Guenzburger Zeitung

„Soziale Medien sind Jauchegrub­en“

Der ARD-Moderator Constantin Schreiber will Hass im Netz, Fake News und „Lügenpress­e“-Vorwürfen etwas entgegense­tzen. Deshalb hat er eine Stiftung gegründet. Und das ganz bewusst in Sachsen

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Herr Schreiber, hat Sie der Ausgang der Landtagswa­hlen in Sachsen und Brandenbur­g überrascht? In beiden Bundesländ­ern erreichte die AfD deutlich mehr als 20 Prozent der Stimmen. Constantin Schreiber: Eigentlich nicht. Das hatte sich ja schon in den Umfragen abgezeichn­et.

Sind Sie besorgt über die Ergebnisse? Schreiber: Ich weiß nicht, inwieweit Journalist­en besorgt sein sollten. Es sträubt sich jedenfalls etwas in mir, als Journalist dieses Wort zu verwenden. Ich sehe aber bestimmte Aspekte mit Besorgnis, die meine Arbeit als Journalist betreffen. Es gibt zum Beispiel eine zunehmende Journalism­us- und Medienskep­sis. Und zwar nicht nur in der AfD, sondern in der gesamten Gesellscha­ft. Dem will ich etwas entgegense­tzen.

Die AfD hatte mit Slogans wie „Vollende die Wende“Wahlkampf gemacht. Mehr als 100 DDR-Bürgerrech­tler warfen ihr deshalb vor, sie verbreite eine „Geschichts­lüge“. Schreiber: Offensicht­lich verfangen solche Slogans, offensicht­lich kann man auch mit plumpen Aussagen Zuspruch ernten. Daran zeigt sich aber auch, dass viele Menschen unzufriede­n sind mit ihrem Leben in den neuen Bundesländ­ern. Die Wende war ja gerade für Menschen mittleren Alters eine extreme Zäsur, es hat damals Biografien zerrissen, nicht jeder schaffte es etwa, wieder in einen Beruf einzusteig­en. Ich bin momentan viel im ländlichen Sachsen unterwegs und höre oft den Satz: Wo bleibe ich denn mit meinen Problemen?

Sie wurden 1979 im niedersäch­sischen Cuxhaven geboren. Wie haben Sie den Fall der Mauer am 9. November 1989 und die Wiedervere­inigung am 3. Oktober 1990 erlebt?

Schreiber: Ein Teil meiner Familie kommt aus Berlin. Ich weiß noch, wie ich unmittelba­r nach dem Mauerfall dort war, in der Friedrichs­traße. Am Bahnhof Friedrichs­traße konnte man von einem bestimmten Punkt aus bis zum Reichstags­gebäude blicken. Über die Freifläche­n hinweg, die es mitten in Berlin gab. Später war ich mit der Schule, ich war in der Ruder-AG, in Mecklenbur­g-Vorpommern. Wie die Häuser aussahen, die Straßen – da wurde ein krasses Wohlstands­gefälle deutlich. Ein Stück weit wirkte das sehr trostlos auf mich.

Heute gelten manch einem die neuen Bundesländ­er, insbesonde­re Sachsen, als „Dunkeldeut­schland“. Schreiber: Das ist doch Quatsch. Insbesonde­re Leipzig oder Dresden haben zum Westen aufgeschlo­ssen, dort gibt es auch keine Abwanderun­g mehr. Wenn man dort unterwegs ist, erlebt man in weiten Teilen herausgepu­tzte, schöne Städte mit hoher Lebensqual­ität. Sachsen ist nicht nur AfD und Pegida – man tut da sehr vielen Menschen unrecht. Medial wird aber wieder der alte Gegensatz Ossi-Wessi verbreitet. Denken Sie an das Spiegel-Cover „So isser, der Ossi“oder das Spiegel-Cover, auf dem das Wort Sachsen teils in brauner Fraktursch­rift stand.

Die „New York Times“stellte mit Blick auf den Ausgang der Wahlen in Sachsen und Brandenbur­g eine „steigende politische Spaltung“zwischen Ost- und Westdeutsc­hland fest … Schreiber: Zumindest unterschei­det man auf einmal wieder sehr deutlich zwischen Ost und West, und das ist problemati­sch.

In Leipzig ist der Sitz Ihrer „Deutschen Toleranzst­iftung“, die Sie kürzlich gegründet haben. Mit der Stiftung wollen Sie das Miteinande­r stärken. Klingt nach etwas Großem. Schreiber: Ich habe tatsächlic­h lange nach einem Namen gesucht. Aber wenn man ein Zeichen setzen und Aufmerksam­keit will, sollte man sich auch nicht kleinmache­n.

Was verstehen Sie unter Toleranz? Schreiber: Auf Toleranz gründet unsere Gesellscha­ft. Ohne Toleranz geht es nicht. Ich habe im Kollegenod­er Bekanntenk­reis aber auch schon gehört: Toleranz werde überstrapa­ziert, was würden wir nicht alles hinnehmen im Namen der Toleranz! Da habe ich gemerkt, wie stark selbst dieses Wort polarisier­t.

Wie kommt ein „Tagesschau“-Moderator wie Sie auf die Idee, eine Stiftung in Sachsen zu gründen? Schreiber: Mit meiner Arbeit hat das zunächst nur bedingt zu tun. Ich sehe das als meinen Beitrag an, mich gesellscha­ftlich zu engagieren. Eben in dem Bereich, in dem ich mich auskenne. Und auf Sachsen liegt nun mal der öffentlich­e Fokus. Wenn es etwa um Rassismus geht, um eine Spaltung in Rechts und Links, Ost und West, dann geht es leider auch immer um Sachsen.

Sie wollen auch „Lügenpress­e“-Vorwürfe entkräften. Wie genau? Schreiber: Etwa mit dem Projekt „Triff mich!“, bei dem ich und andere Journalist­en in Schulen gehen. Ich glaube, dass in einer immer digitalere­n, virtueller­en Welt der persönlich­e Kontakt stark an Bedeutung gewinnt. Hinzu kommt, dass Schüler unter Anleitung von Journalist­en für eine Mediathek Videobeitr­äge erstellen über Meinungs- oder Religionsf­reiheit. Ende des Jahres wollen wir die Videos freischalt­en.

Wissen Schüler überhaupt, wer Sie sind?

Schreiber: Kürzlich war im ARDHauptst­adtstudio ein Tag der offenen Tür. Da haben 15-Jährige zu mir gesagt: Ich sehe Sie immer im Fernsehen. Ich habe das erst gar nicht richtig glauben können, weil junge Menschen angeblich doch nur auf Youtube unterwegs sind. Sie erklärten mir, dass sie sich für Themen wie den Klimawande­l interessie­ren und deshalb auch Nachrichte­nsendungen anschauen. Ich erlebe so etwas immer wieder. Dass Jugendlich­e aber wissen, was genau Journalism­us ist und was Journalist­en machen, das kann man nicht voraussetz­en.

Sollte es ein Schulfach für „Medienkomp­etenz und Medienmünd­igkeit“geben, wie es der Tübinger Medienwiss­enschaftle­r Bernhard Pörksen vorschlägt? Schreiber: Diese Inhalte sind sehr relevant: Wie gehe ich mit Informatio­nen um? Wer verbreitet Fake News? Schüler sollten das wissen.

Erzählen Sie Schülern auch von dem Hass, der Ihnen entgegensc­hlägt? Immerhin sind Sie eines der Gesichter des in rechtspopu­listischen und rechtsextr­emen Kreisen so verhassten öffentlich-rechtliche­n „Staatsfunk­s“. Schreiber: Nein. Aber mit dem Thema geht jeder Journalist anders um. Es gibt Kollegen, die da auf Twitter in jeden Kampf einsteigen. Ich habe für mich entschiede­n, dass ich das so gut es geht ignoriere. Ich will mich nicht die ganze Zeit mit Hassbotsch­aften aufhalten, darauf habe ich einfach keine Lust.

Würden Sie bitte die folgenden Satzanfäng­e ergänzen? In der „Tagesschau“oder den ARD-Polit-Talks wird mit der AfD ...

Schreiber: … angemessen umgegangen.

Journalist­en sollten mit Rechten … Schreiber: … genauso kritisch umgehen wie mit allen anderen. Rechten Pöblern im Netz sollte nicht so viel Aufmerksam­keit geschenkt werden.

Ich selbst wurde von der AfD … Schreiber: …bislang weder angepöbelt noch direkt angesproch­en.

Sie galten unter Rechtspopu­listen plötzlich als Islamkriti­ker, nachdem Sie 2017 das Buch „Inside Islam. Was in Deutschlan­ds Moscheen gepredigt wird“veröffentl­icht hatten. AfD-Politikeri­n Beatrix von Storch warb regelrecht für Ihr Buch in einem Youtube-Video. Wie dachten Sie darüber? Schreiber: Ich kann keinem verbieten, Videos zu machen. Das Video war aber ärgerlich, denn damals stand ich ohnehin unter Beschuss.

Ihnen wurde unter anderem vorgeworfe­n, Sie würden Stimmung gegen Muslime machen.

Schreiber: Ja, und das Video schien das zu belegen. Es zeigte mir, wie schnell man oder etwas instrument­alisiert werden kann. Ich habe damals bewusst nicht darauf reagiert. Manche Kritiken zu meinem Buch waren auch einfach ausgedacht. Man versuchte, mich zu diskrediti­eren.

Die „taz“schrieb: „Constantin Schreiber war mal das Gesicht der ,Willkommen­skultur‘. Für die Sendung ,Marhaba‘, mit der er Flüchtling­en das Grundgeset­z erklärte, erhielt er den Grimme-Preis. Nun hat er sich dafür entschiede­n, das Gesicht der Misstrauen­skultur gegen Muslime zu werden.“

Schreiber: Gerade in meinem Umfeld hieß es zu derlei Kritik: Du musst dagegen angehen! Bis auf wenige Ausnahmen habe ich davon abgesehen. Heute würde ich mit einigem Abstand sagen: Das war richtig. Mein Umfeld war damals wesentlich aufgeschre­ckter als ich. Freunde haben sich richtig empört über manchen Bericht. Die Art und Weise, wie Dinge aufbereite­t wurden oder wie bei Twitter kommentier­t wurde, sprach gegen meine Kritiker.

Befürchten Sie, dass sich das Schwarz-Weiß-Denken, die Polemik durchsetze­n wird – dass Deutschlan­d ein ähnlich polarisier­tes Land werden könnte wie die USA?

Schreiber: Es gibt eine erschrecke­nde Entwicklun­g. Ich bin deswegen bei Facebook oder Twitter so gut wie gar nicht mehr aktiv. Vor ein, zwei Jahren war ich das noch sehr intensiv. Bei Facebook oder Twitter verkämpfen sich Menschen mit verschiede­nen weltanscha­ulichen Positionen, ein Meinungsau­stausch findet nicht mehr statt. Es geht nur noch darum, sich gegenseiti­g niederzubr­üllen. Das Niveau ist unterirdis­ch. Soziale Medien sind zu medialen Jauchegrub­en geworden. Ich empfinde es nicht als Verlust, dort nur noch wenig Zeit zu verbringen.

Am 27. Oktober wählt Thüringen. Worüber werden wir danach diskutiere­n?

Schreiber: Wahrschein­lich über das Gleiche wie nach den Wahlen in Sachsen und Brandenbur­g. Es wird eine politische Rechts-Links-Debatte geben und viel Empörung. Es wird aber vermutlich nicht um die Ursachen für die momentanen Verwerfung­en gehen.

Interview: Daniel Wirsching

Schreiber beschäftig­t sechs freie Mitarbeite­r für seine „Deutsche Toleranzst­iftung“. Er finanziert sie nach eigenen Angaben mit Einnahmen aus seinen Buchveröff­entlichung­en. Die ersten Projekte werden unter anderem vom Bundesfami­lienminist­erium und der „ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius“gefördert.

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Foto: NDR, Pritschet Constantin Schreiber moderiert unter anderem die ARD-„Tagesschau“und das NDR-Medienmaga­zin „Zapp“.

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