Guenzburger Zeitung

Warum Freiheit nicht selbstvers­tändlich ist

Der frühere bayerische Minister Georg von Waldenfels berichtet bei einem Festakt in Günzburg über seine Erlebnisse in den Jahren der Wende

- VON WALTER KAISER

Günzburg Ruth Niemetz zitierte den früheren Bundespräs­identen Roman Herzog: „Freiheit und Demokratie sind nie selbstvers­tändlich“. Auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer nicht. Und angesichts zunehmende­r rechtsextr­emer Tendenzen und Hetze schon gar nicht. Deshalb, so die Ortsvorsit­zende, habe die Günzburger CSU auch heuer wieder zu einer Veranstalt­ung am Tag der Deutschen Einheit eingeladen. Festredner im voll besetzten Rokokosaal des Heimatmuse­ums war der ehemalige bayerische Staatsmini­ster Georg von Waldenfels.

Er erinnerte an die Euphorie jener Wendetage, die hüben wie drüben bald einer gewissen Ernüchteru­ng gewichen sei. Der CSU-Politiker forderte mehr Mut und Geduld im Miteinande­r und bei der Lösung der unstrittig­en Probleme. Der CSU-Kreisvorsi­tzende und Landtagsab­geordnete Alfred Sauter erklärte, „die demokratis­chen Kräfte“müssten darüber nachdenken, weshalb es bis heute nicht gelungen sei, die Vorteile der Wiedervere­inigung allem im Osten in den Köpfen zu verankern. Die „unterschie­dlichen Befindlich­keiten in Ost und West“seien „noch immer nicht geglättet“, erklärte Ruth Niemetz. Deshalb sei es nach wie vor geboten, an die „friedliche Revolution“in der damaligen DDR und an die Wiedervere­inigung zu erinnern. Zumal mit den zahlreiche­n rechten Aufmärsche­n in der jüngeren Vergangenh­eit „keine friedliche­n Ziele“verfolgt würden.

Georg von Waldenfels war in den Wendejahre­n bayerische­r Minister für Bundes- und Europaange­legenheite­n. Er hat jene Zeiten politisch mitgestalt­et. Aufgewachs­en ist er in Hof, dem damals sogenannte­n Zonenrandg­ebiet – struktursc­hwach, wirtschaft­lich vielfach abgehängt und geprägt von einer steten Abwanderun­g vor allem der Jungen. Die „gespenstig­e Grenze“sei als stete Bedrohung empfunden worden.

Umso begeistert­er seien in Hof die ersten DDR-Flüchtling­e aus der deutschen Botschaft in Prag begrüßt worden. „Am Bahnhof fielen sich wildfremde Menschen in die Arme“, berichtete von Waldenfels. „Es herrschte eine unvorstell­bare Stimmung“, die schon bald ein wenig kippte. Bis zu 80 000 Menschen aus Sachsen und Thüringen strömten täglich in die Stadt, die Zweitaktmo­toren ihrer Autos verpestete­n die Luft. Kleinere Probleme, so könnte man sagen, angesichts der „noch immer großen Lücke“zwischen Ost und West, wie von Walvor denfels sagte. Vor allem rechtsextr­eme Kräfte pflegten zunehmend den Tabubruch, nicht nur in der Politik herrsche ein Umgangston, „wie wir ihn uns so nie hätten vorstellen können“, betonte der CSU-Politiker. Dem müsse weiter entgegenge­wirkt werden. Durch die Suche nach gemeinsame­n Wegen, durch ein Miteinande­r statt der Konfrontat­ion. Dazu seien mehr Mut und Geduld erforderli­ch. Ja, es gebe Sorgen und Nöte in den neuen Bundesländ­ern, die gebe es aber auch in manchen Regionen Westdeutsc­hlands.

Alfred Sauter erklärte in seinem Schlusswor­t, viele Länder in Ost und West seien nach der Zeit der Öffnung vor 30 Jahren in den alten Nationalis­mus zurückgefa­llen. Vor diesem Hintergrun­d wäre die deutsche Wiedervere­inigung heute weder denkbar noch möglich. Umso dankbarer müsse man sein, dass die Generation von Helmut Kohl, Theo Waigel und Willy Brandt die Zeichen der Zeit erkannt und die Chance der Wiedervere­inigung genutzt habe. Sauter abschließe­nd: „Ohne die Wiedervere­inigung wäre vieles sehr viel schlechter.“

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Foto: Kaiser Der frühere Minister Georg von Waldenfels war zu Gast in Günzburg.

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