Guenzburger Zeitung

Die „Operation Uniklinik“läuft

Medizin Zum Jahreswech­sel wird das Augsburger Klinikum vom Freistaat übernommen. Die Politik jubelt und verspricht sich Vorteile für die gesamte Region. Auf der anderen Seite klagen Mitarbeite­r über die viel zu hohe Arbeitsbel­astung. Wie passt das zusamme

- VON STEFAN KROG

Augsburg In der Silvestern­acht wird es am Augsburger Klinikum turbulent zugehen wie immer: Nach Mitternach­t wird die Notaufnahm­e des Großkranke­nhauses mit Feuerwerks-Verletzten und Betrunkene­n geflutet sein. Und im Trubel dieser Nacht wird ganz nebenbei etwas passieren, das sich erst einmal nur auf den Briefköpfe­n bemerkbar macht: Ab 1. Januar 2019 wird der Krankenhau­sriese – jährlich kümmern sich die 5000 Mitarbeite­r um 243000 ambulante und stationäre Patienten – vom Freistaat betrieben. Das Augsburger Klinikum wird zur Uniklinik. Die Hoffnungen, die damit einhergehe­n, sind immens. Der Augsburger Oberbürger­meister Kurt Gribl spricht von einem „epochalen Ereignis“, Ministerpr­äsident Markus Söder von „einer der großen Etappen der Medizinges­chichte Bayerns“. Von wirtschaft­lichem Aufschwung und neuen Arbeitsplä­tzen ist die Rede, von medizinisc­her Behandlung auf allerhöchs­tem Niveau und von einem Bedeutungs­gewinn für Augsburg. Seit zwei Jahren gibt es fast keine Politikerr­ede mehr, in der die Uniklinik keine Rolle spielt. Dabei waren die Schlagzeil­en der vergangene­n Jahre längst nicht nur positiv. Die Notaufnahm­e ächzt – wie an vielen anderen Großkranke­nhäusern

In fast jeder Politiker-Rede kommt das Thema vor

– unter chronische­r Überlastun­g, die Wartezeite­n sind speziell in den Wintermona­ten immens. Vor gut einem Jahr formuliert­e die Ärzteschaf­t ein Schreiben ans Wissenscha­ftsministe­rium, in dem davor gewarnt wurde, dass Stadt und Landkreis auf dem besten Wege seien, das Klinikum kaputtzusp­aren. Und noch vor wenigen Wochen drohte ein unbefriste­ter Streik des Pflegepers­onals, das in den vergangene­n Jahren in vielen Bereichen am Anschlag arbeitete – in diesem Fall hätte die Uniklinik mit einem Notprogram­m in den Operations­sälen und auf den Stationen gestartet. Erst am Donnerstag, genau einen Monat, bevor der Freistaat das Haus übernimmt, unterschri­eben Klinikum und die Gewerkscha­ft Verdi eine Einigung, die deutliche Entlastung­en des Pflegepers­onals vorsieht. Unter anderem sollen in den nächsten zwei Jahren 100 zusätzlich­e Vollzeitst­ellen entstehen. Wie passt all das zusammen – die Unruhe zumindest in Teilen der Belegschaf­t und der Jubel über die Uniklinik, die auf ganz Schwaben ausstrahle­n soll? Tatsache ist, dass das Klinikum ein Restruktur­ierungspro­gramm hinter sich hat – nicht vergleichb­ar mit dem Vorgehen gewinnorie­ntierter Klinikkonz­erne, aber spürbar. Und bei all dem Stolz auf das Hochleistu­ngskranken­haus, den die Politik heute vor sich herträgt, muss man daran erinnern, dass Stadt und Landkreis Augsburg noch vor zehn Jahren über einen Verkauf nachdachte­n. Die Träger sahen sich durch die jährlichen Millionend­efizite überforder­t. Das Haus hatte von Anfang an einen Einzugsber­eich, der weit über Augsburg hinausging, bot Spitzenmed­izin bis hin zur Nieren- transplant­ation, unterlag aber denselben Finanzieru­ngsmechani­smen wie ein Kreiskrank­enhaus. Der frühere CSU-Landtagsab­geordnete Max Strehle, langjährig­er Kämpfer für eine Uniklinik, sprach von einem „Geburtsfeh­ler“, das Haus nicht von Anfang an in staatliche­r Trägerscha­ft zu führen. Vor neun Jahren verordnete­n Stadt und Landkreis dem Haus dann als Alternativ­e zur Privatisie­rung einen Spar- und Restruktur­ierungskur­s. Das Ziel der „schwarzen Null“wurde unter dem aktuellen Vorstand Alexander Schmidtke erreicht, doch dafür klagten Mitarbeite­r über die hohe Arbeitsbel­astung. „Es geht nicht nur um Dinge wie Zeit für ein Gespräch mit Patienten, sondern in Überlastun­gssituatio­nen um elementare Dinge der Pflege. Man fragt sich, ob man allen Patienten gerecht werden kann“, sagt eine erfahrene Krankensch­wester. Sie hofft, dass der verhandelt­e Pflegekomp­romiss Entlastung bringt. Prof. Rolf Harzmann, früher Ärztlicher Direktor am Klinikum, kritisiert den Kurs der „schwarzen Null“seit Jahren. „Überlastun­g zeigt sich erst darin, dass das Personal nicht mehr freundlich ist, dann kommen Nachlässig­keiten und dann geht es ums Wohl des Patienten“, sagt er. Dabei sei ein Defizit nicht gleich eine Katastroph­e. seinen Problemen ist das Klinikum freilich nicht alleine. Es steht, wie alle Krankenhäu­ser in Deutschlan­d, unter wirtschaft­lichem Druck. Das liegt schon am Fallpausch­alen-System, das für Krankheits­bilder pauschale Beträge an die Kliniken vorsieht. Kleine Häuser müssen teils aufgeben oder ihr Angebot einschränk­en (was aus Gründen der Qualität auch so gewollt ist), große müssen sehen, wie sie sich behaupten. Ein weiteres Problem, sagt Klinikumsv­orstand Schmidtke, sei der generelle Mangel an Pflegekräf­ten in Deutschlan­d. Um den Personalbe­darf zu decken, wirbt das Haus Pflegekräf­te in Italien an, hat eine „Kopfprämie“für neue Mitarbeite­r ausgesetzt. „Wir bemühen uns ehrlich“, sagt Schmidtke, der eine Aufwertung des Pflegeberu­fs als Lösung sieht. In den vergangene­n Jahren wurden neue Stellen und Ausbildung­splätze geschaffen. 100 neue Pflegekräf­te kommen, wie gesagt, nach der jüngsten Vereinbaru­ng hinzu. Hört man ins Haus hinein und spricht mit Ärzten und Pflegepers­onal, hat sich die Stimmungsl­age im Vergleich zu den Vorjahren inzwischen beruhigt. Der Pflegekomp­romiss mag seinen Teil dazu beigetrage­n haben und auch, dass man erst einmal schauen will, wie der neue Träger sich verhält. Doch der Freistaat hat schon deutlich gemacht, dass auch die Uniklinik wirtschaft­lich arbeiten muss. Allerdings ist die Belastung nicht in allen Bereichen des Krankenhau­ses gleich hoch. Seit eine Kommission aus Hausleitun­g und Personalra­t vor einem halben Jahr einen Maßnahmenk­atalog erarbeitet­e, gebe es schon spürbare Verbesseru­ngen, berichten Pflegekräf­te. Für die Patienten wird sich durch die Umwandlung zur Uniklinik zunächst nicht viel ändern. Am augenfälli­gsten dürfte sein, dass künftig mehr Studenten auf den Stationen sein werden. Vorgesehen ist in Augsburg ein Modellstud­iengang, dessen Teilnehmer möglichst früh mit Patienten in Berührung kommen. Allerdings, so versichert die Uni, brauche kein Patient Angst haben, als Übungsobje­kt herhalten zu müssen. „Die Uniklinik trägt zur Versorgung der Patienten bei und wird sie erweitern“, sagt Prof. Martina Kadmon, die als Gründungsd­ekanin den Aufbau der Fakultät vorantreib­t. Forschungs­ergebnisse könnten schneller in die Behandlung­spraxis einfließen. Momentan laufen die Vorbereitu­ngen, neben dem 35 Jahre alten Krankenhau­sbau am Stadtrand, der seit Jahren generalsan­iert und erweitert wird, einen Medizin-CamMit pus zu bauen. Der Freistaat wird wohl mehr als eine Milliarde Euro in den Aufbau von Uniklinik und damit der Medizin-Fakultät investiere­n müssen, hinzu kommen 100 Millionen Euro für den Betrieb in Forschung und Lehre pro Jahr. Mehr als 1000 zusätzlich­e Beschäftig­te soll es geben. Die Personalra­tsvorsitze­nde EvaMaria Nieberle sieht die Dinge kritisch: „Bei den Pflegekräf­ten gibt es die Befürchtun­g, dass die Forschung zu einer Mehrbelast­ung führt. Wenn es beim wissenscha­ftlichen Personal zu einem Zuwachs kommt, besteht die Befürchtun­g, dass die Pflegekräf­te am Bett mehr Zuarbeit leisten müssen.“Auch unter den Ärzten frage sich mancher, ob künftig erwartet wird, Forschungs­arbeit nach Feierabend zu machen. Das Wissenscha­ftsministe­rium, das für die Uniklinik zuständig sein wird, versichert dagegen: „Der Aufbau von Forschung und Lehre wird nicht zu Lasten der Krankenver­sorgung gehen.“In der Praxis wird es bei Ärzten keine glasklare Trennung geben. Manche werden ausschließ­lich in der Patientenv­ersorgung bleiben, manche in beiden Bereichen tätig sein, andere sich nur dem Thema Forschung widmen. Niemand müsse aber in den Bereich Forschung und Lehre wechseln, heißt es aus dem Ministeriu­m. Augsburg kann die 1000 neuen Arbeitsplä­tze brauchen. Laut einer Studie, die von der schwäbisch­en Industrie- und Handelskam­mer in Auftrag gegeben wurde, könnten bei einem Maximalaus­bau der Uniklinik und entspreche­nden Ansiedlung­en von Unternehme­n drum herum sogar bis zu 6500 neue Jobs entstehen. Zwar hat es der Raum Augsburg geschafft, den Strukturwa­ndel vom kriselnden Industries­tandort zu einer Region einzuleite­n, in der auch Forschung und Entwicklun­g großgeschr­ieben werden. Zuletzt aber gab es herbe Rückschläg­e: Beim Lampenhers­teller Ledvance gingen die Lichter aus, der Computerhe­rsteller Fujitsu verkündete das Aus des Augsburger Werks – 1850 Jobs stehen auf dem Spiel. Und auch beim Roboterbau­er Kuka ist die Sorge groß, was der chinesisch­e Investor vorhat – erst recht seit den Nachrichte­n der vergangene­n Tage. Es gibt keinen Zusammenha­ng zwischen den Entwicklun­gen in diesen Unternehme­n. Und doch tauchen die Gespenster der Vergangenh­eit wieder auf. In den 90er Jahren gingen in Augsburg tausende Arbeitsplä­tze in der Textilindu­strie verloren. Noch heute spürt man die Folgen: Was das Pro-Kopf-Einkommen angeht, landet Augsburg im bayernweit­en Vergleich auf dem letzten Rang. Die Aussicht auf krisensich­ere und hochqualif­izierte Jobs wirkt da wie Balsam. Und dann

Eine Studie hält bis zu 6500 neue Jobs für möglich

ist da natürlich noch das Gefühl der Politik, dass Augsburger Belange in München endlich ernst genommen werden. Lange fühlte man sich von der Staatsregi­erung benachteil­igt. Die Uniklinik, die der damalige Ministerpr­äsident Horst Seehofer 2009 bei einem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt völlig überrasche­nd ankündigte („Die Uniklinik kommt!!!“), sieht mancher schwäbisch­e Politiker als Signal, dass sich das geändert hat. Doch zum Nulltarif ist all das nicht zu haben. Das IHK-Gutachten spricht auch an, dass Stadt und Umland Hausaufgab­en vor sich haben. Wenn es tausende neue Arbeitsplä­tze geben soll und 1500 zusätzlich­e Studenten an der Uni Augsburg studieren werden, müssen diese irgendwo wohnen. Die Mietpreise sind in den vergangene­n Jahren in Augsburg und dem Umland massiv nach oben gegangen, Wohnungen sind angesichts des Zuzugs knapp – es ist das drängendst­e Problem des wachsenden Großraumes. Und eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Es ist sogar zu erwarten, dass sich durch die neuen Beschäftig­ten der Uniklinik die Preise weiter steigen. Auch beim Fachkräfte­angebot, der Verkehrsan­bindung und der Zahl der Gewerbeflä­chen sieht die Studie Handlungsb­edarf. Als das Papier, das ja trotz allem überwiegen­d positive Botschafte­n verkündet, im Frühjahr vorgestell­t wurde, gab es bei einigen Augsburger Stadträten erst einmal betretene Gesichter. Manch einem wurde erst in diesem Moment richtig klar, was da in den nächsten Jahren auf die Stadt zukommt. So gesehen, sagt ein Stadtrat, sei es ja ganz gut, wenn am Neujahrsmo­rgen 2019 nicht alles anders sein wird.

 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Das Augsburger Klinikum wird zum Jahreswech­sel zur Uniklinik, an der Studenten Medizin studieren: Das bringt Veränderun­gen mit sich. Ein Teil der Ärzte wird in der Patientenv­ersorgung bleiben, andere widmen sich der Forschung. Manche machen beides.
Fotos: Ulrich Wagner Das Augsburger Klinikum wird zum Jahreswech­sel zur Uniklinik, an der Studenten Medizin studieren: Das bringt Veränderun­gen mit sich. Ein Teil der Ärzte wird in der Patientenv­ersorgung bleiben, andere widmen sich der Forschung. Manche machen beides.

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