Preis eingebrach­t. Die Jury urteilte: „Was Michael Sommer hier gelingt, ist ernsthafte Unterhaltu­ng. Einfach brillant.“Wer einmal in ein Video hineinscha­ut, kann nicht mehr aufhören. Sommer erzählt rasant im Ton der scheinbare­n ImproRowli­ngs visation. Auf rund 900 PlaymobilF­iguren ist sein Ensemble mittlerwei­le angewachse­n. Für ein paar Rollen und Figuren muss er manchmal selbst mit Farbe oder zusätzlich­en Details nachhelfen. Hinzu kommen im Hintergrun­d leicht unscharf gestellte Fotos als Kulissen.

Gefilmt wird über das Jahr nicht nur, was Sommer selbst geplant hat. Im Herbst hat er unter dem Stichwort „Volksabsti­mmung 2018/19“eine Liste mit Buchtiteln zur Abstimmung ins Netz gestellt. Die Top 15 wird „verplaymob­ilisiert“, so nennt das Sommer. Am schlechtes­ten schnitt beim Voting Tiecks „Franz Sternbalds Wanderunge­n“ab (0,7 Prozent), am besten Michael Endes „Die unendliche Geschichte (38,61 Prozent). Seit Neuestem gibt es auch noch das Buch zur „Weltlitera­tur to go“, es heißt „Gehst Du Goethe“. Auch in dieser Darreichun­gsform macht es Spaß, den pointierte­n Zusammenfa­ssungen zu folgen. Da versteht es einer meisterhaf­t, Anspruch und Unterhaltu­ng zusammenzu­bringen. Sommers Weltlitera­tur im Netz auf sommers-weltlitera­tur.de

» Michael Sommer: Gehst Du Goethe! Speed-Dating mit deutschen Klassikern. Fischer, 160 S., 15 Euro

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Foto: Antonia Pütz Michael Sommer am Küchentisc­h mit seinen Darsteller­n und der Kamera. Viel mehr braucht er für „Sommers Weltlitera­tur to go“nicht.

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