Vorwürfe gegen BR-Chef
Warnstreik vor einer Woche hat Nachspiel
Am Mittwoch, 18. September, wunderten sich ungezählte Zuhörer und Zuschauer des Bayerischen Rundfunks: Auf B5 aktuell, Bayern 2 und BR-Klassik lief das Radio-Programm von Bayern 3. Pop statt Nachrichten im Viertelstundentakt. Im Bayerischen Fernsehen entfielen die Live-Sendungen „Wir in Bayern“, die „Abendschau“und der Polit-Talk „Münchner Runde“, den neben Ursula Heller auch BR-Chefredakteur Christian Nitsche moderiert. Die Gewerkschaften Verdi und BJV hatten zu einem 24-stündigen Streik aufgerufen. Ihre Forderung: eine Anhebung der Honorare und Gehälter entsprechend dem jüngsten Tarifabschluss für die Angestellten der Bundesländer. Heißt: ein Plus von sechs Prozent.
Der Warnstreik, der in dieser Form seinesgleichen suchte, hatte dabei nicht nur Folgen für das Programm – er hat auch ein BR-internes Nachspiel. Verdi richtete einen offenen Brief an Intendant Ulrich Wilhelm mit Datum 24. September, der es in sich hat. In ihm werden BR-Chefredakteur Nitsche heftige Vorwürfe gemacht – wegen einer E-Mail, die er am Tag nach dem Streik an Beschäftigte schickte. Sowohl das Verdi-Schreiben als auch die Mail Nitsches liegen unserer Redaktion vor. In der Mail bedankt sich Nitsche bei allen, die am Streiktag vollen Einsatz gezeigt hätten. Die Versorgung mit Nachrichten, schreibt er, sei der Kern des von der Verfassung abgeleiteten Grundversorgungsauftrags. Verkehrsmeldungen könnten zudem überlebenswichtig sein. „Das Mindeste, was ein Sender sicherstellen können muss, ist die Verbreitung von Nachrichten. Diese Formate sollten nicht bestreikt werden.“Verdi hätten deswegen Beschwerden erreicht.
Nitsche, so die Gewerkschaft an Wilhelm, habe geschrieben, „dass der streikbedingte Ausfall von Nachrichten und Verkehrsmeldungen einen Eingriff in die Grundversorgung darstelle“. Verdi weist darauf hin, dass das Streikrecht ein geschütztes Grundrecht sei. „Es ist skandalös, dass der Chefredakteur in Ihrem Haus dieses (...) durch fragwürdige Rechtsauslegung zu unterlaufen versucht.“Noch schwerwiegender wäre es, so Verdi, wenn Beschwerden zutreffen sollten, „dass Herr Nitsche an einzelne Kollegen herangetreten sei und diesen mit Konsequenzen gedroht haben soll, sollten sie sich an weiteren Streikaktivitäten beteiligen“. Ein BR-Journalist, der anonym bleiben will, sagte unserer Redaktion, dass die Vorgänge gut die derzeitige Stimmung innerhalb des BR wiedergeben würde. Es herrsche große Unzufriedenheit mit Nitsche, der überaus „brachial“vorgehe, sowie mit der Gesamtsituation. Der BR steht unter immensem Spardruck und wird zugleich zu einer trimedialen Anstalt umgebaut: Die Bereiche Fernsehen, Hörfunk und Online verschmelzen.
Der BR erklärte am Mittwoch auf Anfrage: „Dass Christian Nitsche ,das Streikrecht zu unterlaufen versuche‘, ist eine abwegige Behauptung von Verdi, die den Tatsachen nicht standhält.“Er habe in seiner Mail weder eine Rechtsauslegung vorgenommen noch das Streikrecht an sich angegriffen. „Dass er überdies angeblich den streikenden Beschäftigten mit Konsequenzen gedroht habe, ist, so Christian Nitsche, falsch und abwegig: ,An keiner Stelle war dies mit einer Drohung verbunden. Dies wäre auch abwegig. Unsere Mitarbeiter leisten das ganze Jahr über großartige Arbeit im Dienste der Allgemeinheit.‘“