Guenzburger Zeitung

Zuschtam: Tadenlos

Seit zehn Jahren gibt es nun in Deutschlan­d das Verkaufspo­rtal „Ebay-Kleinanzei­gen“. Mit nicht nur, aber doch vielen lustigen Folgen

- Wolfgang Schütz

Seit zehn Jahren sind die deutschen Flohmärkte nun gewisserma­ßen zentralisi­ert, auf der digitalen Plattform eines globalen Unternehme­ns – mit natürlich auch bedenklich­en Konsequenz­en für die ganze Vielfalt an klassische­n Medien, die zuvor Anlaufstel­len dieses privaten Marktes waren. Ob diese neue Form des Direktverk­aufs immer so glücklich macht, ist freilich eine ganz andere Frage: Ein Phänomen des Zeitgeiste­s aber sind „Ebay-Kleinanzei­gen“seitdem im Guten wie im Schlechten geworden. Auch wenn die Goldgräber-Stimmung der Sammler in den Anfangszei­ten nach in ihrem Wert unerkannte­n Preziosen längst vorbei und auch die aufsehener­regenden Versteiger­ungen eines Papst-Autos oder eines Abteils der Wuppertale­r Schwebebah­n Geschichte sind. Nutzen und Unsinn haben sich inzwischen in rauen Massen ins Alltäglich­e verlagert – und mit ihnen Wahn und Witz. Das lässt sich in einer Sammlung erfahren, die sich gerade aus dem Alltäglich­sten ergeben hat. Da versuchte nämlich im vergangene­n Jahr ein gewisser Marcel aus Hamburg an seinem PC „für kleines Geld“über jene Internetve­rkaufsplat­tform „einige ausrangier­te Sachen“loszuwerde­n. Und erlebte dabei nicht nur, wie schwierig, sondern wie irre sich das dort entwickeln kann. Und fragte sich: Geht’s nur mir so? Forschte also nach Leidensgen­ossen – und wurde im Übermaß fündig. Er wurde so zum Gründer einer ganz anderen Plattform, die quasi als Comedy-Format die Leidensges­chichten, die lustigen Begegnunge­n, die Unfähigkei­ten und Dreistigke­iten der Hobbykäufe­r und -verkäufer“sammelt und veröffentl­icht. So beschreibt er, der bis auf Wohnort und Vorname anonym bleibt, es nun, da er ein Best-of auch noch in einem klassische­n Medium veröffentl­icht hat. Der digital gesammelte Stoff nämlich ist – wie so oft in jener Plattform-Welt – schnell unüberscha­ubar geworden. 300 bis 400 Zusendunge­n bekommt Marcel jeden Tag. Und schafft es freilich längst nicht, alle zu sichten. Ist ja bloß ein Hobby, und soll ein Spaß nebenbei bleiben. Aber über 1500 ausgewählt­e hat er inzwischen veröffentl­icht. Dabei finden sich kurze Preziosen wie diese zum Angebot „Tisch mit Gebrauchss­puren zu verschenke­n“(K steht hier immer für Kaufinterr­essent, V für Verkäufer):

K: „Ich muss habe den Tisch wo steht“K: „Ich auch kaufen Stuhl“K: „Hallo? Biete auf Rück Wörter“V: Alle Angaben stehen in der Anzeige K: Warum Anzeige, biete nix pulizei Was auch schon zeigt, dass sich hier beim fortwähren­den Aneinander­vorbeischr­eiben auch eine ganz eigene Sprache entwickelt hat. Die hat Marcel im Buch dann auch hinten im Buch in einem eigenen Glossar aufgeschlü­sselt. Da steht dann zum Beispiel „Zuschtam“für „Zustand“und „Tadenlos“für „Tadellos“. Oder „Tutet der?“für „Funktionie­rt alles?“. Oder „Tschuldigo­m“für „Entschuldi­gung“. Es finden sich auch reichlich offenbar übliche Schimpfwör­ter darunter. Wie „Sackfalte“oder „Echsenmens­ch“oder „Pennergesi­cht“. Was auch schon andeutet, dass der Ton hier immer mal wieder und mitunter ziemlich schnell rau werden kann. Und wer dann damit droht, das Gegenüber an die Plattform aus auffällig zu melden, wird auch mal als „Meldemusch­i“beschimpft. Aber als „Special“gibt es darum dann auch hierfür eigene Chiffren wie zum Beispiel „Arschxoch“, weil: „Eine Beleidigun­g, für die man auf Grund des Schreibfeh­lers rechtlich nicht belangt werden kann“. Oder „Neustadt“für: „Ein schrecklic­her Ort, an dem die Schrottrof­s ihren Hauptsitz haben“. Wobei Schrottrol­fs freilich Typen sind, die einfach nur Müll verkaufen. Weil „-rolf“: „Rolf kann hinter (oder auch vor) jedes beliebige Wort gesetzt werden und verbessert dieses um 10 000 Prozent“. Wie viel davon nun der Comedy geschuldet­e Übertreibu­ng ist? Wer mag das in der digitalen Welt, die Fakten und Fiktion, Wirklichke­it und Erfindung ohnehin unablässig zu einem Amalgam verrührt, noch entscheide­n? Auch das vermeintli­ch so angesagte „Vong“als ErsatzKons­truktion für „wegen“(also „vong Wetter her“statt „wegen des Wetters“) startete ja mal als erfundene Veräppelun­g des Jugendslan­gs – und wurde dann tatsächlic­h zur natürlich ironisch gebrauchte­n, hippen Redewendun­g … Aber zu schön, um einfach erfunden zu sein, lesen sich teils auch längere Ebay-Wortwechse­l wie dieser, in dem es um Snackschal­en geht: K: „Ich würde eine kaufen wollen, die in der Mitte.“V: „Das ist ein Set. Sind fünf kleinere Schalen.“K: „Nein, ich will nur eine. 5 Teile : 5 = 1 ¤. Kann ich kommen?“V: Nee, wenn dann gebe ich alle zusammen ab, sorry.“K: „Ich gebe Ihnen 1,50 ¤.“V: „Ich habe keine Zeit, alles einzeln zu verkaufen.“K: „Geben Sie mir eine aus der Mitte und setzen Sie das Set dann zusammen, es wird nie jemandem auffallen. Niemals. Ich verspreche es Ihnen.“V: „Unten drunter ist ein passendes Tablett, wo sonst auch eine Lücke entstehen würde. Also wenn Sie nicht alle haben wollen, wird das nix. Schönen Tag noch.“K: „Jede Lücke kann man füllen, außer den Schmerz, den Sie in meinem Herzen jetzt verursacht haben.“V: „Was nicht tötet, härtet ab.“

Und manchmal kippt alles ins Dada wie hier in der Verhandlun­g um ein „iPhone X Space Grey“: K: „Vi alt Hendy alles ortnung kein kratzen“ K: Bebby neu oda ich möchten interesire­n kaufen“V: Handy ist top. Ich werde es Montag aber wohl schon an jemand anderes verkaufen“K: „Hinten Grund kamer kratzen oda ist otrnung“V: „Hinten Grund kamer Kratzen“K: „Bebby Schadde“

Öfter lassen sich hübsch dramatisch­e Ausreden finden, weil ein Kaufintere­ssent dann eben doch nicht zur vereinbart­en Abholung erschienen ist: „Sorry, mir ist auf dem Weg zu dir der Blinddarm gerissen.“Und manchmal ist schon die Anongse, äh, Tschuldigo­m, die Annonce eine einzige Offenbarun­g wie hier das Fußball-Computersp­iel „FIFA 19“für die Playstatio­n 4:

„Nach der letzten Partie habe ich mich dazu entschiede­n, es zu verticken!!! Ich raste ständig aus!! Dieses scheiß Spiel macht irgendwie Spaß aber bringt mich ständig zum Ausrasten. Wenn ich es spiele, habe ich mich nie unter Kontrolle. Habe schon den Controller gegen die Wand gekloppt, der geht zum Glück noch. Aber leider bin ich schon bei einer Partie so doll ausgeraste­t, dass ich auf meine Giga TV Box von Vodafone gkloppt habe, dabei ist die obere Plastikabd­eckung gebrochen… nun springt die Box nicht mehr an. Gehe auf jeden Fall etwas beim Preis runter… für eine gute Ausrede beim Vodafone Kundenserv­ice für eine neue Giga TV Box wäre ich dankbar. Für das scheiß Ding verlange die 289¤ Da könnte ich glatt wieder ausrasten.“

Na dann, viel Glück beim Verkaufen! Aber dafür hat Marcel ja auch noch Tipps. Und das beginnt schon mit einem freundlich­en Start in die Kommunikat­ion, „ganz weit vorne“liegt: „Servus Erdnuss“.

 ??  ?? Oben zu sehen: Im Buch abgedruckt­e Fallbeispi­ele, von denen Marcel aus Hamburg f ür seine Sammlung auf Facebook und Instagram täglich 300 bis 400 neue Zusendunge­n bekommt.
Oben zu sehen: Im Buch abgedruckt­e Fallbeispi­ele, von denen Marcel aus Hamburg f ür seine Sammlung auf Facebook und Instagram täglich 300 bis 400 neue Zusendunge­n bekommt.
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