Gelbwesten
Vom Pannenstreifen auf die Champs-Élysées, aus dem Kofferraum in die Weltpresse: Die Warnweste ist das Stück der Stunde. Demonstranten, die sie tragen, heißen jetzt Gelbwesten. Das leuchtende Signalgelb als Farbe des Protests eint und amalgamiert Menschenmassen. Das Neongelbe vom Ei ist die Gelbweste insofern, als sie sich als genial wirkungsvolles Band zum Zusammenschluss zigtausender Nichtorganisierter bewährt hat. Und schon wurde die Gelbweste mit der Jakobinermütze, dem Palästinensertuch und der Kapuzenjacke verglichen.
Der Aufstand in Frankreich hat einen unübersehbaren Gelbstich. Kurz dachte man darüber nach, ob eine solche Bewegung auch in Ostfriesennerzen vorstellbar wäre. Aber das wäre dann eine Verkleidung, zu schwer und zu lächerlich. Hingegen ist die Gelbweste ein leicht überzustreifendes Attribut, eine Art Kutte, wie sie Rocker über ihren Lederjacken tragen. Karl Lagerfeld hat im Rahmen einer Sicherheitskampagne in Frankreich für das Teil, das im Baumarkt nicht mehr als 1,99 Euro kostet, einmal geworben: „Sie ist gelb, sie ist hässlich. Sie passt zu nichts. Aber sie kann Leben retten.“Das wiederum gemahnt an eine andere Weste, die als Symbol der Flüchtlingsbewegung ebenfalls emblematischen Charakter erworben hat: die Schwimmweste.
Ob die billige Gelbweste als Uniform der Unzufriedenen auch Leben verändern kann? Das derer, die sich vom Steuerstaat ausgequetscht fühlen wie Zitronen. Das wird sich noch herausstellen. Und ob die Gelbwesten auch unser Gelbgefühl umfärben? Gelbsucht, Gelbfieber, Gelbvieh, Gelbwurz, Gelbwurst – diese Reihe ist aufgehellter und verlockender denkbar. Allerdings gehen die Meinungen über Gelb (an der Ampel ist Gelb die heikle Phase zwischen Stillstand und Fortschritt) auseinander.
Goethe, der sich intensiv mit Farben beschäftigte, wäre den Gelbwesten wohl zugetan. „So ist es der Erfahrung gemäß, dass das Gelbe einen durchaus warmen und behaglichen Eindruck macht. Das Auge wird erfreut, das Herz ausgedehnt, das Gemüt erheitert, eine unmittelbare Wärme scheint uns anzuwehen.“Eher alarmiert lässt sich Wassily Kandinsky vernehmen. „Gelb beunruhigt den Menschen, regt ihn auf und zeigt den Charakter der in der Farbe ausgedrückten Gewalt, die schließlich frech und aufdringlich auf das Gemüt wirkt.“Lebte der Pionier der abstrakten Kunst noch, eine Einladung in den Élyséepalast bei Macron wäre ihm mit dieser Visitenkarte sicher. Apropos: Macron wird seinen Nietzsche doch hoffentlich gelesen haben. „Ach, immer nur abziehende und erschöpfte Gewitter und gelbe späte Gefühle.“