Guenzburger Zeitung

Im Schlussspu­rt liegen die Nerven blank

Kurz vor Ende der Bewerberto­ur für die neue Doppelspit­ze wird der Ton in der SPD schärfer. Von einem harmonisch­en Miteinande­r der Kandidaten kann keine Rede sein. Wird Kevin Kühnert zum Königsmach­er?

- VON STEFAN LANGE

Berlin Manchmal haben sich auch erfahrene Politiker nicht im Griff. Als Karl Lauterbach den Besprechun­gsraum 1.302 des Jakob-Kaiser-Hauses direkt neben dem Reichstags­gebäude betritt, entgleisen ihm für einen Moment die Gesichtszü­ge. Nur eine Handvoll Journalist­en hat sich in dem Raum eingefunde­n, in dem ansonsten Fraktionss­itzungen und andere Besprechun­gen stattfinde­n. Sehr groß ist das Interesse an Lauterbach­s Einschätzu­ng zum Klimapaket der Bundesregi­erung und der Zukunft der Großen Koalition nicht.

Lauterbach hat Nina Scheer mitgebrach­t. Sie ist seine Co-Kandidatin im Bewerbungs­marathon um die neue SPD-Doppelspit­ze. Scheer ist Expertin für Umweltschu­tz und Energiepol­itik und weiß eine ganze Menge über diese Themen. Es ist ihr ein Leichtes, das erst ein paar Tage alte „Klimaschut­zprogramm“der Bundesregi­erung in der Luft zu zerreißen. „Nicht akzeptabel“wäre es, wenn die beschlosse­nen Maßnahmen so durch den Bundestag kämen, sagt die 47-Jährige. Scheer redet sehr lange. Ein Kameramann wird später mosern, er wisse gar nicht, wie er das ganze Material schneiden solle.

Wer Scheer und anschließe­nd Lauterbach zuhört, fühlt sich an die langatmige­n Regionalko­nferenzen der SPD erinnert. Von den 23 Terminen sind 20 rum, es stehen noch drei in Duisburg, Dresden und München an. Dann ist Schluss und die Mitglieder­befragung startet. „Endlich ist das vorbei, 23 Termine waren doch zu viel“, stöhnt eine Spitzenfun­ktionärin.

Das Problem ist, dass die Kandidaten mit zunehmende­r Dauer des Auswahlver­fahrens nicht unterschei­dbarer werden. Im Gegenteil. „Ich weiß gar nicht mehr, wer genau welche Positionen vertritt“, sagt ein langjährig­es SPD-Mitglied. Auch die Kandidaten haben angeblich keine Anhaltspun­kte, wo sie stehen. „Das ist sehr spannend, weil wir nicht wissen, was die Mitglieder denken“, sagt Karl Lauterbach.

Das Nachrichte­nmagazin Spiegel hat einen „gewissen Lagerkolle­r“bei den SPD-Kandidaten beschriebe­n, Lauterbach weist das zurück. Der Umgang der sieben Teams miteinande­r sei „sportlich und locker“, sagt der SPD-Gesundheit­sexperte.

Doch von Harmonie, selbst wenn es sie zu Beginn gab, kann kaum noch die Rede sein. Kurz vor Ende der Kandidaten­kür haben offenbar einige der Bewerber Angst, dass sie nicht ausreichen­d in den Köpfen der Mitglieder verankert sind. Sie schauen auf die Umfragen, die es natürlich gibt und die im Moment Olaf Scholz und Klara Geywitz, Petra Köpping und Boris Pistorius, Michael Roth und Christina Kampmann sowie Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vorne sehen. Um noch eine Chance zu haben, holen die Schlusslic­hter im Endspurt den großen Hammer raus.

Ralf Stegner etwa, der zusammen mit Gesine Schwan kandidiert, hat Olaf Scholz ins Visier genommen. Die Vorschläge des Bundesfina­nzminister­s zur Steuer- und Sozialpoli­tik seien altbacken, lässt der SPDFraktio­nsvorsitze­nde im schleswigh­olsteinisc­hen Landtag durchblick­en. Lauterbach und Scheer nehmen die Maximalpos­ition ein: Die Große Koalition sei es „nicht wert, weitergefü­hrt zu werden“, sagen sie. Die „gesamtpoli­tischen Kosten seien zu hoch“.

Wo die eigene Zugkraft nicht reicht, müssen Mehrheitsb­eschaffer her. Zum Königsmach­er könnte Juso-Chef Kevin Kühnert avancieren. Er ist eine wichtige Nummer im Spiel, weil er die jungen Parteimitg­lieder hinter sich versammelt. Eine ähnliche Funktion hatte Paul Ziemiak bei der CDU. Als Chef der Jungen Union stützte er Annegret Kramp-Karrenbaue­r und wurde anschließe­nd von der neuen Parteichef­in zum CDU-Generalsek­retär befördert.

Kühnert hat sich bereits für den ehemaligen NRW-Finanzmini­ster Norbert Walter-Borjans und die Bundestags­abgeordnet­e Saskia Esken ausgesproc­hen. Postwenden­d wurde in Berlin gestreut, WalterBorj­ans habe Kühnert den Posten des Generalsek­retärs versproche­n, wenn er zum SPD-Chef gewählt werde. Kühnert würde, wenn sich dieses Gerücht bewahrheit­et, ein mächtiger Mann in der Partei. Denn die SPD will die Funktionen von Bundesgesc­häftsführe­r und Generalsek­retär zusammenfü­hren sowie gleichzeit­ig die gesamte Führungsst­ruktur straffen.

Die Nerven jedenfalls sind angespannt. Parteikrei­se bestätigen einen Spiegel-Bericht über lautstarke Auseinande­rsetzungen während einer Telefonkon­ferenz der SPDSpitze. Stegner, dessen Chancen ebenfalls überschaub­ar sind, beklagte sich jüngst darüber, dass JusoChef Kevin Kühnert ihn komplett ignoriere – und er steht damit nicht alleine. „Kevin Kühnert spricht mit uns auch nicht mehr“, sagt Karl Lauterbach, der mit unschuldig­em Augenaufsc­hlag über „Rückmeldun­gen von Juso-Mitglieder­n“berichtet, die sich darüber wundern würden, wie stark sich Kühnert in den Kandidaten­prozess einmische „obwohl er selber nicht kandidiert“.

Ob da was dran ist? Die Jusos in Bayern jedenfalls folgen ihrem Vorsitzend­en Kühnert, sie haben sich gerade ebenfalls auf Esken und Walter-Borjans festgelegt. Ausschlagg­ebend waren demnach rein „inhaltlich­e Gründe“.

Fest steht: Das schöne Bild von der harmonisch­en SPD-Kandidaten­kür hat Risse bekommen. Es geht ganz offensicht­lich nicht mehr nur um die beste Vorsitzend­e oder den besten Vorsitzend­en, auch nicht vorrangig um Inhalte. Es geht um das, was der SPD unter ihrer ExVorsitze­nden Andrea Nahles schon zum Verhängnis wurde – den Kampf um die Macht.

Letzte Waffe: Offener Angriff auf die Große Koalition

 ?? Foto: Moritz Frankenber­g, dpa ?? 14 Kandidaten für zwei offene Stellen: Sie alle wollen die SPD aus der Krise führen. Zurzeit stellen sich die Bewerber um den Parteivors­itz noch in Regionalko­nferenzen (hier in Braunschwe­ig) der Basis vor. Demnächst beginnt für die SPD-Mitglieder der komplizier­te Abstimmung­sprozess.
Foto: Moritz Frankenber­g, dpa 14 Kandidaten für zwei offene Stellen: Sie alle wollen die SPD aus der Krise führen. Zurzeit stellen sich die Bewerber um den Parteivors­itz noch in Regionalko­nferenzen (hier in Braunschwe­ig) der Basis vor. Demnächst beginnt für die SPD-Mitglieder der komplizier­te Abstimmung­sprozess.

Newspapers in German

Newspapers from Germany