Damrau begeistert in New York und Günzburg
Liveoper In zwei voll besetzten Kinosälen war hier die Übertragung von Verdis La Traviata aus der Met zu erleben. Von großen Gefühlen auf der Leinwand und einer großartigen Hauptdarstellerin
Günzburg La Traviata, Giuseppe Verdis tränenreichste BelkantoOper in einer Neuinszenierung an der New Yorker Met: Die Bühne, ein kreisförmiger Raum, bestückt mit Inventar aus der Pralinenschachtel des Rokokozeitalters. Opulenter Salon, pompöser Kronleuchter, die Wände ziert verschnörkelt vergoldetes Blumenrelief-Geranke und in der Mitte thront, drei Akte beherrschend, ein formidables Bett.
Dreh- und Angelpunkt des Geschehens? Nein! Gott sei Dank nicht! Denn das ist, vorweg schon sei es behauptet, eine Diana Damrau in Grandezza-Form. Der Anfang beginnt mit dem Schluss. Nicht neu, aber immer wieder zutiefst berührend. Violetta Valéry, „Grande dame“einer Gesellschaft mit fragwürdiger Noblesse, auf ihrem, in schummeriges Halbdunkel gehüllten Sterbebett liegend.
Verdis kurzes Vorspiel sind Klänge von berückender Zartheit. Ätherisch, überirdisch nehmen sie den Tod der Edelkurtisane voraus, der am Ende der Oper steht. Leidenschaftlich stimmen die Geigen mit innigstem Ausdruck die große Liebesmelodie an, die im gesamten Werk leitmotivisch und stets bedeutungsvoll verwendet wird. Und die nicht zuletzt Auslöser ist für eine Diana Damrau, die aufgrund ihrer sängerdarstellerischer, begeisternde Opernfunken schlagender Gestaltungskraft, ihre Kreativität zu unge- hemmt fließender Bravour kultiviert. Mit beneidenswerter Selbstsicherheit, ohne aufgesetzte Beschönigungstendenzen, mal auf stimmschmelzendem Weltschmerz-Pianissimo dahinschwebend, mal in ekstatisch-rasanten Bravournummern auftrumpfend, und nahezu immer die Grenzen tränenfeucht polierter Glückspillenabgründe auslotend.
Herrlich ausgekostet die zarten Schlenker, die pointierte Koketterie mit der sie das Liebeswerben ihres Verehrers Alfredo Germont (Juan Diego Flóres) pariert. Einen halben Akt lang, bevor sie seinem etwas bemühten „Trinklied“, oder der „Un di, felice, etera“-Schmuse-, Schmacht- und Verführungsarie mit koloraturfurios bestücktem, lebensfreudig selbstbestimmendem „Sempre libera“entgegen tritt; und im zweiten Akt seinem tenoral lyrisch anschmiegsamen und freudig herzbewegenden „De’ miei bollenti spiriti“dann doch erliegt. In der ersten Strophe ohne, in der zweiten – tenorale Pflichtübung! – mit hohem C. Obwohl es gar nicht in der Partitur steht.
Auftritt Vater Germont (Quinn Kelsey), ein Parade-Bariton mit hinreißend samtenem Glanz in wuchtigem Stimmformat: Die Rettung der Familienehre und die des Sohnes aus liederlichem Lotterleben ist sein Begehr. Wozu aber hat Papa sein schweigsam blasses Töchterchen –Typ Papis Buttermilchengel – ins sündige Haus einer Lebedame zweifelhafter Edelauslese mitgebracht? Ein ungelöstes Rätsel der Regie.
Nichtsdestoweniger, die Szene wird mit einigen der schönsten Verdi-Duette zum Glanzstück der Aufführung. Germont/Violetta vereint in betörendem Klang. „Weine, weine“klingt es aus Germonts Herz, doch seinem Verlangen nach Trennung von ihrem Liebhaber schleudert Violetta ein dramatisch aufgeheiztes, aus tiefster Seele stürmendes „No, mai“(„Niemals!“) entgegen. Ein Aufschrei mit Gänsehauteffekt. Unvermeidbar. Wie auch im aus unsentimentalen Schleiern leidgeprägter Liebe geflochtenen Lebensabschied. Mit einem letzten, virtuos überwältigenden Spitzenton ins vermeintliche Leben zurückgekehrt und – Hand in Hand mit dem Tod – in Verdis Unsterblichkeit eingehend.
Als Pausenfüller eine Filmsequenz aus der Probenarbeit des neuen Musikdirektors der Met, dem Kanadier Yannick Nézet-Seguin, mit dem Günzburger Sopranstar. Ein Kollegenpaar das sich vermutlich nicht gesucht, aber zum Glück gefunden hat. Ein Herz und eine Stimme. „Er ist wie ein Bruder“, schwärmt sie und er steigert sich von Brava zu Bravissimi angesichts ihrer stimmlich und darstellerisch überragenden Bühnenpräsenz.
Bewundernswert das Klangvokabular, der atemberaubende Drive, mit dem er das Orchester zu prallem Klang aufblühen lässt. Obwohl – zu Beginn war er auf der Suche nach der Langsamkeit auch ziemlich erfolgreich.
In welchem Jahrhundert befinden wir uns nochmals? Nun, wer das 21. an der Met sucht, wird schwerlich fündig. Und in der Traviata schon gar nicht. Klischeesatter Nostalgieglamour im Spätblühemodus. Egal. Große Oper. Große Gefühle. Großes Kino. Und eine Herzkönigin des Koloratursoprans, vom New Yorker Publikum verehrt, beklatscht und bejubelt. Diana, die Große eben.