Hetzer muss zur Strafe nach Dachau
Richter schickt Mann in KZ-Gedenkstätte
Herr Henle, Sie sind Chef des Amtsgerichts Günzburg und haben kürzlich einen Angeklagten zu einem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Dachau verpflichtet. Er hatte Menschen als „Kümmeltürken“beschimpft und geschrieben: „Ihr gehört nach Dachau.“Warum machen Sie das?
Walter Henle: Ich glaube, dass es Eindruck macht, die Atmosphäre dort zu erleben. Eigentlich würde ich die Verurteilten gerne nach Berlin ins jüdische Museum schicken.
Warum ausgerechnet dorthin?
Henle: Das jüdische Museum hat ein Konzept, bei dem man nicht das komplette Grauen als Ganzes, sondern anhand von einzelnen Opfern erfährt. Da gibt es Schubladen mit Häftlingsnummern, in denen sich Bilder des Getöteten als Kind wiederfinden oder Schulzeugnisse. Dadurch wird greifbar, dass hinter den Bergen an Schuhen oder Brillen Einzelschickale stecken. Dem kann man sich, denke ich, kaum verwehren.
Kennen Sie die Reaktionen der Straftäter auf das, was sie in der Gedenkstätte in Dachau erleben?
Henle: Ich lasse mir zwar die Eintrittskarte vorlegen, um zu prüfen, dass sie ihre Auflage tatsächlich erfüllt haben – eine detaillierte Rückmeldung habe ich bisher aber nicht bekommen. Allerdings denke ich, dass eine diffuse rechte Einstellung oft etwas mit Unwissenheit zu tun hat. Ich weiß nicht, ob jemand, der die bedrückende Stimmung vor Ort erlebt hat, noch einmal einfach einem anderen Menschen schreibt: „Ihr gehört nach Dachau“.
Kennen Sie andere Richter, die sich ebenfalls solche Erziehungsmaßnahmen einfallen lassen?
Henle: Aus eigener Erfahrung sind mir keine weiteren Fälle bekannt. Im Jugendbereich gibt es so etwas öfter, hier steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Aber auch ein Strafrichter darf kreativ sein.
Wäre es also eine Option, öfter jemanden an einen Ort zu schicken, der thematisch mit der Straftat zu tun hat? Henle: Bei einem überzeugten Nazi würde es nicht helfen, ihn in die Gedenkstätte nach Dachau zu schicken. Er würde wohl in seinem Denken noch bestärkt werden. Ebenso wenig sollte man einen Tierquäler im Tierheim mitarbeiten lassen. Eine Geldauflage an die entsprechende Stelle finde ich aber durchaus sinnvoll. Interview: Ida König
Walter Henle, 62, ist seit 2013 Direktor des Amtsgerichts Günzburg. Er war zuvor unter anderem zwei Jahre Jugendrichter.