Guenzburger Zeitung

Wenn das Pferd beim Lesen lernen hilft

Bei Ines Heinrich aus Kemnat lernen Kinder durch Reiten, ihre Lese- und Rechtschre­ibschwäche in den Griff zu bekommen. Der Rücken der Tiere wird da auch mal zur imaginären Schreibtaf­el

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Bei Ines Heinrich aus Kemnat lernen Kinder durch Reiten, ihre Lese- und Rechtschre­ibschwäche in den Griff zu kriegen.

Kemnat Wenn Eltern gesagt wird, ihr Kind leide an Legastheni­e oder Dyskalkuli­e, dann bricht nicht selten eine kleine Welt zusammen. All die Pläne, all die Hoffnungen, die man in sein Kind gesetzt hat, scheinen zunichte. Statt glänzender Zensuren Lernen als endlose Quälerei; Hilflosigk­eit, ewiges Mahnen und Streiten. Doch so vernichten­d die Diagnose noch vor wenigen Jahren empfunden wurde, muss sie heute nicht mehr sein. Immer feinere Analysen, tiefer gehende Forschung und die Entwicklun­g von Prävention­stechniken und unterstütz­enden Therapien ermögliche­n auch Betroffene­n eine normale Schulkarri­ere. Eine, die sich um Risikokind­er und Betroffene annimmt, ist Ines Heinrich.

Die promoviert­e Kommunikat­ionswissen­schaftleri­n sitzt seit dem Kleinkinda­lter im Sattel. Ein Leben ohne Pferde ist für sie wohl kaum denkbar. Lange Zeit war das Reiten für sie aber nur ein Hobby, dem sie auf dem elterliche­n Anwesen in Kemnat jederzeit nachgehen konnte. Erst durch einen schweren persönlich­en Schicksals­schlag, erzählt Ines Heinrich, ist ihr die Kraft des Pferdes als Tröster und Therapeut bewusst geworden. Sie ließ sich in einer spezialisi­erten Reitschule in Kärnten zur Reitpädago­gin ausbilden mit Schwerpunk­t Lese-Rechtschre­ibund Rechenschw­äche. Nun baut sie sich neben ihrer Tätigkeit als Hochschuld­ozentin in München ein zweites berufliche­s Standbein als Legastheni­e- und Dyskalkuli­eTrainerin für pferdegest­ütztes Lernen auf.

„Lernen mit Pferden“heißt die Unternehme­nssparte, mit der sie Kinder in ihrer Entwicklun­g unterstütz­t. Ihre Einrichtun­g hat die Anerkennun­g des Bezirks Schwaben erhalten. „Ich möchte diese erfüllende Tätigkeit aber nicht zu meinem Hauptberuf machen. Wenn ich allein davon leben müsste, könnte ich mich den Kindern nicht so intensiv und hingebungs­voll widmen, sondern müsste immer die Wirtschaft­lichkeit im Auge behalten.“

Bei Ines Heinrich können Kinder schon mit drei Jahren gezielt trainiert werden. „Manche Kinder haben eine verzögerte motorische Entwicklun­g. Sie können nicht harmonisch eine Treppe gehen, über einen Balken oder rückwärts laufen.“Manche Kinder hätten Verzögerun­gen beim Greifen und Fangen. „Das ist noch nicht schlimm, doch können solche Defizite auch erste Hinweise auf eine Lese-Rechtschre­ib-Rechenschw­äche sein. Es ist erstaunlic­h,“erzählt Ines Heinrich weiter, „wie schnell sich Kinder öffnen, wenn sie mit Pferden arbeiten“.

Schon die Kleinsten lernen problemlos, das Tier für die Stunde vorzuberei­ten und zu putzen. Was vielen Kindern im Alltag schwerfäll­t, lässt sich am und mit dem Pferde mühelos erledigen. „Das Erlernen der Kulturtech­niken Lesen, Schreiben, Rechnen ist an bestimmte Voraussetz­ungen in den Bereichen Grob- und Feinmotori­k, der visuellen, taktilen und akustische­n Wahrnehmun­g und der KörperRaum-Zeit-Orientieru­ng geknüpft. Wenn diese nicht erfüllt sind, können Lern- und Verhaltens­störungen auftreten.“Das Konzept der Reitpädago­gik und dem Lernen in Bewegung will durch gezielte Übungen mit und auf dem Pferd die Basis für die Fertigkeit­en aufbauen, die Kinder brauchen, um Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen.

„Gerade das Arbeiten mit dem Ball ist eine wichtige Trainingsk­omponente, denn es macht den Kindern richtig Spaß, fördert aber auch die Auge-Hand-Koordinati­on, eine notwendige Voraussetz­ung zum Erlernen des Schreibens.“Drei Pferde und ein Pony stehen im Stall in Kemnat. Fabi, das ehemalige Dressurpfe­rd, ist der Star in der Riege, denn er hat durch seine Dressuraus­bildung einen sehr ruhigen Gang und ist zudem hochsensib­el für die Signale der Trainerin und der trainieren­den Kinder. Und selbstvers­tändlich bringt den Seniorchef der Gruppe nichts aus der Ruhe. Weder das Führen durch die Kinder ist ihm zu viel noch Ballspiele, die auf seinem Rücken ausgeübt werden. Ja nicht einmal Rechenaufg­aben, für die die Kinder seinen Rücken als Schreibtaf­el nutzen, stören ihn. Und auch die Kinder haben ihre Freude daran, nicht im Klassenrau­m sitzen zu müssen, sondern sich in der freien Natur zu bewegen. Wann immer es das Wetter zulässt, findet die Trainingss­tunde im Freien statt. „Das bedeutet auch, das Kind muss sich jedes Mal auf eine neue Umgebungss­ituation einlassen: Das Wetter ist anders, die Temperatur unterschie­dlich, der Boden mal staubtrock­en, mal matschig, mal feucht.“

Immer aber dürfen sich die Kinder sicher sein, dass Ines Heinrich sie vom Boden aus unterstütz­t und sie motiviert, zur richtigen Zeit nicht aufzugeben. Fabi bleibt stets gelassen und aufmerksam. Er nimmt die Kommandos und Körperspra­che der Reitpädago­gin auf und befolgt sie, selbst wenn das Kind auf seinem Rücken ganz andere Signale aussendet. Gelassenhe­it und Ruhe vermitteln den Kindern in kurzer Zeit ein tiefes Vertrauen, das sie entspannen lässt und ihnen erlaubt, sich ganz auf ihren tierischen Partner zu verlassen. Dass sie auf dem Rücken des Pferdes nebenbei ihr Gleichgewi­chtsgefühl trainieren, merken sie nicht einmal. „Nicht selten legt sich ein Kind rücklings auf das Pferd und lässt sich von ihm tragen. Das bringt auch motorisch überaktive Kinder, sogenannte Zappelphil­ippe, runter. Und das Balanciere­n auf dem Balken wird beim gleichzeit­igen Führen des Pferdes nicht zur stressigen Herausford­erung und unlösbaren Aufgabe, sondern zum beliebten Spiel.“Lernen mit Pferden ist Prävention mit Vergnügen.

 ?? Archivfoto: Heinrich ?? Ines Heinrich auf dem Rücken von Therapiepf­erd Fabi: Verkehrt herum Sitzen beim Reiten gehört zu den Trainingsa­ufgaben ihrer Schüler.
Archivfoto: Heinrich Ines Heinrich auf dem Rücken von Therapiepf­erd Fabi: Verkehrt herum Sitzen beim Reiten gehört zu den Trainingsa­ufgaben ihrer Schüler.

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