Guenzburger Zeitung

„Ich bin Engländer – und Europäer“

Die Europäisch­en Filmpreise 2018 sind vergeben Interview Der britische Schauspiel­er Ralph Fiennes hat in Sevilla die Auszeichnu­ng für seinen „Beitrag zum Weltkino“erhalten. Er schätzt diesen Preis aus besonderem Grund

- Interview: Patrick Heidmann

Mr. Fiennes, kürzlich hielten Sie eine kleine Rede, in der Sie dringlich davor warnten, in Zeiten wie diesen nicht zu vergessen, was Filme bewegen können. Kann Kino die Welt retten?

Ralph Fiennes: Wer weiß, vielleicht kann es das? Diese Rede war sehr spontan: Man bat mich um ein paar Sätze, bevor das Buffet eröffnet wurde – und ich sprach einfach über etwas, was mich derzeit umtreibt. Ich glaube, dass Filme ein hervorrage­ndes Mittel der Kommunikat­ion sind, denn sie erreichen im Idealfall ein großes Publikum und sind in der Lage, wichtige Botschafte­n im großen Stil zu vermitteln. Nicht umsonst wurde das Kino immer wieder für Propaganda-Zwecke vereinnahm­t. Was wir im Moment politisch erleben, ist in meinen Augen eine Krise der Demokratie, überall kommen mächtige autoritäre und nationalis­tische Regierunge­n an die Macht. Deswegen ist es wichtiger denn je, dass wir Filmemache­r in und mit unseren Arbeiten das Humanitäre stärken. Mag sein, dass mir da nicht jeder zustimmt, doch ich spüre das geradezu leidenscha­ftlich als meine Pflicht.

Was bedeuten Ihnen Ehrungen wie der Europäisch­e Filmpreis?

Fiennes: Es ist immer schmeichel­haft, einen Preis zu bekommen, allerdings darf man auch der eigenen Eitelkeit nicht zu viel Raum geben. Außerdem sind solche Auszeichnu­ngen ja immer etwas, das sich auf vergangene Arbeiten bezieht. Das ist nett, aber ich als Künstler bin eher hungrig nach mehr Arbeit, als dass ich ein Fan der Retrospekt­ive wäre. Und ich bin nicht unbedingt davon überzeugt, dass man durch den Gewinn eines Preises mehr Jobs bekommt. Deswegen nehme ich solche Ehrungen dankbar an, richte meinen Blick anschließe­nd aber auch sofort wieder in die Zukunft. Wobei ich nicht leugnen kann, dass gerade dieser europäisch­e Preis schon etwas Besonderes ist.

Warum?

Fiennes: Ganz einfach, weil ich fürchte, dass dieses Gebilde, das wir Europa nennen, ein sehr wichtiges ist. Und ausgerechn­et meine Heimat steckt bekanntlic­h und beschämend­erweise in einer großen Identitäts­krise, was das Verhältnis zu Europa angeht. Ich bin Engländer, aber fühle einen starken Bezug zu einer gewissen europäisch­en Mentalität und Kultur. Selbstvers­tändlich bin ich kein Wirtschaft­sexperte, und ich kann nichts sagen zu den Fehlern, die das europäisch­e System sicherlich auch hat. Aber insgesamt bin ich doch sicher, dass der dahinter stehende Zusammenha­lt, der gemeinsame Kampf für eine transparen­te, liberale Demokratie immer etwas Gutes war. Gerade jetzt ist es wichtig, sich intensiv darüber auszutausc­hen, was Europa heute noch bedeutet, und dass England nun nicht mehr mit am Tisch sitzen wird, um darüber zu diskutiere­n, macht mich traurig. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir eigentlich Teil der europäisch­en Stimme sein sollten. Und von daher ist mir auch dieser Europäisch­e Filmpreis so viel wert. Denn er zeigt, was ich fühle: dass ich Europäer bin!

Ihr neuer Film „The White Crow“, den Sie auch als Regisseur verantwort­et haben, erzählt nicht nur von Ballett-Legende Rudolf Nurejew, sondern auch vom Kalten Krieg. Sehen Sie da Parallelen zu aktuellen politische­n Entwicklun­gen? Fiennes: Die Frage ist natürlich nicht uninteress­ant, aber doch auch nicht so ohne Weiteres zu beantworte­n. Ich sehe natürlich große Spannungen zwischen Russland und meiner Heimat, auch zwischen Russland und der EU. Das ist nicht das Gleiche wie damals, allerdings auch nicht unerheblic­h, denn in Russland herrscht auch heute noch ein starker Sinn für nationale Identität. Und genau wie früher ist es wieder ein großes Thema, was kulturell akzeptiert wird – und wie sich in diesem Kontext die Freiheit des Individuum­s zur Ideologie des Staates verhält. Als „The White Crow“Premiere beim London Film Festival feierte, war es mir deswegen ein Anliegen, meinen Kollegen Kirill Serebrenni­kow zu erwähnen, der in Russland unter Hausarrest steht. Die Vorwürfe, denen er sich konfrontie­rt sieht, erscheinen mir sehr undurchsic­htig, und er ist jetzt schon ziemlich lange kein freier Mann mehr, ohne dass ihm bislang der Prozess gemacht worden wäre. Und da er ja selbst ein Ballett-Stück über Nurejew inszeniert­e, das zunächst abgesagt worden war, aber dann doch noch aufgeführt werden durfte, gab es sogar einen Bezug zu meinem Film.

Sie selbst haben bei „The White Crow“nicht nur Regie geführt, sondern spielen auch eine Nebenrolle als BallettLeh­rer. Zeigt sich da eine gewisse Kontrollsu­cht?

Fiennes: Würde ich nicht sagen. In meinen ersten beiden Regiearbei­ten habe ich jeweils auch die Hauptrolle gespielt und das als großen Stress empfunden. Deswegen wollte ich dieses Mal eigentlich gar nicht vor der Kamera stehen. Als es dann allerdings darum ging, das Geld für „The White Crow“aufzutreib­en, wurde mir von meinen Produzente­n klar gemacht, dass es schon sehr hilfreich wäre, ich würde auch eine Rolle übernehmen. Einfach, weil der Großteil meines Ensembles aus russischen Schauspiel­ern bestand, die in den meisten Ländern nicht unbedingt als zugkräftig­e Namen gelten dürften.

2019 ist es 25 Jahre her, dass „Schindlers Liste“in die Kinos kam. Welche Bedeutung hat der Film für Sie? Fiennes: Eine Riesige, die sich kaum in Worte fassen lässt. Was natürlich zum einen an dem Film selbst und seinem Thema liegt, aber zum anderen eben auch an Steven Spielberg und der Leidenscha­ft, mit der er dieses Projekt umsetzte. Es war ganz deutlich für alle Beteiligte­n zu spüren, dass dies für ihn kein Film wie jeder andere war, sondern einer, den er einfach drehen musste. Davon abgesehen stellte „Schindlers Liste“für mich natürlich einen berufliche­n Wendepunkt dar. Das war einer meiner ersten Filme überhaupt, und gleich dafür für den Oscar nominiert zu werden, war bemerkensw­ert. Wenn man als junger Schauspiel­er in einem Film mitwirkt, der so viel Beachtung findet, steht man plötzlich auch selbst im Rampenlich­t und im Mittelpunk­t des Interesses – und das ist natürlich eine fantastisc­he Erfahrung. Ich habe die Zeit damals sehr genossen.

 ?? Foto: Jun Sato, Getty Images ?? „Es ist wichtiger denn je, dass wir Filmemache­r mit unseren Arbeiten das Humanitäre stärken“: Ralph Fiennes.
Foto: Jun Sato, Getty Images „Es ist wichtiger denn je, dass wir Filmemache­r mit unseren Arbeiten das Humanitäre stärken“: Ralph Fiennes.

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