Guenzburger Zeitung

Wird das Leiden im Jemen jetzt beendet?

Analyse In Stockholm haben Friedensge­spräche begonnen. Welche Machtinter­essen in dem Konflikt verfolgt werden

- VON MARTIN GEHLEN

Fast vier Jahre lang tobt der Krieg im Jemen, bis vor kurzem vergessen von der gesamten Welt. Seit der saudische Königshof jedoch Anfang Oktober den Journalist­en Dschamal Kaschoggi von einem Killerkomm­ando in Istanbul bestialisc­h erwürgen ließ, rückt das „größte humanitäre Desaster der Gegenwart“, wie es die Vereinten Nationen nennen, stärker in den internatio­nalen Fokus.

Zum ersten Mal rührten sich die Vereinigte­n Staaten als größter Waffenlief­erant Riads und forderten ein Ende des Blutvergie­ßens. Noch im September waren Jemen-Gespräche der UN kläglich gescheiter­t, als die Huthi-Delegation aus Angst vor saudischen Racheakten gar nicht erst losflog.

Doch nun gelang es UN-JemenVermi­ttler Martin Griffiths diese Woche endlich, die verfeindet­en Lager in Schweden zu versammeln. Kleine symbolisch­e Gesten gingen voraus, Verletzte wurden ausgefloge­n, mit dem Austausch von Gefangenen begonnen. An einem echten Friedenswi­llen sind Zweifel angebracht.

Denn auf beiden Seiten dominieren starke Kräfte, die kein Ende des Krieges wollen und denen das Schicksal der geschunden­en Bevölkerun­g egal ist. Zu Beginn hatte Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman den Jemenfeldz­ug noch hochstilis­iert zum Paradefall arabischer Entschloss­enheit gegen den ewigen Störenfrie­d Iran. Doch selbst bei Scharmütze­ln entlang der Grenze wurden seine hochgerüst­eten Truppen mit den von Teheran unterstütz­ten Barfußkrie­gern nicht fertig.

Die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE), engste Alliierte Riads, gehen längst eigene Wege. Das Ziel, die Huthis zu entthronen und Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi zurück an die Macht zu bomben, hat Abu Dhabi aufgegeben. Stattdesse­n setzt es auf einen eigenständ­igen Südjemen, den es künftig als Vasallenst­aat dirigieren kann.

Ähnliches Machtkalkü­l treibt die Huthis. Sie denken nicht daran, ihre seit vier Jahren befestigte Bastion Sanaa im Nordjemen zu räumen und erhebliche sich in ihre karge Gebirgsreg­ion zurückzuzi­ehen. Ihre Schutzpatr­one in Teheran wissen genau, dass sich so mit relativ geringem Aufwand permanente Unruhe in die Arabische Halbinsel tragen lässt.

Leidtragen­de dieses militärisc­hen und politische­n Patts sind die 28 Millionen Jemeniten. Drei Viertel leben im absoluten Elend. 62 000 wurden durch Bomben, Minen und Granaten verletzt oder getötet. Der angerichte­te Schaden ist irreparabe­l, selbst wenn alle Seiten zu substanzie­llen Konzession­en bereit wären.

Danach sieht es nicht aus. Die VAE pochen auf ihre Südjemen-Pläne, in die sie bereits Milliarden investiert haben. Für Saudi-Arabien wäre ein Kriegsende mit jubelnden Huthis in Sanaa eine nicht zu verwindend­e Schmach. Daran wird auch der jüngste Beschluss des Pentagon nicht rütteln, die Luftbetank­ung saudischer Kampfjets über dem Jemen zu beenden. Einzig ein US-Boykott für Ersatzteil­e und Wartung, der innerhalb von Monaten die saudische und emiratisch­eKriegsmas­chinerie lahmlegt, könnte den nötigen Druck für einen raschen und umfassende­n Waffenstil­lstand erzeugen – ein Vorgehen, das die USA niemals in Betracht ziehen würden.

Martin Griffiths bleibt daher nur die Wahl, auf einzelne Schritte zu setzen: ein Ende der saudischen Luftangrif­fe gegen ein Ende der Huthi-Raketen auf Saudi-Arabien. Und Garantien beider Seiten für den lebenswich­tigen Hafen Hodeida, damit die Hungerkata­strophe zu Weihnachte­n doch noch abgewendet werden kann.

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Foto: afp Vor allem auch die Kinder leiden im Jemen unter den Folgen des Krieges. Unterernäh­rung ist an der Tagesordnu­ng, Frieden scheint in weiter Ferne zu sein.

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