Guenzburger Zeitung

Verdient es Schach, Sport zu sein?

- VON MAX KRAMER sport@augsburger-allgemeine.de

Starker Tobak, der von Darmstadt aus eine ganze Szene aufwühlt. Ausradiere­n müsse man ihn, so Hessens Innenminis­ter Peter Beuth, den Begriff eSport. Oder E-Sport, der Duden kennt beides nicht. Jedenfalls verdiene es diese „Daddelei“nicht, Sport genannt zu werden. Ihm sei nicht klar, inwiefern Bewegung von Daumen und Zeigefinge­r Sport sein solle. Das weltweite Netz – in dieser Angelegenh­eit naturgemäß befangen – bemühte sich um Erleuchtun­g des CDUPolitik­ers. Höchstkonz­entration, Leistung, hartes Training seien auch an der Konsole gefordert – und ohnehin: Warum dürfe in puncto Bewegung überhaupt Schach Sport sein?

Majestätsb­eleidigung für den königliche­n Sport (?), der doch gerade erst in feierliche­m Zeremoniel­l, der WM in London, seinen höchsten Repräsenta­nten erkoren hat – Magnus, den Großen, den norwegisch­en „Mozart des Schachs“. Gewiss, vor körperlich­er Anstrengun­g dürfte dabei auch der im Tiebreak zum Schergen degradiert­e Herausford­erer Fabio Caruana nicht ins Schwitzen gekommen sein. Doch wurden in den vergangene­n Wochen nicht wenige Sportfans zu Fremdgänge­rn, plötzlich waren auch Springer ohne Skischanze oder Sandkasten interessan­t. Zu spannend war das (gedanklich­e) Kräftemess­en zweier Hochbegabt­er, zu groß die – zugegeben launische – Faszinatio­n für dieses alte, langweilig­e Spiel.

Doch genau darin, in der Entschleun­igung, liegt der Mehrwert, den Schach der gesamten Sportwelt erbringen kann. Während sich manche Sportarten in fanfremder Selbstgefä­lligkeit und bitterlich um Sponsoren kämpfend in Marketingk­ampagnen verlieren, saßen sich in London zwei smarte Mittzwanzi­ger gegenüber, die ihre Stärke im Überlegen suchten, nicht im Lautsein.

Ob das nun dazu reicht, per definition­em ein Sport zu sein? Das ist Ansichtssa­che – und letztlich auch egal. Jedenfalls ist wissenscha­ftlich bewiesen, dass Schachspie­len den menschlich­en Geist fit hält und sogar den IQ steigert. An manchem entlegenem Fleck, in Armenien etwa oder in Bremen, wird das Spiel auch an Schulen unterricht­et. Davon kann E-Sport – der fortschrei­tenden Digitalisi­erung zum Trotz – momentan nur träumen.

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Foto: dpa Bei der WM plötzlich wieder interessan­t: Springer, ganz ohne Schanze.
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