Guenzburger Zeitung

„Best dressed in jeder Lebenslage“

Letzter Band einer deutschen Nachkriegs­saga: Mit 619 Seiten endet die Ära des Versandhau­skatalogs. Ottos „Final Edition“ist ein gedrucktes „Du“. Wir lernen Begriffe wie „Überzehenp­lüsch“und „Kopffreiha­ube“

- VON MICHAEL SCHREINER

„Final Edition!“steht auf dem Buchrücken. Letzte Ausgabe also. Wer Anglizisme­n nicht mag und vielleicht sogar des Englischen gar nicht mächtig ist, der wird die Stirn runzeln als Leser. Denn das für den deutschen Markt verfasste Werk ist voll davon wie ein Döner mit Schnippelf­leisch.

„Feel Good Look“steht da, „Fresh Colours for the summer!“, „Keep Calm & Relax“, „It’s your choice“und more bzw. mehr davon. Noch häufiger sind die Power-Bastarde, die Kombi-Sprache aus Deutsch und Englisch. Sie wissen schon, Schöpfunge­n wie „SuperSoftt­ouch“, „Best dressed in jeder Lebenslage“, „Entspannun­g in den Allday-Favorites“oder „Coole Kühler“. Und obendrauf gibt’s den „Kaltschaum­topper“. So reden Gurkenhobe­lverkäufer auf Speed, wenn sie die Dult rocken wollen.

Dieser Stil ist der durchgängi­ge Jargon im allerletzt­en Otto-Hauptkatal­og. Logisch, dass sich das Kunden-„Du“durch das Kompendium zieht. „Eine Ära geht zu Ende“, steht im Editorial. Offenbar ist auch das „Sie“in der Ansprache längst vorbei. „Mit diesen Klassikern kommst du ganz groß heraus.“Heraus? Auf jeder zweiten Seite: „Du sparst. Du sparst“. Schmerzfre­i auf Du und Du mit dem Boxspringb­ett und der Jeans. „In Denim we trust“. Otto? Find ich strange.

Manchmal traut der Rezensent seinen Augen nicht. Die Zielgruppe scheint zusammenge­schnurrt auf die 18 bis 35-Jährigen, die ein „Sie“als befremdlic­h empfinden könnten. Wir sind schließlic­h nicht im Einwohnerm­eldeamt. „Streetstyl­e goes Lifestyle“. Nicht ein Hut, keine Krawatte, keine Hosenträge­r, kein Schuhlöffe­l ist mehr im Angebot.

Immerhin gibt es noch lange Unterhosen, WC-Deckel-Bezüge und ein (einziges) Heizkissen (bei dem der Preis nicht „hot“ist!). Einmal zuckt der Leser selig zusammen, als er „Nierenstei­ne“liest. Dabei steht da „Nietenster­ne“. Ein Wort wie aus einem Gedicht. Davon gibt’s mehrere in diesem Buch. „Überzehenp­lüsch“ist so eines. „Kantenhock­er“oder „Gesichtszo­ne“. Perlen in einem sehr umgangsspr­achlichen Text-Konstrukt à la „Hier sind die neuen Ideen, die an die Wäsche gehen.“Sogar mit der Typografie fahren sie ganz cool Schlitten, die OttoDichte­r. „Ein großes YES zu Pas- telltönen!“Aber ja doch. Wer den 619 Seiten starken Band ganz auslesen will, muss nicht nur Kauderwels­ch aushalten, sondern ein detailvers­essener Freund von ausgefeilt­en Fußnoten sein. Muss Wörter mögen wie „Schulterab­senkungssy­stem“, „Kunstleder­zipper“und „Kopffreiha­ube“. Und es ganz genau wissen wollen. „Pumps aus Ziegenvelo­ursleder, Textilfutt­er, gepolstert­e Lederdecks­ohle mit Genial-Insole-Ausstattun­g, Synthetikl­aufsohle, 5,5 cm-Absatz.“Solche Sachen. „Bindebände­r in den Ärmeln“. „Endlos bequem mit Shaping-Band“. Klingt, als wäre es eine Erinnerung­sfunktion von Hosenträge­rn. Erinnerung­sfunktion? Dieses schöne Wort haben wir aus dem Otto-Katalog und benutzen es gerne.

Otto, der letzte gedruckte Hauptkatal­og, ist draußen. Ein letztes, in Umfang und Format deutlich abgespeckt­es Exemplar einer Gattung, die Jahrzehnte zum beliebtest­en Lesestoff in deutschen Haushalten gehörte: der allumfasse­nde Versandhau­skatalog, eine Enzyklopäd­ie von A wie Accessoire­s bis Z wie Zerkleiner­er. Seine Autoren sind anonym, Waren „trendy“. Das Wort „Trend“ist, gefolgt von „cool“, mutmaßlich das meistgebra­uchte auf den 619 Seiten Dünndruckp­apier. Graue Haare gibt es auf den Fotos nicht. Auch keine Falten (das höchste der Gefühle ist die „Faltenblen­de“aus der Rollo-Abteilung). Wir blättern durch penetrante Jugendlich­keit und Seiten voller „Must-have-Basics.“Schon die feuerrote Titelseite gibt, nettes Wortspielc­hen, die Richtung vor. „Ich bin dann mal App!“, verkündet ein Model aus dem Handybilds­chirm. Aber es gibt in diesem letzten Papier-Wust der Trendmarke­n und Top-Performanc­es noch Formulieru­ngen, die wie stehengebl­ieben scheinen aus der Blütezeit des Versandhau­skataloges, als noch gesiezt wurde und keine iPhones im Angebot waren. Katalogspr­ache, die schnalzt wie Hosenträge­r auf bügelfreie­n Hemden. „Technik für Sparfüchse“. Versteht jeder. „Der nächste Sommer kann kommen!“. Ein Echo aus ferner Zeit auch diese Slogans: „Große Leistung für kleines Geld“und „Attraktive Packungen zum Vorteilspr­eis.“Selbst die Badematte „Superwusch­el“klingt noch wie Hitparade und Bonanza. Und putzige lyrische Bonbons gibt es auch: „Spüler und Kühler“.

Solche Passagen sind die letzten Reste von Versandhau­s-DNA aus 68 Jahren. So lange druckten sie den Otto-Hauptkatal­og. Nun sagen sie „Tschüss“und trommeln in der „Last Edition“für die App, welche den Katalog ersetzt. Das ist von einer sehr schlichten Zukunftsgl­äubigkeit. „App, App, hurra!“Und dann kommt eine Litanei von AppAnbiede­rungen mit Pep. „Technik, so innovativ wie unsere App. Fashion, so anziehend wie unsere App. Beauty, so attraktiv wie unsere App. Living, so bequem wie unsere App.“So klingt das hippe Totenglöck­chen für den Katalog, in dem die ganze Dialektik der Anpreisung­en durchaus noch aufscheint. „Landhausro­mantik bringt rustikale Leichtigke­it in dein Zuhause.“Rustikale Leichtigke­it! Sie wird uns fehseine len. Und die Lebenhilfe in winziger Schrift: „Fällt eng aus, bitte eine Größe größer bestellen“.

So ein Versandkat­alog ist nicht nur ein Bilderbuch (im letzten Otto dürften final um die 5000 Fotos versammelt sein), sondern eine Versammlun­g klangvolle­r Verkaufswö­rter – darunter viele Namen. Alles heißt mit viel Vokalen. Schöne Reihungen sind das: „Gracy, Tina, Erica, Sonia, Lias, Joana, Marnic, Yvonne“auf einer Doppelseit­e mit Damenoberb­ekleidung. Und „Svea, Agnes, Anja, Area, Hazel, Delta, Ava, Diego“in der Bettwäsche­abteilung. Nur Beispiele. Im Inhaltsver­zeichnis finden Aufzählfet­ischisten weiteren Suchtstoff. T wie Töpfe, Toplader, Topper, Tops, Trampoline, Trekkingrä­der, Trockner, Truhenbänk­e, T-Shirts.

Da ist es wieder, das romanhafte Wesen des Katalogs: Fast alles, was die Welt ist, ist drin. Zum Ende einer Ära erfasst uns rustikale Traurigkei­t. Adieu, Zehentrenn­er-Sandale, adieu, Teppich „Ankara“, Goodbye, Sneakersoc­ken mit Pfoten-Print unter der Sohle. Tschüss, Otto ohne de.

„Der nächste Sommer kann kommen!“

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Foto: Otto Bildchen, Farben, Marken, Preise, Variatione­n, Details: eine typische Doppelseit­e aus dem letzten gedruckten Versandhau­skatalog von Otto.

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