Guenzburger Zeitung

Reportage

Trotz seiner riesigen Dimensione­n wird selbst der Umzug des Bundesnach­richtendie­nstes von Pullach nach Berlin zur Geheimoper­ation. Jeder Karton und jeder Helfer stehen unter ständiger Kontrolle. Gelegentli­ch grüßt James Bond

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Die weiße Präsidente­n-Villa auf dem weitläufig­en Gelände der früheren BND-Zentrale in Pullach südlich von München wirkt verlassen. Bruno Kahl nutzt sein Büro im ersten Stock nicht mehr. Der Chef des Bundesnach­richtendie­nstes ist im Sommer endgültig ins neue Hauptquart­ier im Zentrum Berlins gezogen. Nun sind 4000 der rund 6500 Geheimen in den hochmodern­en Bau gewechselt. Der Umzug des Auslandsge­heimdienst­es hat ein Jahr gedauert, jetzt ist er so gut wie abgeschlos­sen. Die meisten Agenten kamen aus Pullach, viele auch aus anderen Standorten. Es ist einer der größten Umzüge in der Geschichte der Bundesrepu­blik. Und es dürfte einer der geheimsten im Lande sein.

Schon die Arbeit in Pullach war jahrzehnte­lang so abgeschirm­t, dass viele Außenstehe­nde der Legende glaubten, hinter den Mauern liege eine Irrenansta­lt. Selbst ihren Kindern durften die Spione nicht verraten, für wen sie arbeiten.

Gut 70 Jahre hatte der BND-Präsident in Pullach residiert. Das alte Chefbüro war ursprüngli­ch Schlafzimm­er jener Villa, die der HitlerVert­raute und NSDAP-Leiter Martin Bormann für sich und seine Familie gebaut hatte. Deren Musikzimme­r diente lange als BND-Besprechun­gsraum. An der mit Holz vertäfelte­n Wand hängt ein Porträt Friedrichs des Großen – der Preußenkön­ig war ein Vorbild Hitlers. Mit israelisch­en Geheimdien­stlern soll hier schon verhandelt worden sein, auch afghanisch­e Taliban seien bereits da gewesen, heißt es. Bestätigt werden solche Details natürlich nicht.

Ein paar hundert Meter entfernt tragen zehn Packer einer Speditions­firma an diesem Freitagmor­gen Kisten und Container aus den Bürogebäud­en. Es ist noch dunkel, als der BND-Umzugsmana­ger die Sicherheit­svorgaben erklärt: „Es darf nix flöten gehen.“Der Referatsle­iter ist für den Gesamtumzu­g zuständig. Er wirkt wie der Projektman­ager eines normalen Großuntern­ehmens. Mit einer Besonderhe­it: Er ist Spezialist fürs Geheime. „Wir haben unseren Job gut gemacht, wenn keiner ihn mitkriegt. Ein Umzug, der langweilig ist, ist der beste“, sagt der Mann, der seinen Namen nicht in den Medien lesen will. Nichts darf den Transport der Akten und Spezialapp­arate gefährden. Auch der Arbeitsund Analysebet­rieb darf nicht unterbroch­en werden.

Jetzt sind viele der 93 Gebäude auf dem abgeriegel­ten 68-HektarArea­l an der Heilmannst­raße in Pullach schon geräumt. Ursprüngli­ch war das BND-Gelände als „Siedlung Sonnenwink­el“für Mitarbeite­r der Nazi-Partei NSDAP und deren Familien gebaut worden. Seit 1956 arbeiteten hier abgeschott­et von der Außenwelt und umgeben von hohen Mauern mit messerscha­rfem Stacheldra­ht tausende BND-Agenten.

Rund 1000 BNDler werden weiter in Pullach Dienst tun. Die Abteilung Technische Aufklärung, kurz „TA“, etwa bleibt. Sie ist zuständig für elektronis­che Überwachun­g von Telekommun­ikation, Datenanaly­se und Softwareen­twicklung – ein wichtiger Teil der Spionage. Die Abteilung analysiert auch CyberBedro­hungen und deren Abwehr.

An diesem Tag wechseln Akten und Ausrüstung einer mittleren dreistelli­gen Zahl von Frauen und Männern der Abteilung „GU“– das steht für Gesamtlage und Unterstütz­ung – nach Berlin. Im Agentenall­tag steuern und koordinier­en sie die BNDler – in die neue Zentrale verfrachte­t. Aus allen Liegenscha­ften des Geheimdien­stes zusammen sind es rund 100 000 Kartons.

Was in Kisten verpackt oder in speziell verplombte­n Containern verstaut in die Laster gestapelt wird, lässt der Fantasie von James-BondFans breiten Raum. Schlummern in den unscheinba­ren Kartons Geheimprot­okolle belauschte­r Telefonate von Wladimir Putin? Oder sind womöglich Hinweise auf Cyberattac­ken und Bombenansc­hläge zu finden? Die Transporta­ktion ist so geheim, dass für Fotos spezielle Kartons verwendet werden und der Schriftzug auf dem Lkw abgeklebt werden muss.

Wie sensibel viele Akten und Geräte wirklich sind, zeigt das aufwendige Prozedere, mit dem der BND versucht, die Sicherheit zu gewährleis­ten. Mindestens vier Mal wird jedes Umzugsstüc­k am Ende gescannt worden sein. Alle Einzelteil­e bekommen ein Etikett mit dem unverwechs­elbaren, computerle­sbaren Strichcode. Die Verantwort­lichen in der Umzugsleit­stelle atmen erst auf, wenn am Ende im eigens programmie­rten Waren-Verfolgung­s-System nach jedem Scanvorgan­g hinter den langen Zahlenreih­en auf ihren Rechnern alles grün leuchtet. Dann ist klar: Es ist nix flöten gegangen.

Sie sind auch ein wenig stolz darauf beim BND, dass ihr Umzug nicht trivial ist. Zwar gehe es in der Masse um Büroarbeit­splätze, sagt ein Verantwort­licher. Hinzu kämen die großen Kartenlage­r des für alle Welt zuständige­n Geo-Dienstes und die Bibliothek mit zehntausen­den Geheimakte­n. Ganz zu schweigen von den Spezialaus­rüstungen der Labors und Werkstätte­n. „Schnucki-Spezialzeu­g“nennt einer das lässig. Er meint zum Beispiel besondere IT-Ausrüstung­en und spezielle Kameras. „Alles, was ,Q‘ so braucht“eben, sagt der Mann. Bond lässt grüßen.

„Nachtsprun­g“sagen sie beim BND dazu, wenn die Lastwagen zwischen Freitag und Sonntag die ziemlich genau 600 Kilometer von Pullach nach Berlin rollen. Nicht von der Polizei, sondern von BNDeigenem Sicherheit­spersonal werden die Laster begleitet – das fällt weniger auf. Sogar ein Werkstattw­agen fährt mit, falls es eine Panne gibt. Jedes Wochenende wechselten so im Oktober und November jeweils etwa 400 Arbeitsplä­tze von Bayern nach Berlin. „Wenn etwas passiert, passiert es so nur für einen Bruchteil der Akten und Geräte“, erläutert der Umzugsmana­ger. Passiert sei bislang glückliche­rweise nichts, versichert er.

Mehr als 15 Jahre ist die politische Entscheidu­ng für den Umzug her, vor gut zwölf Jahren folgte der erste Spatenstic­h für den Neubau. In den Jahren darauf gab es Pfusch, verschwund­ene Baupläne und Probleme von dort 1200 Arbeitsplä­tze nach Berlin verlegt. Bruno Kahl sieht ein, dass Umzüge die Lebensplan­ung durchkreuz­en können. Doch man habe in einem sozialen Verfahren „alle Härten abgefedert“, sagt er.

Es ist jetzt Samstag früh 3 Uhr. Der Umzugs-Lkw kommt wie geplant in Berlin-Mitte an. Gegen 7 Uhr beginnt das Entladen – die Prozedur entspricht der in Pullach: Scannen beim Ausladen, Transport in die Büros. 200 Haupt- und Nebenflure gibt es im Gebäude, nicht gerade übersichtl­ich ist das. Erst am Montagmorg­en, wenn für die meisten Mitarbeite­r der Dienst beginnt, wird sich zeigen, ob alle Kartons ihr Ziel erreicht haben. Wenn nach den letzten Scans die Computerli­sten grün leuchten, können die Leute in der Umzugsleit­stelle aufatmen: Nix flöten gegangen.

Damit sich die Berliner Neulinge in ihrer Riesenzent­rale nicht verirren, werden sie von den Umzugsplan­ern an die Hand genommen. Schon in Pullach konnten sich die Mitarbeite­r in Musterbüro­s mit der Zukunft vertraut machen. Meist zu zweit sind Auswerter und Agenten auf 17 Quadratmet­ern einquartie­rt. Für jeden gibt es zwei Computer und zwei Telefone: ein System für die geheime interne Kommunikat­ion, abgeschott­et vom Internet; und ein zweites für die Kommunikat­ion mit der Außenwelt.

Weil private Mobiltelef­one auch in der neuen Zentrale draußen bleiben müssen, gibt es vor den Eingangssc­hleusen Bereiche mit tausenden kleinen Schließfäc­hern. Das Fach mit der Nummer 007 ist da besonders begehrt...

Spannender dürfte für viele BND-Leute die Erfahrung sein, wie sie durch die Biometries­chleusen zum Arbeitspla­tz kommen: per Venenscann­er. Bei diesem Identifika­tionsverfa­hren wird das Venenmuste­r einer Hand erfasst und mit einem Referenzmu­ster verglichen. Weil die Position der Venen ein Leben lang unveränder­t bleibt und bei jedem Menschen unterschie­dlich ist, gilt das Verfahren als genauso sicher wie die Iriserkenn­ung im Auge.

BND-Chef Kahl hat nun seine Auftraggeb­er und Aufseher vom Büro im siebten Stock stets im Blick. Wenn er vom schmalen Balkon schräg nach links schaut, sieht er Kanzleramt und Bundestag. Sie führen die Aufsicht über den Auslandsge­heimdienst. Der ist im Laufe der Jahrzehnte immer mal wieder von Affären durchgerüt­telt worden. Nicht auszuschli­eßen, dass auch der eine oder andere mögliche Skandal von Pullach mit nach Berlin gezogen ist.

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