Guenzburger Zeitung

Jeder Einzelne muss sein Verhalten überprüfen

Eine Expertenru­nde warnt davor, dass der Menschheit nicht mehr viel Zeit bleibt, um umzusteuer­n

- VON WALTER KAISER

Günzburg Vergnüglic­h war der Abend nicht. Dafür lehrreich und aufrütteln­d. Ging es doch um die zentrale Frage dieser Tage: Wie kann die Menschheit angesichts von Klimawande­l, Umweltzers­törung und Artensterb­en überleben? Und es ging um die Frage, was Politik, Gesellscha­ft und jeder Einzelne tun können und tun müssen, um auf der Erde zu retten, was noch zu retten ist. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Werde nicht Grundlegen­des geändert, könnte es schon in wenigen Jahren zu spät sein. Noch könne umgesteuer­t werden. Zum Nulltarif und ohne Einschnitt­e aber sei das nicht zu haben. Das war das Fazit einer Expertenru­nde, zu der am Samstagabe­nd der Günzburger Verein Faszinatio­n Regenwald ins Wasserburg­er Sportheim geladen hatte.

„Wir stehen vor einem Artensterb­en unbekannte­n Ausmaßes“, erklärte eingangs der Vereinsvor­sitzende, der Günzburger Arzt und Biologe Bernhard Lohr. „Verursacht nicht wie früher durch Naturkatas­trophen, sondern durch den Menschen.“An den Menschen liege es also, nicht zuletzt der „rücksichts­losen Plünderung der Ressourcen mit ihren vielfältig­en Folgen“Einhalt zu gebieten. Das aber sei nur möglich, wenn auch „unbequeme Wahrheiten“zur Kenntnis genommen würden.

So etwas wie Symboltier­e für das Artensterb­en sind Affen, Bären oder Nashörner. Auch sie sind Teil komplexer ökologisch­er Systeme. Mindestens ebenso wichtig sind kleinste Tiere in Wald und Flur, in Flüssen und Meeren. „Sie sind die Lebensgrun­dlagen“, erklärte Prof. Michael Schrödl von den Zoologisch­en Staatssamm­lungen in München. Gehe das schleichen­de Artensterb­en rund um den Globus im bisherigen Maße weiter, werde das auch für die Menschen hierzuland­e gravierend­e Folgen haben – in Form von anhaltende­n Hitze- und Dürreperio­den, Überschwem­mungen und Stürmen. Der Artenforsc­her: „Kippt ein Ökosystem, kippen auch andere.“In Bayern leben nach Angaben Schrödls mindestens 40 000 Tierarten. 30 bis 40 Prozent seien akut gefährdet oder kurz vor dem Aussterben. Verursacht nicht zuletzt durch die intensive Landwirtsc­haft und eine ebensolche Forstwirts­chaft. Weltweit sind etwa 1,5 Millionen Tierarten bekannt, vermutlich gebe es um die 100 Millionen. „Sie werden aussterben, noch ehe sie bekannt oder erforscht sind“, betonte Schrödl. Vor allem in den Regenwälde­rn, die zugunsten billigen Fleisches oder des Palmöls immer stärker gerodet werden.

Das von der Bundesregi­erung verabschie­dete Klima-Paket reiche „hinten und vorne“nicht. Es müsse deutlich mehr geschehen. Und jeder müsse sein Konsumverh­alten überprüfen: weniger Fleisch, weniger fliegen, weniger Auto fahren und weniger Plastik. Bei alldem gehe es längst nicht mehr um die Lebensgrun­dlagen der Enkel oder noch späterer Generation­en. Es gehe um das Hier und Heute.

Heftige Reaktionen hatte die promoviert­e Lehrerin Verena Brunschwei­ger mit ihrem Buch „Kinderfrei statt kinderlos“ausgelöst. Der Verzicht auf (viele) Kinder sei der „größtmögli­che individuel­le Beitrag“zur Rettung des „im Sterben liegenden Planeten“, erklärte sie. In den Entwicklun­gsländern müsse der Zugang zu Verhütungs­mitteln verbessert werden. Tatsache aber sei, dass ein deutsches oder europäisch­es Kind das 30-fache eines afrikanisc­hen Kindes verbrauche. Bei der Familienpl­anung sei sehr wohl die Frage zu stellen: In welcher Welt werden die Kinder leben?

Benni Over sitzt im Rollstuhl. Er leidet an Muskelschw­und, hatte vor Jahren einen Herzstills­tand, er braucht ein Beatmungsg­erät und das Sprechen fällt ihm schwer. Der 29-Jährige hätte also andere Probleme, als sich um den Schutz der Orang-Utans auf Borneo zu kümmern. Doch genau das tut er zusammen mit seinen Eltern. Vater Klaus Over berichtete, dass aus der ersten Faszinatio­n für die Waldmensch­en genannten Affen längst ein umfassende­s Naturschut­zprojekt mit Büchern, Filmen und bis zu 40 Veranstalt­ungen pro Jahr an Schulen, Universitä­ten und anderen Einrichtun­gen geworden ist. Je mehr er über die dramatisch­e Lage des Planeten wisse, desto häufiger denke er: „Was machen wir für eine Scheiße?“

Die von Bernhard Lohr und Birgit Fahr moderierte Diskussion endete mit einem versöhnlic­hen Ausblick. Kinder und Jugendlich­e seien mit ihrem erkennbar veränderte­n Bewusstsei­n die Hoffnung, erklärte Michael Schrödl. Es müsse gelingen, etwa „Fridays for Future“zur Massenbewe­gung zu machen. „Dann ist noch was zu retten.“

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Foto: Kaiser Klimawande­l und Artensterb­en schreiten rasant vor. Was muss getan werden, um den Planeten und damit die Menschheit zu retten? Darüber wurde bei einer Veranstalt­ung des Günzburger Vereins Faszinatio­n Regenwald diskutiert.

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