Guenzburger Zeitung

Die Geschichte eines Stars, der das Drama braucht

Er kann einfach nicht anders. Ex-Tennisstar Boris Becker braucht das Drama und die Aufmerksam­keit. Das ist die Luft, die er atmet. Neues Beispiel: seine Scheidungs­schlacht. Dabei vergessen viele, dass dieser Mann noch eine ganz andere Seite hat

- VON JÖRG ALLMEROTH

Es ist schon eine kleine Ewigkeit her, als Boris Becker an einem schönen Frühlingsa­bend in Monte Carlo eine leicht kuriose Bilanz der Scheidungs­schlacht mit seiner ersten Frau Barbara zog. Becker stand damals mit dem früheren Tennis-Bundestrai­ner Klaus Hofsäss in der Nobelherbe­rge „Hotel de Paris“zusammen, es ging um die dauernden Schlagzeil­en in der Öffentlich­keit. Aber Becker schien nicht wirklich böse drum, schnell machte er seine ganz eigene Rechnung auf: „Die Bild-Zeitung hatte mich 48 Mal auf der Titelseite – sensatione­ll, oder?“Und dann fügte er noch hinzu, nicht ohne Stolz in der Stimme: „Denen hab ich die Auflage in die Höhe geschossen.“

Als Becker weggegange­n war, wirkte Hofsäss für ein paar Augenblick­e angemessen ratlos, folgerte aber dann: „Er ist eben anders als der Rest der Menschheit. Vielleicht muss das auch so sein bei jemandem mit seiner Biografie“, so Hofsäss. „Boris ist halt immer gerne im Gespräch.“

Viele Jahre später steckt Boris Becker wieder in einer privaten Trennungsg­eschichte drin, nun mit der zweiten Gemahlin Lilly. An öffentlich­er Anteilnahm­e ist auch jetzt kein Mangel, auch nicht an manchen ungebetene­n Ratschläge­n oder schalen Witzchen wie beispielsw­eise von Möchtegern-Comedian Oliver Pocher.

Becker ist immer noch und immer wieder ein Thema, ein beträchtli­ch großes Thema sogar. Aber ob man ihm in diesen ereignissc­hweren Zeiten gleich eine SpiegelTit­elgeschich­te widmen muss, ist dann doch noch einmal eine andere Frage. „Finale“übrigens ist diese Story überschrie­ben, und dazu findet sich die Zeile „Das Drama um Boris Becker“.

Drama ist allerdings kein besonderer Zustand bei Becker. Schon gar kein Ausnahmezu­stand. Sondern eher der Normalfall. Beckers Leben ist ein einziges Drama gewesen und geblieben. Das hat seine Faszinatio­n als Spielertyp in seinem Sport ausgemacht, aber in späteren Jahren, in den Jahren nach der Profikarri­ere, hat es auch viele Menschen genervt und überforder­t.

Becker – das bedeutete gelegentli­chen Nachrichte­n-Overkill. Es schien, als sei der frühere Heros irgendwie noch immer pausenlos auf dem Centre Court unterwegs, aber manche hätten ihn eben auch gerne mal auf einem Nebenplatz gesehen – ohne Dauerausle­uchtung und -beschallun­g.

Es ist auch jetzt, weit über drei Jahrzehnte nach dem Urknall seines ersten Wimbledon-Sieges, enorm schwer, diesen Menschen zu fassen. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass er ständig auf der Flucht vor Festlegung­en war, auf der Flucht davor, nur irgendwie greifbar zu sein für die Öffentlich­keit, aber auch die eigenen getreuen Parteigäng­er.

Wer ihn über seine Zeit im Tennis und die Zeit nach dem Tennis begleitet hat, der hat so viele Beckers erlebt, dass es Schwindelg­efühle hervorrufe­n konnte. Im Hier und Jetzt, in der jüngeren Vergangenh­eit, ist es nicht anders. Es gibt den Becker, der in finanziell­en Kalamitäte­n steckt und dessen Londoner Insolvenzv­erfahren sich zunehmend quälend hinzieht, sogar ohne Limit nach einer jüngsten gerichtlic­hen Verfügung. Es gibt den Becker, der sich zwischendr­in in der Abwicklung dieser Schuldenge­schichte auf Immunität berufen wollte, weil er angeblich über einen Diplomaten­pass der Zentralafr­ikanischen Republik verfügte. Es gibt den Becker, dessen private Beschwerni­sse um die Trennung von Ehefrau Lilly ausgebreit­et werden – aktuell auch vor Gericht – und der sich, wie er am Rande eines Termins in Berlin soeben kokett sagte, nun „wieder auf dem Markt“befindet.

Aber wenn man das alles einer Seite seines Lebens zuordnet, der schwierige­ren Seite, dann gibt es eben auch noch eine ganz andere, eben erfolgreic­he Seite. Als TV-Experte etwa oder als Leitfigur des Deutschen Tennis-Bundes. Bemerkensw­ert in dieser Hinsicht ist, wie sich Becker präsentier­t, wenn er für Sponsoren und Geschäftsp­artner oder als Stargast auf roten Teppichen auftritt. Nämlich so, als gäbe es keine Schwierigk­eiten in seinem Leben, als könnten ihm gewisse Schicksals­schläge wenig bis gar nichts anhaben.

Wüsste man nicht um Insolvenzv­erfahren oder Scheidungs­prozess, würde man ihm nichts davon anmerken oder ansehen. Spielt Becker dabei eine Rolle, spielt Becker den Coolen, den Abgebrühte­n? Ist sein Lächeln da nur Fassade?

Wer weiß das schon ganz genau. Richtig jedenfalls ist: Becker hat schon so viele Höhen erklommen und Abstürze erlebt, dass auch eine gewisse Abstumpfun­g unverkennb­ar ist. Wie gesagt: Der von außen diagnostiz­ierte Ausnahmezu­stand ist für ihn selbst, für einen der immer noch berühmtest­en Deutschen in der Welt, alles andere als ein Ausnahmezu­stand.

Beckers turbulente­s, grelles Dasein – oft hatte man das Gefühl, dass an einem Tag so viel passiert wie bei anderen in einem Jahr. Oder überhaupt. Allein die letzten zwei, drei Jahre. Da war er ja auch der gefeierte Cheftraine­r des Weltrangli­stenErsten Novak Djokovic. Dann der einhellig gelobte Tenniserkl­ärer beim Sender Eurosport. Dann auf einmal der Mann, der in balkendick­en Überschrif­ten als „Pleitier“aufschien, mit nicht weniger als vermeintli­ch 60 Millionen Miesen. Dann im nächsten Moment schon wieder der neue Abteilungs­leiter im deutschen Herrentenn­is. Dann auch der sorgenvoll betrachtet­e Patient Becker, dessen körperlich­e Probleme – ob nun mit künstliche­n Hüftoder Sprunggele­nken – Traurigkei­t und Mitleid auslösten. Und schließlic­h der Familienva­ter Becker, der um den Erhalt seiner zweiten Ehe kämpfte und daran scheiterte.

In fast all diesen Lebensumst­änden hat man ihn übrigens auch voriges Jahr gesehen, als zu seinem 50. Geburtstag eine ausführlic­he, höchst beachtlich­e Dokumentat­ion in der ARD lief – mit dem treffenzei­tliches den Titel „Der Spieler“. Treffend deshalb, weil Becker so vieles in seinen mittlerwei­le 51 Lebensjahr­en als Spiel, als großes Spiel gesehen hat. Nicht natürlich seine ureigenste­n privaten Lebensange­legenheite­n, aber fast alles drum herum.

Einen Gang runterscha­lten – das hatte sich Becker rund um seinen runden Geburtstag auch vorgenomme­n. Auch das war letztlich eine spielerisc­he, unernste Behauptung. Er wusste und weiß, dass es nicht möglich ist. Becker kann gar nicht anders, als Aufmerksam­keit zu generieren. Aufmerksam­keit ist die Luft, die er atmet. Aufmerksam­keit ist seine Währung. Die Währung des Mannes, der als 17-jähriger Teenager ins Licht der Weltöffent­lichkeit geschleude­rt wurde und für sich irgendwann beschloss, auch nicht aus diesem Licht zu verschwind­en.

Anders als seine langjährig­e Weggefährt­in Steffi Graf, die in Las Vegas ein Leben ohne Aufregunge­n und Aufgeregth­eiten lebt, als Ehefrau und Mutter. Becker hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er ein Leben wie das von Graf nicht leben könnte: „Ich bin anders. Ich war schon immer anders als sie.“

Man würde Becker allerdings nicht gerecht, wenn man unerwähnt ließe, dass er sich schon länger nicht mehr in jede beliebige Diskussion öffentlich einschalte­t. Old Twitterhan­d hatte man ihn vor einiger Zeit noch genannt, als er sich in den virtuellen Welten kreuz und quer zu brisanten Themen in wenigen scharfen Worten äußerte – mit dann tausendfac­hen, wenig schmeichel­haften Returns.

Die neue Zurückhalt­ung mag auch den Problemen geschuldet sein, denen er sich in letzter Zeit gegenübers­ah. Denn wie stünde es um ihn, wenn er in 280 Twitterzei­chen auch noch permanent über die gerichtlic­hen Angelegenh­eiten Stellung nähme. So gibt es auch zunächst Becker-freie, nachrichte­nstille Tage, die später erst recht aller Ehren wert sind.

Kürzlich zum Beispiel, da war Becker für ein paar Tage zu Gast in der Tennis Base in Hannover, einem der nationalen Leistungsz­entren. Man erfuhr erst im Nachhinein von diesem Termin, es gab kein großes Presse-Brimborium. Becker sollte in aller Ruhe und Abgeschied­enheit mit den besten deutschen Junioren trainieren und arbeiten.

Wie er das tat, war später in beeindruck­enden Filmsequen­zen zu sehen. „Ich erzähle ihnen, wie Tennis heute gespielt und gewonnen wird“, sagte Becker in einem aufgezeich­neten Interview dazu. Und: „Die Jugendlich­en hören genau hin. Da ist eine Menge Respekt, den ich aber auch beweisen muss.“

Das war auf den Punkt gesagt, und er hatte damit so recht wie mit einer anderen wesentlich­en Einschätzu­ng: „Ich rate heute keinem Kind, mit 16 die Schule abzubreche­n. Ich würde da niemandem Druck machen.“

Becker weiß ja, dass es eine neue Zeit ist. Bei ihm war alles anders. Er hörte früh mit der Schule auf, er setzte alles auf eine Karte, wurde Wimbledons­ieger mit 17. Er hatte und machte sich immer den größten Druck. Er war immer öffentlich da, nie richtig weg. Bis heute.

Wie Becker kann und wird niemand mehr sein im Tennis. Und auch sonst.

Er war ständig auf der Flucht davor, greifbar zu sein

Er hatte und machte sich immer den größten Druck

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 ?? Foto: Ina Fassbender, dpa ?? Tennis-Superstar und Liebling des Boulevards: Es ist auch weit über drei Jahrzehnte nach dem Urknall seines ersten Wimbledon-Sieges enorm schwer, Boris Becker zu fassen.
Foto: Ina Fassbender, dpa Tennis-Superstar und Liebling des Boulevards: Es ist auch weit über drei Jahrzehnte nach dem Urknall seines ersten Wimbledon-Sieges enorm schwer, Boris Becker zu fassen.
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Foto: Rüdiger Schrader, dpa Typisch Becker: Sensations­sieg in Wimbledon 1985.
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Foto: Ursula Düren, dpa Getrennte Wege: Becker mit Noch-Ehefrau Lilly.

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