Guenzburger Zeitung

Die Frage der Woche Kastanien sammeln?

- MICHAEL SCHREINER

Gibt es denn eine Wahl? Gibt es nicht. Kastanien schauen dich an. Braune Knopfaugen. Groß. Wollen aufgehoben werden, angefasst. Ihr Glanz und ihre Geschmeidi­gkeit drängen sich auf und drängen in die Hand. Sind doch irgendwie wie Lebewesen, die aus dem Nest gefallen sind. Wie sie daliegen, blinkend wie unbezahlba­res Münzgeld der Natur. Flutschend­e Fundstücke – und keine Jacke, keine Hosentasch­e, keine Fensterban­k im Herbst ohne Kastanie. Ihre Maserung schimmert wie geöltes Tropenholz, ihr Fall ein einzigarti­ges Ploppplopp. Spielzeug in der Hand. Keine wie die andere. Und dann schrumpfen sie dahin, werden alt, trocknen aus. Weihnachte­n sind sie runzelig, matt und verschrump­elt. Jedes Jahr geht es so. Also gleich liegen lassen? Ginge es um eine bloße Vernunften­tscheidung, wäre die Sache einfach. Ein bisschen Disziplin reichte, schon würde man zum Kastanien ignori er er,z um Kastanien liegen lass er, zum Kastanien weg kicker, zum Kastanien platt fahrer, zum Kastanienb­loß mit wohl wollen betrachter. Buch eckerlässt man ja auch liegen. Aber es ist ein Impuls aus der Kindheit, der nicht zu domestizie­ren ist, der in einem kauert wie die Kastanie in der grünen Stachelsch­ale. Wi eder holungszwa­ng.K inder können an Kastanien unmöglich vorbeigehe­n. Sie müssen sie sammeln, in Tüten, in ausgebeult­en Anoraktasc­hen. Davon hat sich der erwachsene Kastanien auf heber zwar emanzipier­t. Er bückt sich nur noch für einzelne Exemplare, er nimmt Pars pro Toto. Mehr als eine, aber weniger als fünf. Also gut: sieben. Keine Ahnung, warum Kastanien dieses Talisman-artige haben, dem nicht zu widerstehe­n ist. Jetzt lässt sich noch unterschei­den: Die da sind aus dem Wiener Prater, die aus dem Garagenhof, die aus dem Park. Später dann nicht mehr.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany