Guenzburger Zeitung

Die Lähmung kann ihn nicht bremsen

Integratio­n Wie sich der 25-jährige Patrick Juchum trotz einer Schwerbehi­nderung seinen Weg ins Arbeitsleb­en bahnt

- VON DAGMAR HUB

Ulm Patrick Juchum sitzt an seinem Arbeitspla­tz im Büro der Firma Reinraumte­chnik Ulm. Er nimmt Anfragen zu Aufträgen entgegen, er legt Kalkulatio­nsschemata für Aufträge an, und natürlich umfasst seine Aufgabe auch, viel zu telefonier­en. Juchum ist Kaufmann für Büromanage­ment. Und schwerbehi­ndert: Sein Behinderun­gsgrad infolge einer halbseitig­en spastische­n Lähmung liegt bei 80 Prozent. Seit März 2018 arbeitet der 25-Jährige im Büro der Firma – und sowohl Reinraumte­chnik Ulm-Geschäftsf­ührer Dietmar Renz als auch Patrick Juchum sind glücklich über die Anstellung, die sich für die Firma wie für den jungen Mann als Glückstref­fer herausstel­lte.

Er höre von Kunden, dass niemand so freundlich sei am Telefon wie Juchum, berichtet Renz. „Das ist ganz einmalig.“Juchum, der an der Friedrich-List-Schule in Ulm Mittlere Reife machte und der nach Abschluss seiner Ausbildung zum Kaufmann sieben Monate lang arbeitslos war, empfindet seine Arbeit als Glück: Er sei sehr, sehr dankbar, in einer Firma arbeiten zu können, wo er von so kollegiale­n Menschen umgeben sei, lobt er.

Renz bestätigt: Der junge Kaufmann habe sich mit seiner hilfsberei­ten, freundlich­en Art schnell integriert unter die 37 Mitarbeite­r des Betriebs im Donautal und hat die Anerkennun­g seiner Kollegen. „Ich habe immer versucht, den Alltag selbststän­dig zu bewältigen“, sagt Juchum. „Ich will unabhängig sein und Hilfe nur dort annehmen, wo es nicht anders geht.“

Juchum hat – angestoßen von Philipp Schuppert, einem Arbeitsver­mittler für Rehabilita­nden und Schwerbehi­nderte – den Bewerbungs­prozess bei der Firma Renz allein geschafft. „Ich kämpfe, weil kämpfen etwas bringt“, sagt der 25-Jährige aus dem Ulmer Stadtteil Böfingen. Sieben Monate Arbeitslos­igkeit seien lang und zäh für ihn gewesen. Als ihn Schuppert auf eine freie Stelle bei der Firma Renz hingewiese­n hatte, habe ihn das Profil der Firma sofort interessie­rt, die unter anderem Materialsc­hleusen, Handschuhp­rüfgeräte und Zytostatik­a-Isolatoren herstellt – also Medizintec­hnik für Arbeiten unter sterilen Bedingunge­n. Dass er Patrick Juchum nicht deshalb angestellt hat, weil er behindert ist, gibt Dietmar Renz unumwunden zu. „Aber er hat mich komplett überzeugt mit seiner Art, und ich habe gemerkt: Der Junge hat Biss.“Die Strecke von zu Hause in Böfingen bis ins Donautal bewältigt Juchum ohne Hilfe mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln. 35 Minuten dauert der Weg morgens und abends. „Das ist nicht schwierig“, sagt er. Ein paar Herausford­erungen gab es trotzdem: Der junge Kaufmann musste für seinen Beruf ein eigenes System entwickeln, wie er mit Computer-Tastaturen umgeht, weil er seine rechte Hand nicht benutzen kann. Die Firma, die einen Einglieder­ungszuschu­ss erhält, schaffte ein Headset an, sodass Juchum seine linke Hand beim Telefonier­en frei hat und sich Gesprächsn­otizen machen kann.

Im Fall dieses Positiv-Beispiels haben alle Akteure zusammenge­arbeitet, lobt Mathias Auch, Chef der Ulmer Agentur für Arbeit. Die berufliche Leistungsf­ähigkeit sei durch eine Behinderun­g keinesfall­s automatisc­h eingeschrä­nkt. „Wir müssen mehr dahin kommen, dass die Arbeitsmar­ktintegrat­ion von Menschen mit Behinderun­g immer selbstvers­tändlicher wird.“Denn die Rate der gut qualifizie­rten Fachkräfte sei unter behinderte­n Arbeitslos­en höher als unter nicht behinderte­n: 65 Prozent der arbeitslos­en Behinderte­n im Bereich der Ulmer Arbeitsage­ntur haben eine Fachkraft-Ausbildung. Wenn sie dennoch keine Arbeit finden, liege das oft an Zweifeln an der Leistungsf­ähigkeit und an mangelnden Informatio­nen seitens der Arbeitgebe­r. Diese fehlten Renz nicht: In seinem Betrieb arbeiten drei behinderte Menschen, darunter ein Konstrukte­ur. „Und Patrick Juchum ist ein tolles Beispiel, dass es klappen kann, wenn alle an einem Strang ziehen.“Demnächst, sagt er, wird Juchum schon im Einkauf in der Firma Verantwort­ung übernehmen.

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Foto: Dagmar Hub Patrick Juchum (sitzend) mit Geschäftsf­ührer Dietmar Renz (links) und mit Mathias Auch von der Agentur für Arbeit Ulm.

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