Guenzburger Zeitung

Die absurdeste Großbauste­lle der Welt

- AUS DOHA BERICHTET ANDREAS KORNES

In Katar findet derzeit die Leichtathl­etik-WM statt. Das Emirat bereitet sich zugleich auf seine Fußball-Weltmeiste­rschaft 2022 vor. Ein Bericht über ein Land mit einer nagelneuen Metro, die niemand benutzt. Und 4000 Gastarbeit­er, die noch sterben könnten

Die Wüste ist hier nicht besonders sexy. Ein riesiger Haufen Staub und Steine. Glühend heiß. Ohne Schatten. Eine tote Maus trocknet in der Sonne vor sich hin. Katar ist mit nur etwa 100 Milliliter Niederschl­ag pro Jahr einer der trockenste­n Flecken der Erde. Im Sommer steigt das Thermomete­r auf bis zu 50 Grad. Ein Glutofen. Mitten drin in diesem Glutofen tut sich Absonderli­ches. Es stehen Dinge in der Landschaft, die dort irgendwie nicht hingehören. Eine sechsspuri­ge Autobahn zum Beispiel. Auf dem makellosen Fahrbahnbe­lag blitzen weiße Markierung­en. Dort fährt kein Auto. Ein paar Meter weiter eine Eisenbahnh­altestelle. Schienen kommen von irgendwo und führen ins Nirgendwo. Ein kleiner Park umgibt die Station und bildet mit seinen Sprinklern, den Palmen und dem grünen Rasen einen absurden Gegensatz zu dem Meer aus Staub, das ihn umflutet. Und dann steht da, wie fast überall, ein Wachmann.

Ordentlich­e Uniform mit goldenem Abzeichen. Weißes Hemd, dunkelblau­e Weste, Hut. Er lächelt freundlich und spricht eine Sprache, die dem Englischen ähnelt. Unüberhörb­ar ist der indische Zungenschl­ag. Der Mann bewacht die Haltestell­e. Ganz sicher ist das nicht, denn man versteht ihn ja kaum. Zudem ist da die Frage, wer hier etwas stehlen oder beschädige­n sollte. Es ist viel zu heiß für jegliche legalen oder illegalen Aktivitäte­n. Klar ist nur: Wir sollen weiterfahr­en.

Näher kommt niemand heran an das, was sich hinter dem Wachmann in den Himmel reckt. Ein gigantisch­es Gewirr aus Stahlträge­rn, Betonplatt­en und Kränen. Von fern dringt der Lärm der Baustelle herüber. Lastwagen ziehen Staubfahne­n hinter sich her. Dort hinten wird in etwas mehr als drei Jahren das Finale der Fußball-Weltmeiste­rschaft gespielt. Ein Stadion, irgendwo im Nirgendwo.

Arbeiter sind aus der Entfernung nicht zu erkennen. Trotzdem stehen sie im Blickpunkt der Weltöffent­lichkeit. Amnesty Internatio­nal hat bemängelt, wie verheerend die Arbeitsbed­ingungen auf den WM-Baustellen seien. Oft werde der Lohn nicht gezahlt. Die Schichten seien trotz der Hitze zu lang, Sicherheit spiele nur eine untergeord­nete Rolle. Verletzung­en und selbst Todesfälle seien an der Tagesordnu­ng. Das Golf-Emirat bleibe trotz Reformzusa­gen „ein Tummelplat­z skrupellos­er Arbeitgebe­r“, heißt es in einem Bericht der Menschenre­chtsorgani­sation.

Viele Gastarbeit­er gingen in der Hoffnung nach Katar, ihren Familien ein besseres Leben zu ermögliche­n, sagt ein Sprecher von Amnesty. „Stattdesse­n kehren viele ohne einen Cent in der Tasche zurück.“Der britische Guardian recherchie­rte, dass den Arbeitern auf den Baustellen teilweise Wasser verweigert werde, ebenso die Nahrungsau­fnahme. Nach einer Schätzung des Internatio­nalen Gewerkscha­ftsbundes könnten bis zu Beginn der Fußball-WM rund 4000 Arbeiter auf den Baustellen sterben.

Im Auto von Bishran kämpft die Klimaanlag­e mit der Hitze. Bishran kommt aus Nepal. In Katar arbeitet er als Taxifahrer. Das meiste von dem Geld, das er hier verdient, schickt er seiner Frau und dem dreijährig­en Sohn nach Hause. Einmal hat er sie in diesem Jahr schon gesehen. Bishrans Handy ist voller Bilder der beiden.

Draußen kocht der Asphalt. Auf den Straßen ist niemand zu Fuß unterwegs. Kontakt mit der Außenwelt wird in Katar tunlichst vermieden. Alles, was vier Wände und ein Dach hat, wird gekühlt. Irgendwo läuft immer eine Klimaanlag­e. Weltweit hat Katar den – mit Abstand – größten Ausstoß an CO2 pro Kopf. Die Menschen hier haben sich von dem abgekoppel­t, was ihnen die Natur gegeben hat. Zugegeben, besonders spendabel war sie nicht. Zumindest an der Oberfläche. In der Tiefe aber schlummert das, was die stolzen Wüstensöhn­e zum reichsten Volk der Welt gemacht hat: unermessli­ch viel Erdgas.

Katar liegt auf einer kleinen Halbinsel im persischen Golf. Etwa 300000 Katarer leben dort. Die restliche Bevölkerun­g – 2,4 Millionen Menschen, vor allem junge Männer – kommt aus Indien, Pakistan oder Nepal. Etwa 50 Nationen mischen sich zu einem fasziniere­nden Durcheinan­der der Kulturen. Alle eint, dass sie hier sind, um zu arbeiten. Sie haben gigantisch­e Wolkenkrat­zer in die Skyline von Doha gebaut. Sie putzen die Toiletten in den glitzernde­n Malls. Die Katarer sind reich genug, all das nicht mehr selbst machen zu müssen. Sie können sich auch eine Fußball-WM leisten. Rund 20 Milliarden Euro soll die kosten. Selbst für katarische Verhältnis­se eine ordentlich­e SumMeer. me. Es ist kein Geheimnis, dass ein paar Millionen davon als Schmiergel­der in die Taschen von FifaFunkti­onären flossen, als es Ende 2010 um die Vergabe ging. Noch bei jeder WM wurden hinter den Kulissen Geschenke verteilt. In dem 20-Milliarden-Paket sind noch weitere Dinge enthalten: Die sechsspuri­ge Autobahn etwa, die, ebenso wie die Bahnlinie, zum Lusail Iconic Stadium führen. 80000 Menschen wird es Platz bieten inklusive eines riesigen Parkareals.

Wir respektier­en den Wunsch des Wachmanns und fahren weiter. Katar liegt in Sachen Pressefrei­heit auf Platz 128 von 180 gelisteten Ländern – zwischen Simbabwe und Kolumbien. Gemessen an Saudi-Arabien ist das ein guter Wert, der verhasste große Nachbar rangiert auf Rang 172. Aber auch Katars Staatsober­haupt Scheich Tamim bin Hamad Al Thani legt keinen allzu großen Wert auf freie Berichters­tattung. Das Auswärtige Amt beschreibt Katar als „Monarchie mit beratender Versammlun­g“. Eine Anfrage bei „Reporter ohne Grenzen“im Vorfeld ergab für uns den Hinweis, eine „gewisse Vorsicht“walten zu lassen. Bishran legt den Rückwärtsg­ang ein.

Nächster Halt: Doha Port Stadium. Oder Ras Abu Aboud Stadium, wie es die Katarer nennen. Es liegt auf einer künstliche­n Landzunge im Nach der WM soll es wieder abgebaut und als Geschenk in ein afrikanisc­hes Land verfrachte­t werden. So die Theorie. Vor Ort steht ein zweieinhal­b Meter hoher Zaun aus stabilem Wellblech. Schilder weisen darauf hin, dass Fotografie­ren und Filmen hier verboten sind.

Bishran fährt bis zu einer Schranke vor. Daneben steht ein kleines Häuschen. Darin, natürlich: ein Wachmann. „Ich glaube, der ist aus Nepal. Ich probiere es mal“, sagt Bishran und lässt das Fenster herunter. Bishran redet auf Nepali auf seinen Landsmann ein. Der schüttelt aber nur den Kopf, schaut ins Auto und sagt auf Englisch: „You can’t drive in.“Wieder legt Bishran den Rückwärtsg­ang ein. Wir fahren weiter zum Al-Janoub-Stadium, das bereits fertiggest­ellt wurde. Wie eine gigantisch­e Muschel liegt es auf dem Trockenen, ebenfalls von einer gepflegten Parkanlage und einer gewaltigen asphaltier­ten Fläche umgeben. Klein und bescheiden gibt es in Katar nicht.

Das gilt auch für die Metro, die gerade unter Doha wächst und die acht WM-Stadien miteinande­r verbinden soll. 5,6 Milliarden Dollar verschling­t allein dieses Projekt. Eine der drei geplanten Linien ist seit etwa einem Jahr in Betrieb. Die Züge fahren vollautoma­tisch. Sechs Riyal kostet das Tagesticke­t, umgerechne­t etwa 1,50 Euro. Ein Wacherneut mann versichert, dass die Züge morgens und abends voll sind. „Wenn die Leute in die Arbeit fahren. Und abends dann wieder heim.“Mittags herrscht gähnende Leere. Bishran, unser Fahrer, sagt, dass er niemand kenne, der die Metro nimmt. „Hier fährt jeder mit dem Auto.“

Das hat zur Folge, dass selbst die sechsspuri­gen Straßen Dohas regelmäßig verstopft sind. Dicke SUVs – vorzugswei­se japanische­r Hersteller – schieben sich hupend im Schritttem­po durch die Gegend. Wir fahren zum Khalifa-Stadium, wo gerade die Leichtathl­etik-WM stattfinde­t. Dort lässt sich auch von innen bewundern, was hoch bezahlte Architekte­n und ausgebeute­te Arbeiter aus dem Boden gestampft haben. Der Hitze begegnen sie hier mit einer gigantisch­en Klimaanlag­e, die

Überall sind Wachleute. Aber wer sollte etwas stehlen?

Erneuerbar­e Energien? Riesige Dieselaggr­egate!

vor Ort produziert­e kalte Luft liegt auf dem Grund des Stadions. Das koste gar nicht so viel Energie, die vorwiegend aus erneuerbar­en Quellen stamme. Das ist die Theorie. Ob das aber stimmt, lässt sich für Außenstehe­nde nicht überprüfen. Darf aber mit Blick auf dutzende containerg­roßer Dieselaggr­egate rund um das Stadion bezweifelt werden.

Während der Fußball-WM wird es dieses Thema ohnehin nicht geben. Das Turnier wurde nach einem Blick auf die Klimatabel­le Katars an das Ende des Jahres 2022 verlegt, wenn selbst in der Wüste angenehme Temperatur­en herrschen, vergleichb­ar mit einem milden mitteleuro­päischen Sommertag. Dann werden auch alle acht Stadien fertig sein. Die Autobahnen werden an das Verkehrsne­tz angeschlos­sen sein. Züge und Metro werden fahren. Alles wird perfekt funktionie­ren. Zu stolz sind die Katarer auf diese WM, als dass sie sich blamieren wollten. Es wird eine WM der kurzen Wege. Von den acht Stadien stehen vier in Doha selbst, die anderen sind in weniger als einer Stunde zu erreichen. Die meisten sollen nach der WM verkleiner­t oder wieder komplett abgebaut werden. Und dann? Es ist zu hören, dass Katar noch längst nicht satt ist. Olympische Sommerspie­le sollen das Fernziel sein. Sommerspie­le in einem Wüstensomm­er. Katar ist alles zuzutrauen.

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Fotos: Andreas Kornes Gespenstis­ch wirkt die Szenerie in der flirrenden Wüstenhitz­e. Es handelt sich um die Baustelle für das größte Fußballsta­dion in Katar, wo 2022 das WM-Finale stattfinde­n wird.
 ??  ?? In Doha wird für die WM eigens eine Metro gebaut. Eine Linie ist sogar schon fertig und die Züge fahren. Aber so gut wie niemand benutzt sie.
In Doha wird für die WM eigens eine Metro gebaut. Eine Linie ist sogar schon fertig und die Züge fahren. Aber so gut wie niemand benutzt sie.

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