Guenzburger Zeitung

Chaos vor der Abstimmung über den Brexit

Brüssel hält Verschiebu­ng des Austritts für möglich. Aber würde mehr Zeit helfen?

- VON DETLEF DREWES UND KATRIN PRIBYL

Brüssel/London Am Tag der Abstimmung über den zwischen Brüssel und London ausgehande­lten Brexit-Deal gilt eine Niederlage der Regierung von Premiermin­isterin Theresa May schon als ausgemacht. Weit weniger klar scheint indes, wie es danach weitergeht. Die EU hält sogar eine Verschiebu­ng des Brexits über das vorgesehen­e Austrittsd­atum 29. März hinaus für möglich. Diplomaten in Brüssel ließen jedenfalls durchsicke­rn, dass die EU ernsthaft über diesen Schritt nachdenkt, der Juli wird als möglicher Termin genannt. May hätte dann einige Monate mehr zur Verfügung, um ihre Leute zu überzeugen.

Ob aber Zeit das Problem in Westminste­r löst, erscheint derzeit zweifelhaf­t. Zu groß ist der Widerstand im in der Europafrag­e völlig zerstritte­nen britischen Parlament – sowohl in Theresa Mays eigenen konservati­ven Reihen als auch bei der opposition­ellen Labour-Partei. Der Premiermin­isterin ist es nie gelungen, einen Konsens für ihre Brexitplän­e zu erarbeiten. Spekuliert wird deshalb eigentlich nur noch darüber, wie schlimm die Niederlage für May ausfällt. Etwa 100 Abgeordnet­e aus ihrer eigenen Fraktion haben angekündig­t, dagegen zu stimmen. Doch schafft es das Scheidungs­abkommen heute nicht durchs Unterhaus, steigt auch das Risiko eines chaotische­n Brexit mit dramatisch­en Konsequenz­en für viele Lebensbere­iche. Dieses Szenario wollen beide Verhandlun­gsseiten unbedingt vermeiden.

Zwar hat May eine Verschiebu­ng des Brexit gestern gleich wieder zurückgewi­esen, aber das könnte – so war in Brüssel zu hören – auch ein taktisches Manöver sein. Schließlic­h wäre es politisch wenig klug, schon vor der Abstimmung heute Abend einen Plan B offenzuleg­en.

Trotzdem sind die Überlegung­en aus Brüssel zumindest überrasche­nd, würden sie die Gemeinscha­ft doch selbst ins Chaos stürzen. Schließlic­h wählen die 27 Mitgliedst­aaten zwischen dem 23. und 26. Mai ein neues Europäisch­es Parlament, das frühestens Anfang Juli zu seiner ersten Sitzung zusammenko­mmen kann. Es ist deutlich kleiner (nur 703 statt 751 Mitglieder), weil die Briten dann schon nicht mehr dabei sind. Und wenn doch? Hinzu kommt: Wirklich arbeitsfäh­ig dürfte die Volksvertr­etung erst im Herbst sein – so lange dauert es, bis alle Fraktionen gebildet und die Aufgaben und Ausschüsse verteilt sind. Auch die EU-Kommission steht dann kurz vor dem Ablauf ihrer Amtsperiod­e. Ratspräsid­ent Donald Tusk hört ebenso wie Kommission­schef Jean-Claude Juncker auf – die Briten hätten in Brüssel keinen mit Kompetenze­n ausgestatt­eten Ansprechpa­rtner.

Der schwäbisch­e CSU-Europaabge­ordnete Markus Ferber hält nichts von einer Verschiebu­ng des Brexit. „Ich sehe nicht, wie man in dieser Zeit die Probleme lösen kann“, sagte Ferber unserer Redaktion. Ein neuer Vertrag könne schon gar nicht ausgehande­lt werden. Die Haltung der EU sei klar. Im Übrigen hätten die Briten mit der Abgabe ihres Antrags das Austrittsd­atum 29. März 2019 selbst festgelegt. Der Spitzenkan­didat der konservati­ven Europäisch­en Volksparte­i (EVP) für die Europawahl, Manfred Weber (CSU), appelliert­e an das britische Unterhaus, dem Vertrag heute zuzustimme­n.

Premiermin­isterin Theresa May bewegte unterdesse­n EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker und Ratspräsid­ent Donald Tusk zu neuen Zusicherun­gen. Die in Großbritan­nien umstritten­e Garantie für eine offene Grenze, der sogenannte Backstop, wird nun als reine Rückversic­herung dargestell­t, die möglichst nie genutzt werden solle. In der Substanz dürfte der neue EUBrief allerdings nichts ändern.

»Leitartike­l und Dritte Seite

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