„Er war ein stinknormaler junger Mann“
Der deutsche Anwalt von Chérif Chekatt erinnert sich an seinen Mandanten
Herr Röder, als was für einen Menschen haben Sie den mutmaßlichen Attentäter Chekatt kennengelernt? Röder: Das wird Sie überraschen, aber als sehr zurückhaltenden, westlich orientierten Jugendlichen, mit den Interessen eines stinknormalen jungen Mannes. Auf meine Frage, wie er den Islam auslebe, hat er mir erzählt, dass er stolz darauf sei, noch nie Alkohol getrunken zu haben, keine illegalen Drogen zu konsumieren. Und er hat mich eindringlich gebeten, mit der Anstaltsleitung Kontakt aufzunehmen, damit sein Essen halal, zumindest ohne Schweinefleisch, sei. Es hat nichts darauf hingedeutet, dass er sich radikalisiert hätte, gar zu Terrorakten fähig ist. Er war unterhaltsam, hat mir französische Witze erzählt. Gab es noch andere Anhaltspunkte für Ihre Einschätzung?
Röder: Wissen Sie, wenn ich einen Salafisten oder radikalen Muslimen beschreiben müsste, würde ich an jemanden mit traditionellem Gewand und langem Bart denken, der den Koran eindringlich studiert und sich nicht von seiner Meinung abbringen lässt. Diesem Bild hat Chérif Chekatt aber so gar nicht entsprochen. Nicht einmal einen Bart trug er damals.
So wie Sie ihn beschreiben, klingt er ja regelrecht sympathisch. Seinem Vorstrafenregister zufolge war er allerdings schon damals auf der schiefen Bahn. Wie geht das zusammen? Röder: Wir hatten ein gewisses Problem: Das Ausland hat uns damals keine Akten zur Verfügung gestellt. Welche Straftaten der Strafliste genau vorlagen, wussten weder ich noch der Richter noch der Staatsanwalt. Was man aber sagen kann: So wie er sich in der öffentlichen Verhandlung gegeben hat, zurückgenommen, konzentriert dem Verlauf folgend, kann man schon zu der Erkenntnis kommen, dass es nicht gerade der erste Kontakt mit der Justiz war. Er wirkte etwas abgeklärt.
Wie haben Sie auf die Nachricht reagiert, dass Ihr ehemaliger Mandant zum Attentäter geworden sein soll? Röder: Das hat uns geschockt. Ich habe von dem Anschlag am Abend im Internet erfahren. Dass es sich bei dem Attentäter um einen ehemaligen Mandanten handelt, wusste ich nicht. Ich hätte ihn auch auf den Fotos nicht erkannt, er hat sich optisch ziemlich verändert. Als ich dann am anderen Morgen ins Büro kam, wurde ich von Journalisten abgefangen… Ehrlich gesagt: Wäre ich nicht von Journalisten darauf angesprochen worden, hätte ich davon bis jetzt keine Notiz genommen, weil ich mir den Namen nicht gemerkt hatte und weil das so ein Allerweltsfall war.
Interview: Angelika Wohlfrom
Thomas Röder hat in Singen eine Anwaltskanzlei. Als Strafverteidiger vertrat er Chérif Chekatt 2016 bei seinem Prozess vor dem Amtsgericht Singen. Es ging um den Einbruch in eine Apotheke in Baden-Württemberg.