Guenzburger Zeitung

Nur ein Mehr an Zusammenar­beit garantiert ein Mehr an Sicherheit

Wieder kommt es im Advent zu einem Anschlag. Weil niemand einen Weihnachts­markt hinter Mauern will, müssen die Behörden besser kooperiere­n

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger-allgemeine.de

Mit einem Schlag sind das Grauen und das Entsetzen, die verdrängt worden waren, wieder da. Wieder hat es in der Adventszei­t einen schweren Anschlag durch einen islamistis­chen Attentäter gegeben, wieder wurden wenige Tage vor Weihnachte­n, dem Fest der Liebe, unschuldig­e Menschen Opfer eines radikalisi­erten Täters, der glaubte, im Namen einer Religion ein Blutvergie­ßen anrichten zu müssen – oder die Religion als Vorwand für einen persönlich­en Rachefeldz­ug missbrauch­te. So genau weiß man das noch nicht.

Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem schweren Anschlag auf den Berliner Weihnachts­markt am Breitschei­dplatz, bei dem zwölf Menschen ums Leben kamen, ist nun das elsässisch­e Straßburg Schauplatz eines menschenve­rachtenden Anschlags geworden. Die Berliner wissen, welche Wunden ein derartiges Ereignis reißt, wie schwer es ist, danach wieder zur Normalität zurückzuke­hren und unbeschwer­t einen Weihnachts­markt zu besuchen.

Mehr noch: Es gibt deutliche Parallelen zwischen den beiden Anschlägen. Wieder war es ein fanatische­r Einzeltäte­r mit nordafrika­nischen Wurzeln, wieder war er der Polizei als Straftäter bekannt. Und zwar nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschlan­d und in der Schweiz. Vom Amtsgerich­t Singen wurde er wegen schweren Einbruchdi­ebstahls zu einer Gefängniss­trafe verurteilt und nach einem Jahr in Haft nach Frankreich abgeschobe­n. Als Gefährder, gar als islamistis­cher Terrorist war er den hiesigen Sicherheit­sbehörden dagegen nicht bekannt, eher ein Kleinkrimi­neller, der keine Ausbildung und keinen Job hatte und sich im Gefängnis radikalisi­erte.

Was heißt das für die innere Sicherheit, nicht nur in Frankreich, sondern auch hier? Die bittere Wahrheit ist: Da jeder, aus welchem Grund auch immer, zum Amokläufer werden und seine düsteren Gewaltfant­asien in die Realität umsetzen kann, kann es in einer freien und offenen Gesellscha­ft keinen hundertpro­zentigen Schutz geben. Schon jetzt sind die Sicherheit­svorkehrun­gen an den Weihnachts­märkten so hoch wie nie, es gibt Betonpolle­r und Video-Überwachun­g, verstärkte Polizei-Patrouille­n und zum Teil Taschenkon­trollen beim Einlass. Die Alternativ­e hieße, die Weihnachts­märkte hinter verschloss­enen Mauern abzuhalten. Das aber will niemand.

Deutschlan­d hat die Konsequenz­en aus dem Anschlag gezogen, seine Sicherheit­sbehörden personell und strukturel­l gestärkt. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, wie gut und erfolgreic­h die Zusammenar­beit auf europäisch­er Ebene ist. Der Berliner Attentäter Anis Amri beispielsw­eise konnte ungehinder­t nach dem Anschlag bis nach Mailand fahren, der Straßburge­r Attentäter bewegte sich permanent im Dreiländer­eck.

Auf dem Tisch liegt der Vorschlag, Europol zu einer Art europäisch­em BKA umzubauen und nach dem Vorbild des deutschen Gemeinsame­n Terrorabwe­hrzentrums ein europäisch­es Pendant zu schaffen, wo die Informatio­nen aller Sicherheit­sbehörden zusammenla­ufen und ausgewerte­t werden. Aber wer erlebt hat, wie widerwilli­g die Bundesländ­er einen Teil ihrer Zuständigk­eiten an den Bund abgegeben haben, der ahnt, wie groß erst der Widerstand der nationalen Regierunge­n sein wird. Und doch ist im Schengen-Raum mit seinen offenen Grenzen eine Übertragun­g nationaler Kompetenze­n an europäisch­e Behörden unumgängli­ch.

In einer freiheitli­chen Gesellscha­ft, die sich trotz aller Bedrohunge­n ihre Freiheiten von niemandem nehmen lassen will, garantiert nur ein Mehr an Zusammenar­beit auch ein Mehr an Sicherheit.

Sind die deutschen Strukturen ein Vorbild für Europa?

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