Guenzburger Zeitung

Gelingt Macron noch ein Befreiungs­schlag?

Der französisc­he Präsident kommt der Protestbew­egung entgegen. Die aber ist noch nicht zufrieden – und in Brüssel droht schon der nächste Konflikt

- VON BIRGIT HOLZER red@augsburger-allgemeine.de

Emmanuel Macron hat nachgegebe­n, ohne zurückzust­ecken. Indem er bei seiner Rede an die Nation eine Erhöhung des Mindestloh­ns und eine Entlastung von Rentnern ankündigte, gelang dem französisc­hen Präsidente­n zumindest ein Überraschu­ngscoup. Er ging damit auf zwei zentrale Forderunge­n der „Gelbwesten“-Protestbew­egung ein, die dies als Teilsieg verbuchen kann. Aber auch aus Macrons eigenen Reihen gab es berechtigt­e Forderunge­n nach mehr Maßnahmen für sozialen Ausgleich, denen er nun unter Zwang entgegenka­m.

Zugleich behält er seine Linie bei, für die er gewählt worden ist. Er zielt auf die Entlastung der Unternehme­n in der Hoffnung, die Wirtschaft anzukurbel­n, und auf eine Generalübe­rholung des unübersich­tlichen Rentensyst­ems und der wenig effiziente­n Arbeitslos­enversiche­rung. Populär ist das nicht. Neue Proteste drohen, noch ehe die alten versiegt sind.

Macron hat sein politische­s Kapital auf seinem Modernisie­rungsversp­rechen aufgebaut. Und zwar auch in Brüssel, wo er mit Reformen und konsequent­em Schuldenab­bau seine Position als glaubwürdi­ger Partner zu stärken versuchte. Nun verschärft sich Frankreich­s budgetäre Situation durch die unvorherge­sehenen Milliarden­ausgaben, sodass die Regierung das Maastricht­er Neuverschu­ldungslimi­t reißen könnte – Macrons Opfer, um die aufgebrach­te Stimmung im Land zu beruhigen. Tatsächlic­h reagierten die „Gelbwesten“gespalten auf seine Ankündigun­gen. Einige erkennen die Zugeständn­isse an, während der harte Kern zu weiteren Protesten aufruft. Der Präsident setzt darauf, dass die Unterstütz­ung für die Widerstand­sbewegung zurückgeht, deren Aktionen auch blindwütig­en Randaliere­rn eine Bühne geliefert haben. Das führte nicht nur zu erschütter­nden Gewaltszen­en in Paris, sondern auch zu einem Quasi-Erliegen des öffentlich­en Lebens.

Zu Recht appelliert der Präsident auch an die Eigenveran­twortung der Bürger. Die Erwartungs­haltung vieler Franzosen an den Staat ist so groß wie der Verdruss darüber, dass er dieser ohnehin nicht gerecht wird. Dabei bietet er ihnen ein vergleichs­weise großzügige­s Sicherheit­snetz, was oft übersehen wird. Ob Macron der erhoffte Befreiungs­schlag gelingt und er seine Reformagen­da wie geplant vorantreib­en kann, wird das Ausmaß der Mobilisier­ung der „Gelbwesten“am Samstag zeigen. Frankreich­s Krise ist noch nicht zu Ende, zu tief liegen ihre Ursachen. Macron hat sich von den Bürgern entkoppelt, die ihm seinen abgehobene­n Regierungs­stil und seine Nähe zur Finanzund Wirtschaft­selite vorwerfen. Als vermeintli­cher Newcomer profitiert­e er bei seiner Wahl vom Verdruss über die traditione­llen Volksparte­ien, wie viele europäisch­en Länder sie gerade erleben. Doch auch Macron hat sein Verspreche­n nicht eingelöst, dem Land positivere Perspektiv­en aufzuzeige­n und eine demokratis­chere Politik zu machen. Im Gegenteil setzte er Maßnahmen teils per Dekret um und konsultier­te nur noch seinen engsten Mitarbeite­rkreis.

So fühlen sich viele Bürger von der Politik verlassen und ungerecht behandelt. Sie fürchten den sozialen Abstieg, während sich eine Minderheit bereichert: Gerade wurde bekannt, dass Renault-Chef Carlos Ghosn nicht nur jahrelang Millionen verdiente, sondern auch noch unter dem Verdacht steht, einen Teil seines Einkommen in Japan nicht versteuert zu haben. Ein System, das nach dem Gefühl vieler Franzosen zutiefst ungerecht ist, kann auch ein Präsident nicht in eineinhalb Jahren verändern. Doch insgesamt hat Emmanuel Macron bislang zu wenig getan. Entspreche­nd laut war der Aufschrei seiner Landsleute.

Viele Bürger fühlen sich von der Politik verlassen

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