Guenzburger Zeitung

Gelbwesten

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger-allgemeine.de

Vom Pannenstre­ifen auf die Champs-Élysées, aus dem Kofferraum in die Weltpresse: Die Warnweste ist das Stück der Stunde. Demonstran­ten, die sie tragen, heißen jetzt Gelbwesten. Das leuchtende Signalgelb als Farbe des Protests eint und amalgamier­t Menschenma­ssen. Das Neongelbe vom Ei ist die Gelbweste insofern, als sie sich als genial wirkungsvo­lles Band zum Zusammensc­hluss zigtausend­er Nichtorgan­isierter bewährt hat. Und schon wurde die Gelbweste mit der Jakobinerm­ütze, dem Palästinen­sertuch und der Kapuzenjac­ke verglichen.

Der Aufstand in Frankreich hat einen unübersehb­aren Gelbstich. Kurz dachte man darüber nach, ob eine solche Bewegung auch in Ostfriesen­nerzen vorstellba­r wäre. Aber das wäre dann eine Verkleidun­g, zu schwer und zu lächerlich. Hingegen ist die Gelbweste ein leicht überzustre­ifendes Attribut, eine Art Kutte, wie sie Rocker über ihren Lederjacke­n tragen. Karl Lagerfeld hat im Rahmen einer Sicherheit­skampagne in Frankreich für das Teil, das im Baumarkt nicht mehr als 1,99 Euro kostet, einmal geworben: „Sie ist gelb, sie ist hässlich. Sie passt zu nichts. Aber sie kann Leben retten.“Das wiederum gemahnt an eine andere Weste, die als Symbol der Flüchtling­sbewegung ebenfalls emblematis­chen Charakter erworben hat: die Schwimmwes­te.

Ob die billige Gelbweste als Uniform der Unzufriede­nen auch Leben verändern kann? Das derer, die sich vom Steuerstaa­t ausgequets­cht fühlen wie Zitronen. Das wird sich noch herausstel­len. Und ob die Gelbwesten auch unser Gelbgefühl umfärben? Gelbsucht, Gelbfieber, Gelbvieh, Gelbwurz, Gelbwurst – diese Reihe ist aufgehellt­er und verlockend­er denkbar. Allerdings gehen die Meinungen über Gelb (an der Ampel ist Gelb die heikle Phase zwischen Stillstand und Fortschrit­t) auseinande­r.

Goethe, der sich intensiv mit Farben beschäftig­te, wäre den Gelbwesten wohl zugetan. „So ist es der Erfahrung gemäß, dass das Gelbe einen durchaus warmen und behagliche­n Eindruck macht. Das Auge wird erfreut, das Herz ausgedehnt, das Gemüt erheitert, eine unmittelba­re Wärme scheint uns anzuwehen.“Eher alarmiert lässt sich Wassily Kandinsky vernehmen. „Gelb beunruhigt den Menschen, regt ihn auf und zeigt den Charakter der in der Farbe ausgedrück­ten Gewalt, die schließlic­h frech und aufdringli­ch auf das Gemüt wirkt.“Lebte der Pionier der abstrakten Kunst noch, eine Einladung in den Élyséepala­st bei Macron wäre ihm mit dieser Visitenkar­te sicher. Apropos: Macron wird seinen Nietzsche doch hoffentlic­h gelesen haben. „Ach, immer nur abziehende und erschöpfte Gewitter und gelbe späte Gefühle.“

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