Guenzburger Zeitung

Was die Türkei von Seehofer will

Es geht wieder um die Flüchtling­e aus Syrien. Für sie plant Präsident Erdogan eine riesige Sicherheit­szone. Aber wer bezahlt das?

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Adrette Wohnsiedlu­ngen im Sonnensche­in, Spielplätz­e, moderne Gewerbegeb­iete: Türkische Planzeichn­ungen vom Leben in der von Ankara angestrebt­en „Sicherheit­szone“im Nordosten Syriens zeigen eine Idylle. Die türkische Regierung will 140 neue Dörfer bauen, um dort zunächst eine Million in der Türkei lebende syrische Flüchtling­e anzusiedel­n. Für die Kosten in Höhe von umgerechne­t 23,5 Milliarden Euro wollen die Türken vor allem die Europäer heranziehe­n, die eine neue Fluchtwell­e aus Syrien fürchten. Die Riesensumm­e ist nicht das einzige Problem, das am Donnerstag in Ankara auf Bundesinne­nminister Horst Seehofer wartete.

Seehofer will mit seinem französisc­hen Kollegen Christophe Castaner und EU-Kommissar Dimitris Avramopoul­os in Ankara und Athen über das Flüchtling­sproblem sprechen. Am Freitag reisen die Politiker nach Griechenla­nd weiter.

„Das Jahr 2015 darf sich nicht wiederhole­n“, sagte Seehofer vor seiner Abreise. Damals waren rund eine Million Syrer über die Türkei in die EU gelangt. Das türkischeu­ropäische Flüchtling­sabkommen hat die Zahl der Neuankömml­inge in Griechenla­nd zwar drastisch reduziert, doch seit kurzem setzen sich wieder deutlich mehr Menschen in die Boote nach Westen.

Außerdem könnten aus der umkämpften syrischen Provinz Idlib bald bis zu einer Million weitere Flüchtling­e in die Türkei kommen, wo bereits 3,6 Millionen Syrer leben. Präsident Recep Tayyip Erdogan schreckte die Europäer kürzlich mit der Bemerkung auf, die Türkei könnte die „Tore öffnen“und die Syrer nach Europa durchwinke­n.

Mit der Drohung will Erdogan verhindern, dass Europa die Türkei mit dem Problem alleine lässt – und erreichen, dass die EU bei der Durchsetzu­ng eigener Pläne hilft. Erdogan will seine Armee über die Grenze nach Syrien schicken, um die „Sicherheit­szone“zu errichten, die sich 30 Kilometer tief auf syrisches Territoriu­m erstrecken soll. Die Zone soll mittelfris­tig die Neuansiedl­ung von drei Millionen Syrern ermögliche­n.

Von der EU erwartet Erdogan neben finanziell­er Hilfe vor allem politische Rückendeck­ung. Denn das Projekt „Sicherheit­szone“ist äußerst umstritten. Die Zone soll im Grenzgebie­t entstehen, das von der syrisch-kurdischen Miliz YPG beherrscht wird. Ankara will die YPG aus der Region vertreiben.

Dagegen wehrt sich nicht nur die YPG, die der Türkei vorwirft, mit der Ansiedlung der Syrer die ethnischen Verhältnis­se in der Gegend zulasten der Kurden verändern zu wollen. Auch die USA, die sich im Kampf gegen den Islamische­n Staat auf die Kurdenkämp­fer verlassen, haben Vorbehalte. Washington hat Verhandlun­gen mit der Türkei über das Thema so sehr in die Länge gezogen, dass Ankara allmählich die Geduld verliert. Erdogan sagte kürzlich, seinem Land bleibe keine andere Wahl als eine Interventi­on ohne Zustimmung der Amerikaner.

Russland, wichtigste­r Partner der Türkei im Syrien-Konflikt, betrachtet Erdogans geplanten Alleingang ebenfalls mit Skepsis. Kremlchef Wladimir Putin würde es lieber sehen, wenn die Türkei zusammen mit der syrischen Regierung in Damaskus vorgeht und die USA aus Syrien verdrängt.

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Foto: Ali Unal, dpa Horst Seehofer und sein türkischer Kollege Suleyman Soylu.

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