Herrn Sasakis Abscheu vor Tattoos
Während in Deutschland jeder Fünfte tätowiert ist, halten Japaner nichts davon. Auch nicht in der für seine Heißquellen beliebten Stadt Beppu. Doch Japans Wirtschaft kriselt, Hoffnung auf Besserung verspricht der Tourismus. Und damit: jede Menge Urlauber
Beppu Wenn Koichi Sasaki oder Yuuki Fukuda von Verzierungen unter der Haut hören, vergeht nicht mehr als ein Wimpernschlag, bis sie erschaudern und sich fast schon angewidert abwenden. Yuuki Fukuda etwa kreuzt die Zeigefinger zu einem X. Soll heißen: No-Go, Verbot. „Das tolerieren wir hier nicht“, erklärt der Mann mit dem kurz geschorenen Haar in für japanische Maßstäbe ziemlich deutlicher Wortwahl. Zu viel stecke dahinter, oder eben darunter, wenn sich jemand Botschaften und Muster auf den Körper stechen lasse. Ansonsten freue man sich hier über Kunden aller Couleur, schließlich sei man ein Gasthaus und Bäderbetrieb. Fukuda betreibt in der 120000-EinwohnerStadt Beppu das landesweit für seine heißen Matschbäder bekannte Hoyoland Onsen. Koichi Sasaki ist Manager eines Luxushotels.
In Tätowierungen sehen sie Kriegsbemalungen und denken damit wie die meisten Japaner. Das X, das Yuuki Fukuda mit seinen Fingern reflexartig formte, zeigt: Er gehört zur richtigen Seite. Also zu all jenen, die gesetzestreu handeln. Im Unterschied zu all den anderen – den Kriminellen der Yakuza, der japanischen Mafia. Yakuza-Mitglieder sind bekannt dafür, als Erkennungszeichen Tätowierungen zu tragen. Und so ist Japans offiziell saubere Geschäftswelt weltweit dafür bekannt, in Fitnesscentern, Gasthäusern oder den traditionsreichen und immer populärer werdenden Heiß quellenn amen sOnsen Menschen mit Tätowierungen den Eintritt zu verweigern.
Zwar schreitet die Globalisierung auch in Japan voran. Das Image, das Tätowierte und Tätowierungen haben, ist jedoch beeindruckend schlecht geblieben. Als die japanische Tourismusbehörde vor drei Jahren in einer landesweiten Umfrage unter 3800 Herbergsbe treibern deren Einstellung erfahren wollte, antworteten sieben von zehn Befragten, dass sie Tattoos bei ihren Gästen nicht sehen wollen. 56 Prozent würden Tätowierte selbst dann nicht in ihren Zimmern übernachten lassen, wenn diese ihre Tattoos verdeckten.
In Beppu, wo Fukudas Hoyoland Onsen eine Attraktion ist, ist dieses Thema besonders brisant. „Über viele Jahre hatte die ganze Gegend ein großes Yakuzaproblem“, sagt er hinter dem mit Thermalbad gebrauchsanweisungen bepackten Kassenschalter. Von Geldwäsche bis Schutz geld erpressung sei alles dabei gewesen. Auch Fukudas Großvater, der das Hoyoland Onsen einst gründete, habe unter der Yakuza leiden müssen.
Auf Schlappen marschiert Fukuda nun über den Holzboden der Umkleiden, vorbei an einem mit Bambus überdachten 40-Grad-Bad. Unter freiem Himmel zeigt er auf zwei weiträumige, mit Steinen befestigte Schlammgruben. „Leider kann es passieren, dass uns mal wild tätowierte Typen ins Haus kommen. Sie verdecken sich einfach so lange mit dem Handtuch, bis sie schnell in die Grube steigen.“Fukudas besorgter Blick lässt erkennen, dass er das überhaupt nicht lustig findet. „Wenn andere Gäste dann die Tattoos sehen“, erklärt er, „gibt’s Panik.“Ernst fügt er hinzu: „Für uns ist das rufschädigend.“
Zumal hier. Beppu nennt sich selbst offiziell „die Onsen-Welthauptstadt“. Zumindest in Japan gibt es keine weitere Stadt, unter deren Erde es derart brodelt. Hier dampfte s aus Rinnsalen undGully deckeln, die Stadt könnte ihre Energie versorgung dar ausziehen. Die knapp 400 Onsenbäder in Beppu sind die wichtigste Einnahmequelle der lokalen Wirtschaft. Ihretwegen kommen pro Jahr an die acht Millionen Besucher an diesen etwas entleOrt im Südwesten Japans. Beppu richtete sich konsequent auf den Fremdenverkehr aus – und ist damit zum Vorbild für das ganze Land geworden.
Japans Volkswirtschaft stagniert seit zweieinhalb Jahrzehnten: Insbesondere, weil die Geburtenrate so niedrig und die Immigrationspolitik so streng ist. Seit 2005 sterben laut Bevölkerungsstatistik mehr Menschen, als geboren werden. Im vergangenen Jahr sank die Bevölkerungszahl um 300 000 Personen, fast drei Mal Beppu. Die Onsen-Hauptstadt bekommt das zu spüren. Ihre Hotels bleiben nur deshalb gefüllt, weil sie jährlich mehr Gäste aus dem Ausland anzieht.
Eine Öffnung für den Fremdenverkehr gilt in Japan als Rezept für neues Wirtschaftswachstum. Japans Tourismusbehörden setzen auf Werbeoffensiven – und haben durchaus Erfolg. Die Zahl der ausländischen Besucher hat sich binnen fünf Jahren auf 30 Millionen pro Jahr fast verdreifacht. Ab dem nächsten Jahr, in dem Tokio die Olympischen Spiele veranstaltet, soll sich die Zahl bei 40 Millionen einpendeln.
Angesichts dessen ließe sich vermuten, dass die Internationalisierung auch zu einer Anpassung an fremde Gewohnheiten führt. Im Umgang mit tätowierten Menschen könnte dies bedeuten, die Regeln zu lockern und in Aufklärungskampagnen zu erklären, dass zumindest außerhalb Japans ein Tätowierter nicht gleich ein Krimineller ist. Von solchen Anstrengungen ist allerdings wenig zu sehen. Vor zwei Jahgenen ren befand ein Bezirksgericht in Osaka, Japans zweitgrößter Metropolregion, einen Tattookünstler für schuldig. Er habe die Körperverletzung seiner Kunden riskiert. Mit dem Urteil wurde auch festgestellt: Tattoos sind in Japan keine Kunst oder Ausdruck freier Meinungsäußerung. Sowie: Um eine Nadel zum Stechen zu benutzen, brauche man eine ärztliche Lizenz.
Hotelmanager Koichi Sasaki teilt die verbreitete Abscheu vor Tattoos. Und im Moment hat er es da nun wirklich nicht leicht. Im Vorfeld der Rugby-WM 2019, die am 20. September in Japan startete, verkündete der Weltverband, Spieler mögen ihre Tätowierungen im Stadion überkleben. Wer einmal ein Rugbyspiel und die hohe Zahl tätowierter Rugbyspieler gesehen hat, kann erahnen, wie viel Überzeugungsarbeit der japanische Veranstalter geleistet haben muss, damit so ein Bedeckungsgebot zur offiziellen WM-Linie wurde. Jedenfalls: Koichi Sasaki bereitete sich für die Weltmeisterschaft auf einen üppigen Zuwachs ausländischer Besucher vor. „Hier in der Nähe finden einige WM-Spiele statt. Mehrere Familien der Rugbyprofis haben Zimmer bei uns gebucht“, prahlt er, während er durch sein Luxushotel führt. Korrekt gekleidet im Anzug versteht sich.
Das Suginoi-Hotel ist mit seinem riesigen Onsen-Bad eine weitere Touristenattraktion von Beppu. 20 Autominuten von Yuuki Fukudas Hoyoland Onsen entfernt, baden die Gäste hier nicht im Schlamm, sondern in kristallklarem Wasser und bei allen möglichen Temperaturen. Von einem Hügel aus bietet sich ein faszinierender Blick über die Bucht dieser dampfenden Stadt. Spricht man Herrn Sasaki auf tätowierte Gäste – auch aus dem Ausland – an, antwortet er so unmissverständlich wie Yuuki Fukuda: „Wollen wir hier eigentlich nicht.“Man müsse auch an das Wohlbefinden der anderen Gäste denken.
Und das sagt er nicht nur so dahin, er handelt. Für dieses und das nächste Jahr hat er Tapeband ins Sortiment seiner Hotelshops aufnehmen lassen. So können sich ausländische Gäste, wie die Rugbyspieler, die tätowierten Körperstellen abkleben. „Das ist keine Dauerlösung“, sagt Sasaki. „Die allgemeine Regel, nackt ins Onsen zu gehen, ist ja auch eine hygienische. Wenn jeder mit lauter Pflaster kommt, konterkariert das irgendwann die ganze Idee.“Aber immerhin.
Man muss zeitlich etwas weiter zurückgehen, um Koichi Sasaki und Yuuki Fukuda verstehen zu können. Ins 17. Jahrhundert. Damals schottete sich Japan von der Welt ab, Glücksspieler und Verurteilte wurden durch Tätowierungen als Abtrünnige gebrandmarkt. Noch als inmitten des Chaos der Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg das Organisierte Verbrechen florierte, waren tätowierte Körper sichtbares Symbol von Bedrohung. Wer in der
Das Image, das Tätowierte haben, ist denkbar schlecht
Ein Neuseeländer hinterließ Eindruck in Beppu
Schuld eines der Yakuza steht, das weiß man bis heute, schwebt nicht selten in Lebensgefahr.
Dabei gelten diverse YakuzaGruppierungen mittlerweile durch härtere Polizeieinsätze als geschwächt. Zwar sollen sie mehrere Milliarden Euro im Jahr erwirtschaften, statt 184000 Mitgliedern wie in den 1960er Jahren zählen sie aber nur noch rund 50000. Wenn nur ein Prozent aller Japan-Besucher ein Tattoo hätte, wären dies immer noch mindestens sechsmal so viele Menschen wie Yakuza.
Kenichiro Nakamura nickt hastig, darauf angesprochen. Im Rathaus von Beppu arbeitet er für die Abteilung „Onsen-Strategie“. Seine Aufgabe ist es, Beppus Wirtschaft auf Wachstumskurs zu halten. Und für Wachstum steht kein anderer Wirtschaftszweig so sehr wie das Geschäft mit den Heißquellen. Nakamura, ein kräftiger Mann Mitte 40, lässt sich von einem jüngeren Kollegen einen Ordner mit Besucherund Umfragezahlen bringen. Sowie ein Buch. Zuerst schlägt er den Ordner auf und blickt drein, als würde ihm etwas leidtun. „Uns ist klar, dass es hier große Missverständnisse gibt. Die meisten Onsenbetreiber wollen keine Probleme und verzichten deshalb lieber auf die zusätzlichen Einnahmen“, sagt er.
Dann zeigt er auf das Buch. Vor zwei Jahren war ein Maori-stämmiger Mann aus Neuseeland nach Beppu gekommen, um die Onsen-Welthauptstadt eines Besseren zu belehren. Nach einem Vortrag im Rathaus ließ er das Buch, in dem viele Fotos sind, da. „Der Herr hatte uns beeindruckt. Wir wussten gar nicht, dass im Ausland Tätowierungen sogar hohen sozialen Status bedeuten können“, erzählt Kenichiro Nakamura. Er, der die in Japan verbreitete Haltung zu Tattoos bis dahin nie hinterfragte, bemüht sich, vorsichtig die Onsenbranche aufzuklären.
Etwa mit dieser Broschüre, die er nun aus dem Ordner holt. „Hier haben wir die beliebtesten Onsenbäder von Beppu aufgelistet und vermerkt, welche von ihnen tätowierte Besucher akzeptieren.“Der Beamte lächelt, für ihn ist das Heftchen, das jeder Tourist am Bahnhof in die Hand gedrückt bekommt, ein solider Kompromiss. Respekt für Tradition, Planbarkeit für Gäste. So sieht Kenichiro Nakamura das.
Die Informationen, die die Broschüre bereithält, sind ernüchternd: Die meisten der populärsten Bäder dulden Tätowierungen nicht.