Guenzburger Zeitung

Mit allen Mitteln für das Klima

Am Montag wollen Aktivisten den Verkehr in Berlin lahmlegen. Die friedliche­n Demonstrat­ionen könnten in gewaltsame Aktionen umschlagen

- VON STEFAN LANGE

Berlin Laufen die Klimaprote­ste aus dem Ruder? Für Montag ruft die Bewegung „Extinction Rebellion“nicht mehr nur zu Kundgebung­en auf, sondern auch zu Straßenblo­ckaden. Die Aktivisten wollen den Verkehr in Berlin und anderen Städten lahmlegen. Zahlreiche Prominente zeigen sich solidarisc­h. Doch es gibt auch Befürchtun­gen, dass die bislang friedliche­n Proteste in Misskredit gebracht werden. Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht warnt die Gruppe jedenfalls vor gewaltsame­n Aktionen. „Es gehört zu den großen Errungensc­haften unseres Rechtsstaa­ts, dass man in der Öffentlich­keit friedlich für seine Überzeugun­gen demonstrie­ren darf“, sagt die SPD-Politikeri­n im Gespräch mit unserer Redaktion – und betont zugleich: „Dies muss aber im Rahmen des geltenden Rechts geschehen – nicht zuletzt, um weder sich noch andere zu gefährden.“

„Extinction Rebellion“bedeutet übersetzt etwa „Rebellion gegen das Aussterben“. Die Gruppe sieht sich als „internatio­nale gesellscha­ftspolitis­che Bewegung“mit dem Ziel, „den für das Klima nötigen umfassende­n und tief greifenden Wandel herbeizufü­hren“. In Großbritan­nien gegründet, haben die Aktivisten inzwischen auch in Deutschlan­d viele Unterstütz­er, wie etwa in Augsburg, in Ulm und im Allgäu. Sie setzen nach eigenen Angaben auf strikte Gewaltfrei­heit und doch sind sie ein

anderes Kaliber als „Fridays for Future“, das vor allem von Schülerinn­en und Schülern getragen wird. In Berlin etwa wurden bereits Sitzblocka­den trainiert, die Teilnehmer lernten dabei auch, wie man sich von Polizisten wegtragen lässt. Seit Wochen bekleben kleine Gruppen in der Stadt Häuserwänd­e mit dem Slogan „#Berlinbloc­kieren“. Zu den Gründern von „Extinction Rebellion“gehört der britische Klimaaktiv­ist Roger Hallam, der aus seinen radikalen Ansichten keinen Hehl macht. „Konvention­elle Aktionsfor­men wie Demos, E-Mail-Kampagnen und Lobbyarbei­t sind Schrott, sie haben nicht den nötigen Effekt“, sagte er dem Spiegel. Wie weit darf der Kampf gegen den Klimawande­l also gehen?

Nach Erkenntnis­sen des badenwürtt­embergisch­en Verfassung­sschutzes ist „Extinction Rebellion“nicht dem extremisti­schen Spektrum zuzuordnen. Es hätten sich „bislang keine hinreichen­den tatsächlic­hen Anhaltspun­kte ergeben“. Auffällig wurden Angehörige der Bewegung vor allem wegen Verstößen gegen das Versammlun­gsgesetz. In einigen Fällen ging es auch um Nötigung, Hausfriede­nsbruch und Sachbeschä­digung.

Verliert die Klimabeweg­ung ihre Unschuld? Der Politikwis­senschaftl­er Michael Zürn will das zumindest nicht ausschließ­en. „Die gegenwärti­gen Klimaprote­ste haben erkennbar eine stark gewaltfrei­e Orientieru­ng“, sagt der Professor für Internatio­nale Beziehunge­n an der Freien Universitä­t Berlin. Es gehe primär um die demokratis­che Auseinande­rsetzung mit einem Thema, weniger um die gesellscha­ftliche Ordnung. „Gleichzeit­ig gibt es angesichts des Erfolges der Bewegung zunehmend Versuche, sie durch andere Gruppierun­gen zu instrument­alisieren“, warnt Zürn. „Die Frage der Abgrenzung von protestber­eiten, aber eher gewaltorie­ntierten Gruppierun­gen wird erhebliche Spannungen in die Klimabeweg­ung hineintrag­en, sie unter Umständen sogar schwächen“, erklärt der Experte.

Eines ist „Extinction Rebellion“jedenfalls gelungen: Die Bewegung bekommt große Aufmerksam­keit. In einem offenen Brief fordern Prominente wie Regisseur Fatih Akin, die Schauspiel­erin Karoline Eichhorn, der Autor Rocko Schamoni und Ärzte-Schlagzeug­er Bela B. Kanzlerin, Regierung und Bundestag auf, „sofort drastische Maßnahmen gegen die sich verschärfe­nde ökologisch­e Krise zu ergreifen“.

Im Leitartike­l schreibt Stefan Lange, dass Gewalt keine Lösung ist. In der Politik erfahren Sie mehr über die Bewegung.

„Die Frage der Abgrenzung von eher gewaltorie­ntierten Gruppierun­gen wird erhebliche Spannungen in die Klimabeweg­ung hineintrag­en.“Der Politologe Michael Zürn

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