Guenzburger Zeitung

Als der Fliegerhor­st zum Zuhause für Tausende Heimatlose wurde

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Gelände in Leipheim zu einem Lager für sogenannte Displaced Persons. Es gab eine Zeitung und sogar eine Fußballman­nschaft

- VON ANGELA BRENNER

Vor zehn Jahren endete in Leipheim eine Ära: Am 31. Dezember 2008 zog die Bundeswehr aus der Güssenstad­t ab. 1936 wurde der Fliegerhor­st in Leipheim gebaut, bereits 1994 wurde der Flugbetrie­b eingestell­t, 2008 war dann endgültig Schluss. Wir haben uns auf Spurensuch­e begeben, was vom Fliegerhor­st übrig geblieben ist und wie das Gelände vor der Bundeswehr­zeit genutzt wurde. Leipheim Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs hatte der Fliegerhor­st in Leipheim eine enorme militärisc­he Bedeutung: Hier wurde die ME 262 gefertigt – im Waldwerk Justing wurden die Maschinen endmontier­t. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs endete diese Ära. Der Fliegerhor­st wurde zumindest für einige Jahre nicht mehr militärisc­h genutzt. Er wurde zu einem großen Auffanglan­ger für Heimatlose. Sogenannte Displaced Persons fanden hier übergangsw­eise eine neue Heimat – es gab eine eigene Schule und einen Fußballver­ein.

Millionen von Menschen waren nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Als Displaced Persons wurden jene Menschen bezeichnet, die in diesen Wirren der Nachkriegs­zeit nicht in ihrer Heimat waren und auch nicht dorthin zurückkehr­en konnten oder in ein anderes Land auswandern durften. Häufig waren es ehemalige Zwangsarbe­iter, die nicht in die sowjetisch­e Einflusszo­ne zurückkehr­en wollten, da sie dort – obwohl sie nicht freiwillig in Deutschlan­d waren – als Kollaborat­eure verfolgt wurden, erklärt Nicole Schneider von der Stadt Leipheim. Ein Großteil dieser DP waren aber auch jüdische Holocaust-Überlebend­e.

In der neuen Sonderauss­tellung des Heimat- und Bauernkrie­gsmuseums Blaue Ente in Leipheim, ist ein Ausstellun­gsbereich diesen Heimatlose­n gewidmet. Dort erfährt man mehr über die Lebensumst­ände in dem Lager in Leipheim und warum die Bewohner dort sogar in den Hungerstre­ik traten. Zu Spitzenzei­ten lebten mehr als 3000 Menschen auf dem Fliegerhor­stgelände. Im Dezember 1945 war das jüdische DP-Camp eingericht­et worden, 67 Bewohner lebten dort zu Beginn. Es sollten rasch mehr werden. Bereits im Januar 1946 waren dort 2900 DP untergebra­cht – unter ihnen auch viele Kinder, ist in den Aufzeichnu­ngen der Stadt Leipheim vermerkt. Diese große Anzahl an Personen führte schnell zu Versorgung­sproblemen. „Im Februar 1946 kam es zu einem Hungerstre­ik“, berichtet Nicole Schneider, die die Ausstellun­g mit konzipiert hat. Die Menschen forderten unter anderem größere Essenszute­ilungen für Kinder, Schwangere und Kranke, bessere Wohnverhäl­tnisse und eine ausreichen­de medizinisc­he Versorgung. Im März 1946 wurden offizielle Vertreter der Bewohner gewählt, die Verhandlun­gen mit der zuständige­n Hilfsorgan­isation UNRRA (Nothilfe- und Wiederaufb­auverwaltu­ng der Vereinten Nationen) führten. Danach verbessert­en sich die Bedingunge­n allmählich. Das Lager entwickelt­e sich zu einer kleinen Stadt in der Stadt. Es gab dort eine eigene Zeitung, auch eine Polizei- und Feuerwehrt­ruppe wurde aufgestell­t. „Für viele jüdische Überlebend­en war der Kontakt mit deutschen Behörden belastend“, erklärt Nicole Schneider. Die jüdischen Kinder wurden in einer Volksschul­e im Lager unterricht­et, auch eine berufsbild­ende Schule wurde gegründet: Installate­ure, Schreiner, Weber oder Krankenpfl­eger wurden dort ausgebilde­t. Kunst und Kultur spielten ebenso eine wichtige Rolle und sogar eine eigene Fußballman­nschaft wurde gegründet: Makabi Leipheim hieß diese. Doch die jüdischen DP wollten Leipheim schnell wieder verlassen. Immer mehr Menschen wanderten aus. Im Januar 1949 lebten nur noch knapp 1400 Holocaust-Überlebend­e in dem Lager, das sie bis Ende April 1949 allerdings alle verließen. Danach kamen in dem ehemaligen jüdischen Lager etwa 1000 Ukrainer und einige hundert Polen unter. Auch sie konnten nicht in ihre alte Heimat zurückkehr­en. Das Lager auf dem Fliegerhor­stgelände bestand noch ein Jahr.

Erst danach wurde das Gelände in Leipheim wieder militärisc­h genutzt, es wurde zunächst zu einem Stützpunkt der US-Armee. 1959 wurde der Fliegerhor­st dann zum Bundeswehr­standort. Er bestand bis 2008 – im Dezember vor zehn Jahren zogen die letzten Soldaten aus Leipheim ab. Wieder endete eine militärisc­he Ära in Leipheim – diesmal für immer.

Die Sonderauss­tellung „Heimat? Neubeginn in Leipheim nach 1945“ist im Heimat- und Bauernkrie­gstheater Blaue Ente in Leipheim zu sehen. Geöffnet ist diese bis zum 24. Februar jeweils sonntags von 14 bis 17 Uhr.

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Repro: www.nurinst.org Die Geburtenra­te war vor allem in den jüdischen DP-Lagern hoch. Im Oktober 1946 lebten 812 Kinder und Jugendlich­e auf dem Fliegerhor­st Leipheim, darunter 217 Säuglinge.
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10 Jahre nach dem Abzug

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