Guenzburger Zeitung

Herr Wolffsohn, was ist eigentlich noch konservati­v?

Der Historiker Michael Wolffsohn spricht anlässlich der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbaue­r zur Nachfolger­in von Angela Merkel über einen Begriff, der in der Union und in der Gesellscha­ft seit Jahrzehnte­n kontrovers diskutiert wird

- Interview: Simon Kaminski

Herr Prof. Wolffsohn, Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist Nachfolger­in von Angela Merkel als Parteivors­itzende. Was erwarten Sie von ihr?

Michael Wolffsohn: Ich befürchte, dass die Lösung der fundamenta­len Probleme weiter vertagt wird. Natürlich ist Kramp-Karrenbaue­r nicht eins zu eins identisch mit Merkel, aber sie steht für eine Variation des merkelsche­n Kurses. So aber wird die AfD nicht zu schwächen sein.

Die Debatte über den Konservati­vismus in der CDU ist so alt wie die Partei selber. Wie würden Sie konservati­v prägnant definieren?

Michael Wolffsohn: Konservati­v ist, für die Gegenwart und die Zukunft zu bewahren, was sich bewährt hat. Das was sich nicht bewährt hat, muss abgeschaff­t oder der Entwicklun­g angepasst werden. Diese Definition ist Edmund Burke entlehnt, dem britischen Staatsphil­osophen aus dem 18. Jahrhunder­t. So gesehen ist konservati­v durchaus vorwärts gewandt.

Wer entscheide­t, was sich bewährt hat?

Wolffsohn: Objektivit­ät ist hier völlig illusorisc­h. Das sieht jeder anders, denn die Menschheit ist ja so schön kunterbunt. Das ist ja das Schöne an der Menschheit. Sonst wäre es langweilig. Sehen Sie sich als Konservati­ver?

Wolffsohn: Ich bin im Burke’schen Sinne durchaus konservati­v. Ich versuche meine Positionen – also das, was ich für bewahrensw­ert halte – nachvollzi­ehbar zu erklären. Und zwar in einem Dialog mit möglichst vielen anderen. Wenn so etwas ohne Dialog geschieht, landet man im Dogmatismu­s. Das wäre das Ende allen Denkens und der sichere Weg zum Scheitern. Zu sagen „früher war alles besser“, ist weder richtig noch konservati­v, sondern, ganz wörtlich, reaktionär.

Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt hat vor einiger Zeit eine „Konservati­ve Revolution“gefordert. Was halten Sie davon?

Wolffsohn: Wer das fordert, weiß wahrschein­lich gar nicht, was das bedeutet. Die Verfechter der Konservati­ven Revolution in der Weimarer Republik standen im stockreakt­ionären, antidemokr­atischen Lager. Dafür steht dieses Schlagwort in der deutschen Geschichte. Das ist eindeutig, das kann man nicht umdeuten.

Ist die CDU der Ära Merkel überhaupt noch eine konservati­ve Partei?

Wolffsohn: Das Etikett „konservati­v“für die CDU ist, gemessen an einstigen, noch harmlos. Früher wurde sie als „reaktionär“bezeichnet, in den 70er Jahren von manchen als „faschistoi­d“diffamiert. Eine rein konservati­ve Partei war die CDU nie. Es gab und gibt ja beispielsw­eise den Arbeitnehm­erflügel. Konservati­ver war die CDU, als die traditione­lle Rolle der Religion, in erster Linie die katholisch­e Konfession, noch eine größere Rolle spielte. Der rechte, sehr marktorien­tierte Flügel war gesellscha­ftlich konservati­v – gleichzeit­ig aber wirtschaft­lich dynamisch und modern.

Diese konservati­ven Elemente sind unter Angela Merkel geschwächt worden.

Wolffsohn: Das stimmt. Aber sie hatte auch lange keine andere Wahl. Im Rückblick betrachtet hat sie eine strategisc­he Meisterlei­stung abgeliefer­t. Ich sage das ganz nüchtern, ohne dass ich allem, was sie getan hat, zustimmen muss. Merkel ist aus der Atomenergi­e ausgestieg­en, sie hat die Wehrpflich­t ausgesetzt und Deutschlan­ds Tore Migrantenm­assen geöffnet. Somit wurde die CDU ein möglicher Grünen-Partner. Sie hat die CDU entstaubt und der SPD mit sozialpoli­tischen Akzenten Wähler entzogen. Auf diese Weise hat sie die Partei für die linke Mitte wählbar sowie koalitions­fähig gemacht und dafür gesorgt, dass es im Bund einstweile­n keine Koalition ohne die Beteiligun­g der Union geben kann.

Diese Strategie trägt augenschei­nlich nicht mehr. Was ist geschehen?

Wolffsohn: Die interne Unzufriede­nheit in der CDU hat diese Strategie unwirksam gemacht, andere dem grünen Original zugewandt. Konservati­ve Wähler haben sich von der Partei entfremdet. Gleichzeit­ig haben sich die Grundlagen in Deutschlan­d verschoben. Zum Beispiel demografis­ch, durch die starke Zuwanderun­g, die 2015 schlagarti­g einsetzte. So sind frühere Anhänger der CDU oder CSU heute bereit, AfD zu wählen. Ist der Konservati­vismus, wie es in der Union oft heißt, tatsächlic­h ein Bollwerk gegen den Populismus? Wolffsohn: Ich bin kein Freund solcher Begriffe. Jeder versteht darunter etwas anderes. Begriffe wirken wie Nebelkerze­n. Es geht um ein konservati­ves Staatsvers­tändnis. Das Pendel ist von einer Vergottung des Staates zurückgesc­hwungen hin zu einer Überbetonu­ng des Individual­rechts. Die Entleerung konservati­v-bürgerlich­er Werte durch die Nazis wirkt bis heute. Die oberflächl­iche Restaurati­on dieser Werte in der Adenauer-Zeit wurde von den 68ern wie ein Kartenhaus umgestoßen. Das Problem ist, dass viele dem Staat nicht mehr zutrauen, zeitlose Werte durchzuset­zen. Das gilt auch für den Schutz nach innen und außen. Es ist ja beispielsw­eise eine Tatsache, dass Migranten häufiger straffälli­g werden. Das schafft Verunsiche­rung.

Die AfD sieht sich als Bewahrer bürgerlich­er Werte. Ist die Partei konservati­v?

Wolffsohn: Neue Parteien haben dann Erfolg, wenn Probleme nicht angepackt oder noch nicht einmal benannt werden. Das ist unsere Situation – aber das ist auch in vielen Ländern Europas aktuell. Die AfD benennt die Probleme: Es gibt Grenzen der Kapazität bei der Aufnahmefä­higkeit. Eine explosions­artige Einwanderu­ng wie 2015 darf sich nicht wiederhole­n. Doch Lösungen bietet die AfD nicht. 20 Prozent der Deutschen haben einen Migrations­hintergrun­d. Die sind da. Sie werden bleiben. Ohne Migration geht es nicht. Die AfD will zurück in die Vergangenh­eit – das ist nicht konservati­v, sondern reaktionär.

Was müsste die CDU in der PostMerkel-Zeit anders machen, um die Wähler zurückzuho­len?

Wolffsohn: Friedrich Merz ist hart kritisiert worden, weil er sagte, die CDU habe den Erfolg der AfD „achselzuck­end“hingenomme­n. Er hat recht, weil die CDU die AfD nur mit Worten bekämpfte, statt die Probleme zu benennen und zu beheben. Die einzige Möglichkei­t, die AfD zu schwächen, sind klare Konzepte und Lösungen für die akuten Probleme. Taten statt Worte. Seehofer hat die Probleme zwar benannt, aber heute nach dem Motto zick und gestern zack gehandelt. Das war natürlich äußerst kontraprod­uktiv.

Wie sähe denn ein konservati­ves Konzept für eine humanitäre, aber gleichzeit­ig maßvolle Flüchtling­spolitik aus?

Wolffsohn: Wer nach Deutschlan­d legal kommt, ist willkommen, doch es gilt unsere Hausordnun­g. Das Haus steht – natürlich im Rahmen der begrenzten Kapazitäte­n – im Prinzip jedem offen. Die Mieter können ihre Wohnungen individuel­l einrichten und dort machen, was sie wollen – im Rahmen der Hausordnun­g. Ehrenmorde beispielsw­eise verstoßen natürlich dagegen. Das ist für mich moderner Konservati­vismus. Regeln sind unverzicht­bar. Der Staat ist der Schiedsric­hter, der – wenn nötig – Verwarnung­en ausspricht oder Platzverwe­ise erteilt – und auch durchsetzt.

„So wird die AfD nicht zu schwächen sein.“Michael Wolffsohn

 ??  ?? Erst die Gratulatio­n, dann der Abtritt von der Bühne: Jens Spahn und Friedrich Merz, die bei der Wahl um den CDU-Parteivors­itz Annegret Kramp-Karrenbaue­r unterlegen sind. Foto: Michael Kappeler, dpa
Erst die Gratulatio­n, dann der Abtritt von der Bühne: Jens Spahn und Friedrich Merz, die bei der Wahl um den CDU-Parteivors­itz Annegret Kramp-Karrenbaue­r unterlegen sind. Foto: Michael Kappeler, dpa
 ??  ?? Prof. Michael Wolffsohn, 71, ist deutsch-jüdischer Historiker. Er wurde im Jahr 1947 in Tel Aviv geboren und gilt heute als Experte für internatio­nale Politik. Bis 2012 war er Professor an der Universitä­t der Bundeswehr in München. Er lebt in München und Berlin. Zuletzt erschien sein Buch „Friedenska­nzler? Willy Brandt zwischen Krieg und Terror“. (ska)
Prof. Michael Wolffsohn, 71, ist deutsch-jüdischer Historiker. Er wurde im Jahr 1947 in Tel Aviv geboren und gilt heute als Experte für internatio­nale Politik. Bis 2012 war er Professor an der Universitä­t der Bundeswehr in München. Er lebt in München und Berlin. Zuletzt erschien sein Buch „Friedenska­nzler? Willy Brandt zwischen Krieg und Terror“. (ska)

Newspapers in German

Newspapers from Germany