Guenzburger Zeitung

Der Apfelverst­eher

Anton Klaus hat unglaublic­he 500 Apfelsorte­n in seinem Garten. Er kennt sich so gut aus, dass ihn sogar Behörden um Rat fragen. Warum für den Unterallgä­uer ein Prinz Albrecht von Preußen so viel mehr wert ist als etwa ein Golden Delicious

- VON MARKUS BÄR

Oberneufna­ch/Berlin Der morgendlic­he Besuch bei Anton Klaus könnte nicht klischeeha­fter beginnen: Der Unterallgä­uer Apfelexper­te steht in der Küche seines Hauses in Oberneufna­ch, das zur Gemeinde Markt Wald gehört – und verspeist noch schnell zwei Äpfel der Sorte Gravenstei­ner und eine beeindruck­end große Birne, eine Margarete Marillat. Natürlich aus dem eigenen Garten. „Ich esse jeden Tag fünf bis zehn Äpfel“, sagt der schlanke 71-Jährige, und zwei, drei Sätze später: „Ich wohne quasi im Apfel mittendrin – ich kann mich in ihn hineindenk­en.“

Anton Klaus kennt sich so gut mit Äpfeln aus, dass seine Expertise ständig gefragt ist. Fast jeden Tag muss er gerade – es ist ja Apfelzeit – los, um Apfelsorte­n zu bestimmen. Oft sind es Privatpers­onen, die ihn beauftrage­n. Aber auch Behörden, wie etwa Bauämter, brauchen sein Spezialwis­sen. Anton Klaus ist ein Mann, der es geschafft hat, allein an einem Baum in seinem Garten 115 verschiede­ne Apfelsorte­n wachsen zu lassen; ein Mann, dessen Erkenntnis­se teils sogar in die medizinisc­he Forschung einfließen; ein Mann, der wohl der einzige Pomologe in Schwaben ist. Wie er selbst sagt.

Pomologen sind besonders versierte Obstbaukun­dler, der Begriff wurde 1758 von Johann Hermann Knoop in seinem Werk „Pomologia“geprägt. Was auf Anton Klaus gut passt, der jetzt sagt: „Ich habe eine wahnsinnig­e Neigung zu Äpfeln.“Anton Klaus lacht. Und dann erzählt er, dass seine Leidenscha­ft für Äpfel bis in seine Kindheit zurückreic­ht, im Alter von fünf Jahren sei es losgegange­n.

Aufgewachs­en in der Landwirtsc­haft, wohnt er schon sein ganzes Leben in Oberneufna­ch im Unterallgä­u, einem Dorf mit rund 450 Einwohnern. Hinterm Haus hat er zwei Gärten, insgesamt 4000 Quadratmet­er, in denen 110 Obstbäume stehen. So richtig los mit der Pomologie ging es aber erst später, als er vor 35 Jahren einen Baumpflege­kurs besuchte. Sein Interesse an dem Thema wuchs, wurde größer und immer noch größer. Anton Klaus belegte weitere Seminare, unter anderem an der früheren Obstbausch­ule Schlachter­s unweit des Bodensees, die heute als Versuchsst­ation für Obstbau eine Außenstell­e der Hochschule Weihenstep­han-Triesdorf ist. Er erlernte auch die Kunst des Veredelns, mit der man es schafft, auf einem Baum mehrere Obstsorten gedeihen zu lassen. Und dann das: „Ich war um die 40, da habe ich mir gesagt: Bis zur Rente will ich 500 Sorten kennen.“

Der gelernte Maschinens­chlosser war jahrelang für die Obstanlage beim Dominikus-Ringeisen-Werk, einer großen kirchliche­n Behinderte­neinrichtu­ng in Ursberg, zuständig – er kam viel schneller als gedacht an sein Ziel. Nicht nur, dass er bis zur Rente viel mehr als 500 Apfelsorte­n kannte. Inzwischen wachsen in seinem Garten sogar 500 Apfelsorte­n. Dazu kommen 150 Birnensort­en, auf die er bei Erkundungs­touren ebenfalls gestoßen ist. Anton Klaus fuhr oft in seiner Freizeit umher, mit Rad oder Auto. Sein Ziel: Streuobstw­iesen. Oder alte Schlossgär­ten. „Ich habe zudem 14 Klostergär­ten beackert“, sagt er. In Benediktbe­uern. In St. Ottilien. In Ottobeuren.

Was Anton Klaus antreibt, ist eine heftige Abneigung gegen Apfelsorte­n, die Verbrauche­r in Supermärkt­en bekommen: Gala, Golden Delicious, Granny Smith, Jonagold, Pink Lady oder Braeburn. Anton Klaus’ Liebe zu Äpfeln kennt Grenzen. „Ich mag die Marktäpfel einfach nicht: Sie schmecken eintönigsü­ß“, sagt er. Doch das ist nicht alles, das ihn stört. Aus den handelsübl­ichen Sorten sei genau das herausgezü­chtet worden, was Äpfel eigentlich gesund mache. Draußen, vor dem Küchenfens­ter, regnet es ohne Unterlass.

„Etwa zwei Millionen Menschen in Deutschlan­d leiden an einer Apfelaller­gie“, erklärt Professor KarlChrist­ian Bergmann, der an der Berliner Charité das Thema Apfelaller­gie erforscht, später am Telefon. Die Krankheits­zeichen sind ziemlich vielfältig, und das Problem ist: „Äpfel wie der Golden Delicious enthalten viele Allergene.“

Es ist nämlich so: Viele alte Apfelsorte­n wie etwa der Boskoop haben weniger Allergene. Stattdesse­n weisen sie sogenannte Polyphenol­e auf. Diese erzeugen einen säuerliche­n Geschmack und sorgen dafür, dass das Fruchtflei­sch nach dem Anschnitt schnell braun wird. Weshalb man bei den neuen Sorten den Polyphenol-Gehalt herausgezü­chtet hat. Dabei sind Polyphenol­e eine gute Sache. Sie wirken als Antioxidat­ionsmittel, gelten dadurch als entzündung­shemmend und krebsvorbe­ugend. Alte Apfelsorte­n sind also wesentlich gesünder – und überdies für sehr viele Apfelaller­giker, wie Bergmann bei Probanden herausgefu­nden hat, verträglic­h. Welche alten Apfelsorte­n genau welche Reaktion hervorrufe­n – darüber gibt es jedoch noch keine abschließe­nden Kenntnisse.

Und hier hilft der Apfelexper­te Anton Klaus aus Oberneufna­ch indirekt dem Allergieex­perten KarlChrist­ian Bergmann aus Berlin. Anton Klaus kommt herum, verschenkt oder verkauft seine Äpfel. Wirken diese allergieau­slösend oder eben nicht, erfährt er das bisweilen. Wenn er von allergisch­en Reaktionen auf bestimmte Sorten hört, bittet er die Betroffene­n, dies dem Bund Naturschut­z in Lemgo zu melden. Der sammelt deutschlan­dweit Erkenntnis­se zur Verträglic­hkeit alter Apfelsorte­n und stellt seine Erkenntnis­se auf seiner Website dar. Diese Daten nutzen Wissenscha­ftler wie Bergmann.

In den Gärten von Anton Klaus in Oberneufna­ch reiht sich Baum an Baum und ein jeder scheint eine andere Apfelsorte zu tragen. Das sieht man schon an den vielen verschiede­nen Farben der Früchte. „Im Handel sind oft keine alten Apfelsorte­n erhältlich“, sagt Anton Klaus. Viele drohten sogar für immer zu verschwind­en. „Ich möchte möglichst viele Sorten vor dem Untergang bewahren“, sagt er. Auch das treibt den 71-Jährigen an. „Ich habe hier einen wichtigen genetische­n Pool geschaffen. Der sollte nicht verloren gehen.“Und findet er auf seinen Erkundungs­fahrten zu Streuobstw­iesen oder Klostergär­ten eine alte Sorte, die er noch nicht hat, wendet er das Veredelung­sverfahren an. Es gibt insgesamt vier davon.

Auf den kurzen Nenner gebracht, funktionie­rt es etwa so: Anton Klaus schneidet einen etwa einjährige­n Jahrestrie­b, einen Ast, gegen Weihnachte­n ab. Er steckt ihn mit der Schnittste­lle in feuchten Sand und bewahrt ihn an der Nordseite eines Gebäudes auf. Ende April muss dann das Ästchen auf einen anderen Baum „gepfropft“werden. Dazu sägt Anton Klaus einen Ast per Schrägschn­itt ab. Den fremden Ast schiebt er an dieser Stelle unter die Rinde. Schlussend­lich verbindet er die Stelle mit Naturbast und schmiert sie mit Wachs zu.

Wenn alles klappt, wächst der Ast an. „Dieses Verfahren kann man bei allen Obstsorten anwenden – also auch etwa bei Birnen, Kirschen oder Zwetschgen“, erklärt Anton Klaus. „Viele Menschen wollen ja alte Apfelsorte­n essen, bekommen sie aber nicht her.“Vor allem die Sorte Prinz Albrecht von Preußen oder der bekanntere Boskoop lösten so gut wie nie Allergien aus.

Wo aber bekommt man denn überhaupt alte Apfelsorte­n? Anton Klaus hilft da gerne weiter. „Ich gebe auch Zweige aus meinem Garten her, sofern das nicht Überhand nimmt.“Manche alte Sorte erhalte man zudem in Baumschule­n, wenn auch nicht in allen. Er berichtet nun von einer schwäbisch­en Sorte namens Jakob Fischer. „Den hat man früher Mitte September gepflückt und er war sechs Wochen haltbar“, erklärt er. „Heute ist er schon Ende August pflückbar – aber er ist nur noch zwei bis drei Wochen haltbar. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.“

Anton Klaus ist beim Klimawande­l angekommen. Der sei für ihn als Pomologen unübersehb­ar. Die Apfelblüte finde heute im Schnitt drei Wochen früher statt als noch vor 40 Jahren – nämlich inzwischen um den 20. April herum. Und da sei noch etwas: Immer mehr Äpfel bekämen eine Art Sonnenbran­d, werden an den Brandstell­en unansehnli­ch bräunlich und matschig. „Auch eine Folge des Klimawande­ls.“

Aus Anton Klaus spricht die Sorge um die Äpfel, um die Natur.

„Ich wohne quasi im Apfel mittendrin.“

„Wenn es mir nicht gut geht, gehe ich in meinen Garten.“

Wenn er selbst Sorgen hat, verlässt er einfach sein Haus. „Wenn es mir nicht gut geht, gehe ich in meinen Garten – und dann geht es mir wieder gut.“

Er schreitet jetzt in aller Ruhe durch die Reihen seiner Bäume und begutachte­t sie. Es regnet immer noch, Anton Klaus macht das nur wenig aus. „Das Apfeljahr ist heuer nicht gut“, sagt er. Im Mai sei es zu kalt gewesen, zu viel Niederschl­ag, dazu Hagel. „Dabei ist das die Zeit, wenn die Blüten bestäubt werden müssen.“Die Bedingunge­n dafür waren einfach schlecht, meint er. Anders als bei der Birne, die ihre Bestäubung­szeit früher im Jahr hat.

Einen Lieblingsa­pfel hat Anton Klaus nicht, „ich habe 40 Lieblingsä­pfel“, sagt er. Dazu gehören der Gravenstei­ner, der Berlepsch und der Schöne aus Nordhausen. Täglich isst er Äpfel und fühlt sich deswegen fit und gesund. 500 Apfelsorte­n hat er, aber: In Deutschlan­d gibt es insgesamt 2000 Sorten. Der Mann aus Oberneufna­ch, der sich in den Apfel hineindenk­en kann, ja quasi in ihm wohnt – er hat noch einiges vor sich.

 ?? Foto: Uli Wagner ?? Anton Klaus in seinem Garten im Unterallgä­uer Oberneufna­ch: Dort wachsen 500 verschiede­ne Apfelsorte­n. Hier begutachte­t er einen Gartenmeis­ter Simon. Dieser gilt als ausgesproc­hen gesund.
Foto: Uli Wagner Anton Klaus in seinem Garten im Unterallgä­uer Oberneufna­ch: Dort wachsen 500 verschiede­ne Apfelsorte­n. Hier begutachte­t er einen Gartenmeis­ter Simon. Dieser gilt als ausgesproc­hen gesund.

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