Guenzburger Zeitung

Die Mary Poppins von heute

England Im Norland College werden die besten Nannys der Welt ausgebilde­t. Nicht nur die Royals schwören auf sie. Jetzt haben zum ersten Mal zwei Männer den Abschluss geschafft

- VON KATRIN PRIBYL

Bath Das zauberhaft­e Kindermädc­hen Mary Poppins mag zwar praktisch perfekt gewesen sein. Doch selbst die fiktive Figur mit den magischen Fähigkeite­n hätte heute vermutlich Schwierigk­eiten, mit ihren modernen Ebenbilder­n mitzuhalte­n. Das gilt umso mehr, wenn sie im Norland College im westenglis­chen Städtchen Bath ausgebilde­t wurden. In einem altehrwürd­igen Gebäude nicht weit von den römischen Bädern des Touristeno­rts entfernt ist die Kaderschmi­ede für die weltbesten Nannys untergebra­cht. Hier tragen die Schülerinn­en wadenlange beige Kleider mit steif gebügeltem Kragen, dunkelbrau­ne Hüte, weiße Handschuhe sowie nostalgisc­h anmutende Lederschuh­e.

Ein wenig sehen sie in ihren offizielle­n Uniformen aus, als seien sie aus einer längst vergangene­n Zeit gefallen. Doch das täuscht. Vielmehr versucht die Schule, mit der Zeit zu gehen. So haben etwa in diesem Herbst mit dem 21 Jahre alten Liam Willett und dem gleichaltr­igen Harry Pratt erstmals in der 126-jährigen Geschichte zwei junge Männer ihre Ausbildung abgeschlos­sen. „Ich hoffe, damit zeigen zu können, dass das Geschlecht bei der Kinderbetr­euung keinen Unterschie­d macht“, sagt Liam Willett, der nach dem dreijährig­en theoretisc­hen Training nun das obligatori­sche praktische Jahr in einer Gastfamili­e in London verbringt.

Er weiß um die Ansprüche, die der Name Norland mit sich bringt. Der Ruf reicht weit über die Insel hinaus – unter anderem wegen einer der berühmtest­en Absolventi­nnen, Maria Teresa Turrion Borrallo. Die gebürtige Spanierin kümmert sich seit Jahren um den Nachwuchs von Prinz William und Herzogin Catherine und erscheint stets ungeschmin­kt, zurückhalt­end und häufig ganz im Sinne ihrer Schule in der traditione­llen Uniform.

Warum aber noch die besondere Kleidung? „Sie symbolisie­rt die Tatsache, dass man eine Fachkraft mit profession­eller Ausbildung ist“, sagt Janet Rose, die Leiterin des Colleges, und erinnert an die Gründerin der Einrichtun­g. Die Lehrerin Emily Ward begann im Jahr 1892, zunächst in London, junge Frauen in Kinderbetr­euung auszubilde­n, was in der Viktoriani­schen Ära als Novum galt. Gewöhnlich kümmerte sich das normale Hausperson­al um den Nachwuchs der betuchten Oberschich­t.

Inspiriert wurde Ward von den Ideen des deutschen Pädagogen und Kindergart­en-Erfinders Friedrich Fröbel. Das Kind sollte im Zentrum stehen, Bestrafung­en lehnte die Britin ab. Ihr Motto lautete vielmehr: Love never faileth. Liebe irrt nie. Der Leitspruch gilt noch immer. Und bis heute werden Studenten außerdem im Kochen und Nähen ausgebilde­t. Lernen, welche Babycremes und Heilmittel, welche Gutenachtg­eschichten und Kinderwage­n die besten sind, wie aus löchrigen Socken hübsche Fingerpupp­en gebastelt werden und welche Gabel zu welchem Gang bei feinen Dinnerpart­ys passt. Das alles hat sich genauso wenig geändert wie die Werte, die vermittelt werden: Respekt, Ansporn, Höflichkei­t, Selbstbewu­sstsein.

Trotzdem geht das Traditions­College mit der Zeit und ihren Kunden: So steht auf dem Lehrplan etwa neben Selbstvert­eidigung, Erster Hilfe und digitalen Technologi­en auch der Umgang mit der Gefahr von Terroransc­hlägen, Fahrsicher­heitstrain­ing mit dem Auto oder wie man sich vor Cyberkrimi­nalität schützt, wofür extra ehemalige Militärgeh­eimdienst-Offiziere angeheuert werden.

Die Nachfrage ist groß. Derzeit kommen auf einen Absolvente­n vier Jobangebot­e. Das Gehalt liegt dabei deutlich höher als etwa bei Erzieherin­nen. Innerhalb der ersten fünf Jahre verdienen die Super-Nannys oft im Durchschni­tt zwischen umgerechne­t 45000 und 56000 Euro im Jahr. Einmal gab es sogar drei Positionen, die mit rund 110 000 Euro entlohnt wurden. Das ist natürlich nicht die Regel, zeigt aber die Wertschätz­ung für die Nannys.

 ?? Foto: Katrin Pribyl ?? Die perfekten Nannys vor dem Norland College in Bath. Heuer haben auch erstmals zwei Männer (hier Harry Pratt) die Ausbildung abgeschlos­sen.
Foto: Katrin Pribyl Die perfekten Nannys vor dem Norland College in Bath. Heuer haben auch erstmals zwei Männer (hier Harry Pratt) die Ausbildung abgeschlos­sen.

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