Verdient es Schach, Sport zu sein?
Starker Tobak, der von Darmstadt aus eine ganze Szene aufwühlt. Ausradieren müsse man ihn, so Hessens Innenminister Peter Beuth, den Begriff eSport. Oder E-Sport, der Duden kennt beides nicht. Jedenfalls verdiene es diese „Daddelei“nicht, Sport genannt zu werden. Ihm sei nicht klar, inwiefern Bewegung von Daumen und Zeigefinger Sport sein solle. Das weltweite Netz – in dieser Angelegenheit naturgemäß befangen – bemühte sich um Erleuchtung des CDUPolitikers. Höchstkonzentration, Leistung, hartes Training seien auch an der Konsole gefordert – und ohnehin: Warum dürfe in puncto Bewegung überhaupt Schach Sport sein?
Majestätsbeleidigung für den königlichen Sport (?), der doch gerade erst in feierlichem Zeremoniell, der WM in London, seinen höchsten Repräsentanten erkoren hat – Magnus, den Großen, den norwegischen „Mozart des Schachs“. Gewiss, vor körperlicher Anstrengung dürfte dabei auch der im Tiebreak zum Schergen degradierte Herausforderer Fabio Caruana nicht ins Schwitzen gekommen sein. Doch wurden in den vergangenen Wochen nicht wenige Sportfans zu Fremdgängern, plötzlich waren auch Springer ohne Skischanze oder Sandkasten interessant. Zu spannend war das (gedankliche) Kräftemessen zweier Hochbegabter, zu groß die – zugegeben launische – Faszination für dieses alte, langweilige Spiel.
Doch genau darin, in der Entschleunigung, liegt der Mehrwert, den Schach der gesamten Sportwelt erbringen kann. Während sich manche Sportarten in fanfremder Selbstgefälligkeit und bitterlich um Sponsoren kämpfend in Marketingkampagnen verlieren, saßen sich in London zwei smarte Mittzwanziger gegenüber, die ihre Stärke im Überlegen suchten, nicht im Lautsein.
Ob das nun dazu reicht, per definitionem ein Sport zu sein? Das ist Ansichtssache – und letztlich auch egal. Jedenfalls ist wissenschaftlich bewiesen, dass Schachspielen den menschlichen Geist fit hält und sogar den IQ steigert. An manchem entlegenem Fleck, in Armenien etwa oder in Bremen, wird das Spiel auch an Schulen unterrichtet. Davon kann E-Sport – der fortschreitenden Digitalisierung zum Trotz – momentan nur träumen.