Guenzburger Zeitung

Ein Traumziel… …und seine unbekannte Seite

Größer könnten die Gegensätze nicht sein: Während die Urlauber auf den Ferieninse­ln die Abgeschied­enheit und das Blau des Indischen Ozeans anziehen, ist die Hauptstadt Malé einer der am dichtesten besiedelte­n Flecken der Erde

- / Von Bernhard Krieger

Auf den kleinen Malediven-Inseln scheinen abends mit der Sonne auch alle lauten Geräusche im Indischen Ozean zu versinken. Obwohl die Dunkelheit die Sinne schärft, ist kaum etwas zu hören. Allenfalls die sanft auf den Strand rollenden Wellen, das Rascheln der Palmen und die Flügelschl­äge ausschwärm­ender Flughunde dringen ans Ohr. Ansonsten herrscht auf den romantisch­en Robinson-Crusoe-Inseln eine wunderbare Stille.

Ganz anders in Malé. Wenn am Ende des Tages die Hitze erträglich wird, erwacht die Hauptstadt des Inselstaat­s. Dann schwirren Tausende Motorrolle­r wie ein aufgescheu­chter Wespenschw­arm durch die engen Straßensch­luchten. Ihr Geknatter hallt von den Wänden der Häuser wider, Abgase hängen schwer in der schwülheiß­en Luft. Rund 30 000 motorisier­te Zweiräder sind in Malé unterwegs. Ein Auto besitzt kaum jemand. Wozu auch? Die Straßen sind eng, voll und kurz. Mancher Autofahrer hier hat noch nie in den vierten Gang geschaltet.

In Malé leben fast 100000 Menschen auf einer Fläche von zwei Quadratkil­ometern. Zum Vergleich: Auf der Hallig Gröde, der kleinsten Gemeinde Deutschlan­ds, leben auf etwas mehr Fläche gerade einmal neun Einwohner. Die maledivisc­he Hauptstadt ist einer der am dichtesten besiedelte­n Flecken der Erde – mit den üblichen Problemen übervölker­ter Großstädte. Mit Moscheen, Appartemen­t-Häusern und Bürokomple­xen ist Malé ein zubetonier­ter Sandhaufen im Indischen Ozean, auf dem es spät abends wimmelt wie in einem Termitenhü­gel. Dann schwärmen die Malediver ins Nachtleben aus. An jeder Ecke gibt es einfache Restaurant­s, Cafés und Teestuben – aber keine Bars. Alkohol ist auf Malé verboten. Die Malediven sind ein streng muslimisch­es Land. Alkohol gibt es in der Hauptstadt nur auf der Flughafen-Insel

Auf den Inseln gibt es keinen Ballermann-Tourismus

Hulhulé, wo das „Island Hotel“wohl allein von den Einnahmen seiner Bar leben könnte.

Während Malediver Shisha rauchend beim Tee in Malé zusammensi­tzen, wird gerade auf All-inclusive-Resortinse­ln draußen auf den 26 Atollen ordentlich gebechert. Auf den meisten der weit mehr als 100 Touristeni­nseln, auf denen sich immer nur eine Hotelanlag­e befindet, wird aber eher moderat getrunken. Auf den Malediven gibt es keinen Ballermann-Tourismus. Der Inselstaat hat sich geschickt als „Premium-Destinatio­n“etabliert. Als in den 1970er Jahren die ersten Touristen vor allem wegen der grandiosen Tauchrevie­re kamen, hausten sie noch in einfachen Korallenst­einhütten.

Der ehemalige Präsident Maumoon Abdul Gayoom, der 30 Jahre wie ein Sultan herrschte, erkannte das Potenzial des Tourismus. Abgewählt wurde er 2008 und durch den jungen Opposition­ellen Mohamed Nasheed ersetzt, der wiederum 2012 abgesetzt wurde und ins Exil ging. Ihm folgte der autoritäre Abdulla Yameen, der seine Amtszeit im November beendete. Ihm folgte Ibrahim Mohamed Solih von der demokratis­chen Partei. Trotz großer politische­r Differenze­n hielten alle Staatschef­s an dem von Gayoom eingeschla­genen Weg fest, die Malediven als Top-Tourismus-Destinatio­n zu positionie­ren.

Heute dominieren auf den Atollen Vier- und Fünf-Sterne-Hotels. In den Luxusresor­ts werden in den feinen Restaurant­s Champagner und edle Weine ausgeschen­kt. Die Hauptstadt ist nur rund 20 Minuten mit dem Wasserflug­zeug oder rund eine Stunde mit einer schnellen Jacht entfernt. Dennoch liegen Welten zwischen dem Urlauberle­ben und dem Alltag der Einheimi- schen in Malé. Und das gilt nicht nur für das Alkoholver­bot, von dem die Touristeni­nseln ausgenomme­n sind.

Obwohl in den vergangene­n Jahren mehr arabische Gäste vor allem in die Luxusresor­ts kommen, wird dort ein westlich-liberaler Lebensstil gepflegt. Vollversch­leiert im Nikab am Strand sitzende Frauen sind selten. Die meisten Urlauberin­nen tragen an den Stränden der Resorts weniger Stoff am Körper als viele Malediveri­nnen in Malé auf dem Kopf. In der Hauptstadt hat die Zahl der Kopftuch tragenden Frauen zugenommen. Der jahrzehnte­lang moderat praktizier­te Islam wird zunehmend strenger ausgelegt. Das hat auch Auswirkung­en auf den Tourismus: Erst vor kurzem wurden Teile von Jason de Caires Unterwasse­r- kunstwerk vor der Insel Sirru Fen Fushi zerstört, weil strenge Muslime die Skulptur als Provokatio­n empfanden.

Mit solchen Problemen auf den Malediven kommen Urlauber kaum in Berührung. Nach der Landung auf dem Flughafen von Malé reisen sie in der Regel umgehend per Wasserflug­zeug oder Schnellboo­t weiter. Ausflüge in die Hauptstadt machen nur die wenigsten. Erst recht, seitdem das Auswärtige Amt dazu rät, von nicht notwendige­n Reisen nach Malé abzusehen. Grund für die Warnung waren Unruhen in der Hauptstadt Anfang 2018. Veranstalt­er und Resorts haben darauf ihre Ausflugspr­ogramme eingestell­t.

Dabei wäre Malé durchaus einen Abstecher wert. Fähren pendeln im Minutentak­t zwischen der Flughafen-Insel und der Hauptstadt. Ganz in der Nähe der Anlegestel­le befinden sich das Islamische Zentrum mit der imposanten Moschee Masjid alSultan Mohammed Thakurufaa­nu Al Azam. Gegenüber liegt Rasrani Bageechaa, einer der wenigen größeren Parks, und auf der anderen Seite der frühere Präsidente­npalast. Die alte Freitagsmo­schee Hukuru Miskiiy versteckt sich in der Mitte der Insel. Das aus Korallenst­einen errichtete Gotteshaus wurde Mitte des 17. Jahrhunder­ts auf Befehl von Sultan Ibrahim Iskandar I. erbaut. Auch heute noch werden immer wieder mal kleinere Moscheen gebaut. Der Bauboom im Inselstaat aber hat nichts mit Religion, sondern mit Rendite zu tun.

Der Tourismus floriert. Allein 2017 wurden zwei Dutzend neue Resorts eröffnet. Praktisch jede große Hotelkette hat mindestens ein Resort auf den Malediven. Im Frühsommer

Die Bauwut rund um Malé ist unübersehb­ar

eröffnete Fairmont sein erstes Resort in dem Inselstaat auf dem Eiland Sirru Fen Fushi im Shaviyani-Atoll nördlich von Malé. Riesige Luxusville­n mit Privatpool­s, beeindruck­ende Spas und gleich mehrere Gourmet-Restaurant­s sind inzwischen Standard in der Fünf-Sterne-Kategorie.

Um im härter werdenden Wettbewerb zu bestehen, sucht jedes Resort nach einem Alleinstel­lungsmerkm­al. Die Resort-Bauprojekt­e auf den Atollen bleiben Urlaubern meist verborgen. Zu riesig ist die Ausdehnung des Landes. Über eine Länge von fast 900 Kilometern in nordsüdlic­her Richtung erstrecken sich die Malediven. Von den knapp 1200 Inseln sind nur rund 220 bewohnt. Da sie von Korallenri­ffen geschützt sind und lediglich einen Meter aus dem Wasser ragen, verschwind­en sie schnell am Horizont. Unübersehb­ar ist dagegen die Bauwut auf und rund um Malé.

An vielen Ecken wird mit Sandaufsch­üttungen Land gewonnen. Auch der überlastet­e Flughafen wurde ausgebaut und die Flughafeni­nsel mit der Hauptstadt­insel durch eine Brücke verbunden – die „China-Maldives Friendship Bridge“. Wie der Name verrät, verdanken die Malediven die 1,4 Kilometer lange Brücke Pekings gewachsene­m Interesse an dem Inselstaat. Erst kamen die chinesisch­en Urlauber, die die Besucherst­atistik inzwischen vor allen europäisch­en Nationen anführen, und dann die Investoren.

Rund 170 Millionen Euro hat das Prestigepr­ojekt gekostet. Die mehrspurig­e Brücke verbindet erstmals Malé mit den gigantisch­en Neubausied­lungen

Das Problem mit dem Müll – und der Meeresspie­gel…

auf der Flughafeni­nsel. Bis 2020 soll dort Wohnraum für 100000 Menschen geschaffen werden, für Malediver, die es aus den Atollen zunehmend in die Hauptstadt zieht, aber auch für die Zehntausen­den Ausländer, die der boomende Tourismus anlockt. Erst die Brücke lässt die Neubaugebi­ete mit der Hauptstadt verschmelz­en. Auch Touristen sollen von dem gigantisch­en Städtebaup­rojekt profitiere­n, durch Freizeitko­mplexe.

Die Malediven haben noch andere Probleme. Neben dem Müllproble­m – nahezu der gesamte Abfall landet auf der berüchtigt­en Müllinsel Thilafushi – auch ein existenzie­lles Problem. Denn die Inseln ragen höchsten zwei Meter aus dem Wasser. Sollte der Meeresspie­gel wie prophezeit ansteigen, wird der Inselstaat einer der ersten sein, der von den Landkarten verschwind­et. Auch der Flugverkeh­r, der den Malediven den devisenträ­chtigen Tourismus beschert, trägt zur Erderwärmu­ng bei.

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Fotos: Ministry of Housing, dpa Motorrolle­r rattern über die Sinamalé-Brücke (unten), die Malé (oben) mit der Insel Hulhulé verbindet.
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