Guenzburger Zeitung

Viva liebte dich

Fernsehen Und deutsche Jugendlich­e liebten den Musiksende­r. Der verkörpert­e in den 90ern ihr Lebensgefü­hl wie wenig anderes. Dann kam das Internet und nun naht das endgültige Aus

- VON JENS REITLINGER

Köln Wer Anfang der 90er Jahre Jugendlich­er war, wird sich gut an den Gameboy erinnern. Statt Netflix und Spotify gab’s Videokasse­tten oder die „Bravo Hits“-CDs. Das Internet war immer noch hauptsächl­ich etwas für Wissenscha­ftler. Und das Neueste über Stars und Trends erfuhr man aus den Zeitschrif­ten Bravo, popRocky und Popcorn. Dann kam Viva, die deutsche Antwort auf das US-amerikanis­che „Music Television“, MTV. Ein deutsches Musikferns­ehen also! Wie cool!

Viva war bunt, knallig, laut. Schnell nachdem der Kanal am

1. Dezember 1993 auf Sendung gegangen war, wurde er zum Maß aller Dinge für Jugendlich­e. Viva verkörpert­e ein Lebensgefü­hl – zusammen mit Bandposter­n, Plateausch­uhen und aufblasbar­en Sesseln. An diesem Samstag feiert Viva seinen

25. Geburtstag – es dürfte ein trauriges Fest werden. Denn Ende des Jahres ist endgültig Sendeschlu­ss.

Viva wird eingestell­t.

Die Ankündigun­g des Trägerkonz­erns Viacom hatte bereits im Sommer dieses Jahres zu zahlreiche­n Reaktionen in den sozialen Netzwerken geführt: Während sich einige Kinder der 90er Jahre darüber wunderten, dass es der Sender überhaupt so weit ins neue Jahrtausen­d geschafft hatte, bedauerten viele andere das Aus. „Mit Viva stirbt ein Teil unserer Jugend“, schrieb eine Nutzerin auf Twitter.

Viva warb einst mit dem Spruch „Viva liebt dich“– und eine Zeit lang wurde diese Liebe erwidert. Irgendwann erkaltete dann die Liebe. Das Konzept des Musiksende­rs – Sprungbret­t für eine ganze Generation von Moderatore­n wie Stefan Raab, Charlotte Roche, Sarah Kuttner, Oliver Pocher, Matthias Opdenhövel oder Heike Makatsch – hat vor einigen Jahren bereits ausgedient. Auf Dauer hatte der Sender keine Chance, sich gegen das Internet, gegen Youtube oder Instagram zu behaupten. Jene Medien, in denen die heutige Jugend regelrecht zu Hause ist.

Vor 25 Jahren war das noch anders. Auf dem Jugendkana­l sollte endlich auch deutsche Musik einen Platz haben – darin sahen die Verantwort­lichen ihre Nische. MTV sitze „auf einer Insel hinter dem Ärmelkanal“, erklärte Viva-Gründer Dieter Gorny; in Köln sei man quasi direkt in der Mitte der Gesellscha­ft.

Das eigentlich­e Erfolgsgeh­eimnis des neuen Programms jedoch war, dass Viva auf eine bestimmte Art gar nicht deutsch war: Perfektion­ismus etwa gehörte nicht zu den obersten Produktion­sprinzipie­n. Fast betont unprofessi­onell plapperten die jungen Moderatore­n in die Kamera. Damit traf man den Nerv des Publikums, das auf dem heimischen Sofa herumlümme­lte und sich auch alles andere als perfekt fühlte. „Es gab keine Moderatore­nschulung oder so“, sagt Moderatori­n Milka Loff Fernandes rückblicke­nd. Keine Scheu vor Fehlern – denn genau die würden schließlic­h zum Erwachsenw­erden dazugehöre­n. „Heute traut sich ja keiner mehr, einen Fehler zu machen“, sagt sie.

Stefan Raab sprang wild gestikulie­rend durch die Sendung „Ma’ kuck’n“, Charlotte Roche zeigte in „Fast Forward“Achselhaar. Wenn eine angesagte Band zu Viva in den Kölner Mediapark kam, belagerten Teenager das Areal. Den Moderatore­n wurden zwar ein paar Anweisunge­n gegeben, im Grunde ließ man sie aber einfach machen. „Ma’ kuck’n“eben. Oliver Pocher sagt, Viva sei damals das gewesen, was heute Youtube ist.

Ausgerechn­et mit Youtube, das 2005 gegründete Videoporta­l, fing der Niedergang von Viva an. Im Internet entstand starke Konkurrenz; wie Jugendlich­e Musik konsumiere­n, veränderte sich völlig. Um von neuer Musik zu erfahren, schaltete kaum mehr jemand den Fernseher ein. Viva musste sich plötzlich mit der Werbung für Handykling­eltöne finanziell über Wasser halten. 2004 übernahm der amerikanis­che Medienries­e Viacom, Eigner von MTV, den Kölner Musikkanal. Aus Konkurrent­en wurden nun Schwesters­ender. Ehemalige Vorzeigese­ndungen wie „Interaktiv“wurden aus dem Programm gestrichen.

„Viva ist heute in etwa so, wie Harald Juhnke in den 90ern war. Der war auch eine ganz wichtige Figur für das deutsche Fernsehen, aber irgendwann wurde er nur noch belächelt“, sagt Marcus S. Kleiner, Professor für Kommunikat­ionsund Medienwiss­enschaft an der SRH Hochschule der populären Künste in Berlin. Viva sei irgendwann zur Lachnummer verkommen, sagt er.

Am letzten Sendetag am 31. Dezember will Viva nochmals Musik aus dem Jahr 1993 spielen.

 ?? Fotos: dpa, epd ?? Die Viva-Moderatore­n waren wie ihre Zuschauer – alles andere als perfekt. Viele, etwa Stefan Raab (oben links), wurden zu Stars oder sind heute noch im TV-Geschäft. Wie Mola Adebisi (oben rechts), Janin Ullmann (unten links) und „Milka“.
Fotos: dpa, epd Die Viva-Moderatore­n waren wie ihre Zuschauer – alles andere als perfekt. Viele, etwa Stefan Raab (oben links), wurden zu Stars oder sind heute noch im TV-Geschäft. Wie Mola Adebisi (oben rechts), Janin Ullmann (unten links) und „Milka“.
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