Guenzburger Zeitung

Wenn ein Journalist zum Ideologen wird

- VON DANIEL WIRSCHING

Soziale Medien Ich habe einen Journalist­en-Kollegen, der zunehmend zum Ideologen wird. Ich kenne ihn nicht persönlich, vor Jahren habe ich ihn mal interviewt. Er hatte Interessan­tes zu berichten, war gut informiert und sympathisc­h. Seine Ideologisi­erung, man könnte auch von Radikalisi­erung sprechen, vollzieht sich in aller Öffentlich­keit bei Facebook und Twitter. Es ist erschrecke­nd, welch hanebüchen­en, ja gefährlich­en Quatsch er dort in seinen Posts verbreitet. Frühere Leser von ihm reagieren irritiert. Zunächst widersprac­hen sie ihm noch oder fragten, warum er plötzlich schreibe, wie er schreibe. Solche Kommentare aber werden weniger.

Dem Kollegen scheint der Applaus seiner neuen Leser zu gefallen. Verschwöru­ngstheoret­iker, Hater, Neurechte … Ihre Reaktionen scheinen ihn erst recht anzustache­ln. Seine Posts kommen auf viele Klicks und Interaktio­nen – und er liefert, was seine Leser offenbar wollen: Kritik an den öffentlich-rechtliche­n Sendern oder den Grünen. Fakten, Fakten, Fakten zählten einmal für ihn, inzwischen hat er einen selektiv-instrument­alen Umgang mit Fakten entwickelt. Sie sind auch nicht mehr so wichtig für ihn, das ist nicht nur mein Eindruck. Er ist ja mit seinen Meinungen erfolgreic­h.

Seine Posts machten mich erst fassungslo­s, dann ärgerlich. Kürzlich schrieb er, der Auftritt der Klimaaktiv­istin Greta Thunberg beim UN-Klimagipfe­l und die Reaktionen der anwesenden Politiker auf ihre Wutrede erinnere ihn an sowjetisch­e Revolution­äre in den Anfangstag­en und „Applaus für Selbstbezi­chtigungen unter Stalin“– „Unheimlich, was da auf uns zurollt.“

Er zitierte auch ausführlic­h, was ihm ein „Bekannter mit DDR-Hintergrun­d“geschriebe­n habe: „Die heutige Greta-Rede in New York sollte jeder sehen, um eine Diktatur zu verstehen. (...) Zum heimlichen biologisch­en Ausmerzen asozialer Schädlinge ist es nur ein kurzer Weg.“Es folgten weitere Vergleiche mit der NS-Zeit. Der Kollege verbreitet­e das unkommenti­ert. Gerade treibt ihn das „Wiederaufl­eben von totalitäre­m Denken und Handeln in Deutschlan­d“um. Er wittert es überall, besonders in linksgrüne­n „Pharisäer-Journalist­en“, „Moraliban“. „Wollt Ihr den totalen Klimaschut­z?“, twitterte er. Es ist traurig.

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