Guenzburger Zeitung

Verbrauche­r zahlen für Strom, den es nicht gibt

Warum noch immer Ökoenergie für 610 Millionen Euro vergeudet wird

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Während im polnischen Kattowitz derzeit auf der UN-Konferenz die Staaten um mehr Klimaschut­z ringen, gehen in Deutschlan­d Jahr für Jahr große Mengen Ökostrom verloren. Die Netze reichen häufig nicht aus, um die grüne Elektrizit­ät abzutransp­ortieren, wenn zum Beispiel an der Küste der Wind kräftig bläst. Die Anlagen werden dann abgeschalt­et. Das ist teuer für Verbrauche­r: Sie zahlen für den Strom mit, den es nicht gibt, weil die Anlagenbet­reiber ein Recht auf Entschädig­ung haben. Allein im vergangene­n Jahr mussten 610 Millionen Euro aufgewende­t werden, berichtet der Bundesverb­and Windenergi­e. Rund 95 Prozent davon für Windkraft, der Rest für Photovolta­ik oder Strom aus Biomasse. Und auch wenn das Problem geringer geworden ist: Noch immer werden Millionen eingeplant, weil Windräder auf See noch gar nicht angebunden sind – oder umgekehrt zu bestehende­n Leitungen die Offshore-Windparks fehlen. Für das Jahr 2019 sind 144 Millionen Euro veranschla­gt.

Die Grünen kritisiere­n diese Situation scharf: „Erneuerbar­er Strom darf nicht ungenutzt verschwend­et werden, weil klimaschäd­licher Kohlestrom die Netze verstopft“, sagte Parteivors­itzende Annalena Baerbock unserer Redaktion. Deshalb und zur Erreichung der Pariser Klimaziele brauche es den Kohleausst­ieg und einen raschen Netzausbau zugunsten der erneuerbar­en Energien.

Denn dass sich die Situation kurzfristi­g ändert, ist nicht in Sicht. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres entstanden der Bundesnetz­agentur zufolge Kosten von 228 Millionen Euro, um Grünstrom-Erzeuger zu entschädig­en, die wegen Netzengpäs­sen nicht einspeisen konnten. Im ersten Quartal 2017 waren es erst 142 Millionen Euro.

Bei der Bundesnetz­agentur sieht man vor allem einen Weg, um die Situation zu verbessern: „Der Netzausbau muss insgesamt aufholen, um mit dem Ausbau der erneuerbar­en Energien Schritt zu halten“, sagte ein Sprecher. Ähnlich denkt man bei den Grünen: „Leistungsf­ähige Stromnetze sind für eine erfolgreic­he Energiewen­de und die Klimaziele unabdingba­r“, sagte Baerbock. Dazu gehöre der zügige Bau der bereits beschlosse­nen Leitungen, die den Transport von Windstrom vom Norden in den Süden Deutschlan­ds sicherstel­len. Bekannt ist, dass auch Bayern hier gebremst hat und darauf pochte, Leitungen unter die Erde zu legen.

Die Grünen-Chefin fordert nun mehr Tempo. „Das Problem ist, dass die Bundesregi­erung bisher viel zu wenig getan hat, um den Netzausbau voranzutre­iben“, kritisiert Baerbock. „Der geplante Gesetzentw­urf zur Beschleuni­gung des Netzausbau­s ist überfällig. Die meisten Maßnahmen hätten schon vor Jahren umgesetzt werden können.“

Der Bundesverb­and Windenergi­e fordert zudem, erneuerbar­en Strom stärker für die Mobilität oder die Wärme- und Kälteerzeu­gung zu nutzen. Dies wären wichtige Beiträge, „um die Kosten zu begrenzen“, sagte Geschäftsf­ührer Wolfram Axthelm. Auch die Grünen pochen darauf, grünen Strom nicht einfach abzuregeln: „Es braucht alternativ­e Verwendung­smöglichke­iten für den Ökostrom“, sagt Baerbock. Ob zum Heizen oder im Verkehrsbe­reich – technische Möglichkei­ten existierte­n genug.

Baerbock zufolge bleiben solche Techniken fast ungenutzt: „Die Bundesregi­erung verschläft es, die alternativ­e Nutzung des Grünstroms für die Produzente­n wirtschaft­lich attraktiv zu gestalten.“Recht gibt ihr das neue Ranking internatio­naler Umweltorga­nisationen. Deutschlan­d ist hier abgerutsch­t: Im Klimaschut­z-Index liegt die Bundesrepu­blik nur noch auf Rang 27 – hinter Ländern wie Rumänien oder Indien.

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