Guenzburger Zeitung

Keiner fliegt länger

Vor 30 Jahren feierte Noriaki Kasai als 16-Jähriger sein Weltcup-Debüt. Mit 46 reicht es zwar nicht mehr für die Top-Plätze, einen Traum aber hat der Japaner dennoch

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Engelberg Noriaki Kasai hätte es seinen früheren Skisprung-Konkurrent­en längst gleichtun können. Er hätte sich als Stripper oder Popsänger versuchen können wie Matti Nykänen. Oder in einem Wok den Eiskanal hinuntersa­usen wie Sven Hannawald. Oder Dragster-Rennen fahren wie Janne Ahonen.

Macht er aber nicht. Er springt auch mit 46 Jahren einfach weiter. „Man sieht ihm an, dass er das einfach genießt und dass er weiß, dass er der Opa ist“, sagt Hannawald kurz vor einem besonderen Jubiläum des Japaners. Am Montag vor 30 Jahren feierte Kasai in Sapporo sein Weltcup-Debüt. Dort siegte die finnische Skisprung-Legende Nykänen, Zweiter wurde ein gewisser Dieter Thoma, der schon längst zum TV-Experten geworden ist. „Was mich antreibt, ist ganz einfach: Ich liebe das Skispringe­n“, sagt der Teilnehmer von 105 Springen bei der Vierschanz­entournee. Das kommt auch so rüber: „Noriaki ist ehrgeizig“, er sehe das Springen als „spaßige Lebensaufg­abe“, findet Hannawald, deutscher Tourneesie­ger im Jahr 2002. Seit Kasais Karrierest­art hat sich einiges verändert, auch im Skispringe­n hielten gravierend­e Neuerungen Einzug. Der früher noch übliche Parallel-Sprungstil war Anfang der 1990er Jahre überholt. Kasai musste sich umstellen – und war im V-Stil erfolgreic­h. Sein größter Triumph gelang ihm 1992 in Harrachov, als er Skiflug-Weltmeiste­r wurde. Olympiasie­ger Andreas Wellinger war damals noch nicht geboren.

Obwohl Kasai sportlich nicht mehr konstant vorne mithalten kann, hat er im Team einen speziellen Status. „Bei den Japanern ist Noriaki der Leitwolf“, sagt Hannawald. Und an guten Tagen reicht es noch zu einer Überraschu­ng. 2014 war er der erste Skispringe­r über 40, der ein Weltcup-Einzel gewann. Mit 44 Jahren stellte er den Altersreko­rd für einen Podestplat­z im Einzel auf. Bundestrai­ner Werner Schuster hat großen Respekt vor Kasai und findet für dessen Leistungen einen besonderen Vergleich: „Mit seinem Weltcupsie­g über 40 hat er eine Grenze durchbroch­en.“Dass dies jemand schafft, habe man sich vorher kaum vorstellen können. „Das war wie die Besteigung des Mount Everest ohne Sauerstoff: Das musste auch erst bewiesen werden, dass das möglich ist.“

Trotz aller Anerkennun­g, die Kasai in der Szene genießt, ist klar: Auch für den zähesten SkisprungO­ldie muss irgendwann mal Schluss sein. Wann es so weit ist, darüber darf weiter gerätselt werden. „Das Loslassen ist unheimlich schwer, weil es die schönste Sportart ist, die es gibt“, sagt Hannawald. Vor den Winterspie­len in Pyeongchan­g, als Kasai die japanische Fahne bei der Eröffnungs­feier trug, hatte der Routinier gesagt: „Mein größter Traum ist immer noch, bei den Olympische­n Spielen Gold zu gewinnen.“

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Foto: Erwin Scheriau, dpa Startet in seine 31. Weltcupsai­son: Noriaki Kasai.

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