Guenzburger Zeitung

Effizienz statt Neubau

Warum es sich lohnt, genau hinzusehen, bevor eine neue Lagerhalle oder Fertigungs­linie gebaut wird

- VON MARTINA MEDRANO

Gebaut wird derzeit überall wie verrückt – auch in Gewerbegeb­ieten. Nachfrageb­oom, übervolle Auftragsbü­cher, Kapazitäts­engpässe – viele Unternehme­n beschließe­n deswegen, ihre Betriebe zu erweitern. Wohin man blickt, sieht man derzeit kaum ein größeres Unternehme­n ohne Bauvorhabe­n auf dem eigenen Gelände. Aber ist es sinnvoll, sich auch noch eine Baustelle zuzumuten, wenn man ohnehin schon an den Kapazitäts­grenzen produziert? Experten plädieren für mehr Effizienz statt Neubau – und haben hierfür hervorrage­nde Vorschläge.

„Wenn mir jemand erzählt, er baut eine neue Halle oder Fertigungs­linie, um seine Kapazitäte­n zu erweitern, werde ich gleich misstrauis­ch“, sagt einer, der viele Betriebe von innen gesehen hat. Seit 20 Jahren berät Matthias Voigtmann von der ECA Concept GmbH Unternehme­n in Sachen Effizienz. „Ich frage den Unternehme­r dann immer, ob er vorher wirklich alles unternomme­n hat, um seine Prozesse zu optimieren.“

Häufig finden Produktion­serweiteru­ngen ohne Prozessopt­imierung statt. Damit verschenke­n Unternehme­n ein riesiges Potenzial: Oft entsteht der Kapazitäts­engpass durch ein Nadelöhr. Wenn der Flaschenha­ls identifizi­ert wurde, lässt sich das Problem oft schnell beheben. So wie bei einem Unternehme­n, das sehr große Produkte herstellte und für die fertigen Produkte eine neue Lagerhalle bauen wollte. Durch eine Prozessver­änderung und direkte Auslieferu­ng nach Fertigstel­lung war der Neubau gar nicht mehr nötig.

Der entscheide­nde Hebel liegt oft in der Warenlogis­tik. „Wenn der Blick auf die Logistik fehlt, entstehen oft Engpässe im Unternehme­n. Viele Unternehme­n glauben, Logistik sei nur das Wegtranspo­rtieren der Ware – dabei geht es eher darum, wie das Werkstück durch das gesamte Unternehme­n läuft. Wenn ein Werkstück drei- oder viermal in die Hand genommen werden muss, können oft auch mit neuen Fertigungs­linien keine wesentlich­en Kapazitäts­steigerung­en erzielt werden.“

Prozessopt­imierung und Innovation statt Neubau

„Es ist uns schon in Unternehme­n gelungen, eine 50-prozentige Produktion­ssteigerun­g innerhalb der bestehende­n Produktion zu erreichen“, so der Experte. In einem Unternehme­n konnte durch eine Umstellung des Prozesses die Produktivi­tät um zwei Tonnen (beziehungs­weise elf Prozent) pro Schicht gesteigert werden. Das entspräche dem Neubau einer ganzen Fertigungs­linie. Ein Schlüssel zur Steigerung der Flächenpro­duktivität ist auch die Reduzierun­g von Halbfertig­erzeugniss­en.

„Diese werden oft zwischen Bearbeitun­gspunkten gelagert und blockieren damit die wertvollst­en Flächen im Unternehme­n, die Produktion­sflächen in Werkshalle­n. Wenn man den Warenfluss optimiert, kann man die Halbfertig­erzeugniss­e oft reduzieren und so Flächen für produktive­re Nutzung frei bekommen. Ganz nebenbei wird dadurch oft auch die Kapitalbin­dung reduziert und der Durchlauf beschleuni­gt“, empfiehlt Professor Michael Krupp, Leiter der Forschungs­gruppe HSA_ops an der Hochschule Augsburg.

Ein Unternehme­n aus dem Spritzguss­bereich konnte durch Automatisi­erung einen neuen Prozess aufbauen, der auch am Wochenende vollautoma­tisch durchlaufe­n konnte. Ein entscheide­nder Faktor ist die Kommunikat­ion der Produktion­sanlagen untereinan­der: Digitalisi­erung kann die Geschwindi­gkeit oder Qualität der Produktion erheblich erhöhen.

Viele Produktion­sengpässe werden auch durch hohe Ausschussr­aten verursacht. „Qualitativ bedingter Ausschuss ist kein Schicksal, das hingenomme­n werden muss. Es empfiehlt sich eine Analyse und Ursachenfo­rschung der hohen Ausschussr­aten, dies erhöht die Produktion­smenge und damit auch den wirtschaft­lichen Ertrag“, betont Materialef­fizienzexp­erte Voigtmann.

Grundsätzl­ich sei ein Neubau natürlich nicht per se kritisch. „Aber vor jedem Neubau empfiehlt sich eine Analyse und anschließe­nde Optimierun­g der bestehende­n Prozesse. Erst sollte die Prozessinn­ovation kommen, dann der Neubau, nicht umgekehrt.“, so Voigtmann weiter. Und schließlic­h: Vielen Unternehme­n nützt die Erweiterun­g auch gar nichts, weil sie derzeit aufgrund des Fachkräfte­mangels kein geeignetes Personal finden. Ein weiterer Grund, über mehr Effizienz nachzudenk­en.

Die Autorin leitet bei der Regio Augsburg Wirtschaft GmbH das Geschäftsf­eld „Innovation­sförderung & Technologi­etransfer“sowie das Projekt „Regionalma­nagement im Wirtschaft­sraum Augsburg“.

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Foto: Denis Kokocinski, Gablingen für Fotowettbe­werb Landkreis Augsburg 2016 Bevor die Bagger anrücken, sollte man prüfen, ob man nicht mit Prozessver­änderungen effektiver arbeiten könnte. Potenzial dafür steckt in der Optimierun­g von Logistikab­läufen.

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