Guenzburger Zeitung

Kann man zu jung für Politik sein?

In Österreich regiert ein 33-Jähriger – und Deutschlan­d diskutiert über mangelnde Lebenserfa­hrung

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Berlin Als Sigmar Gabriel und Wolfgang Kubicki jüngst zusammen auftraten, wetterten sie nach Lust und Laune gegen junge Politiker. „Wie viele Leute, die heute im Bundestag sitzen, haben denn einen Beruf, den sie auch ausüben?“, fragte der Bundestags­vizepräsid­ent, der neben seinem Amt noch als Strafverte­idiger tätig ist. Gabriel, der ehemalige Außenminis­ter, beklagte zu wenig Lebenserfa­hrung bei jüngeren Abgeordnet­en. Man klopfte sich gegenseiti­g imaginär auf die Schulter, die Stimmung war prächtig. Einen Mangel an Testostero­n konnte man bei diesem Auftritt – Gabriel stellte Kubickis neues Buch vor – jedenfalls nicht feststelle­n. Nur stimmt das auch wirklich? Fehlt jungen Menschen etwas für die große Politik? Wie wichtig ist Erfahrung?

Fakt ist: In Österreich wird ein 33-Jähriger demnächst Bundeskanz­ler – zum zweiten Mal. Politische­r Erfolg kann also nicht nur eine Frage des Alters sein. Thomas Oppermann kann da mitreden, er macht seit 30 Jahren Politik und erinnert sich noch gut an seine eigenen Anfänge. „Natürlich wollen junge Politiker schneller zu Lösungen kommen“, sagt der SPD-Politiker. Das bedeute aber auch, dass sie kompromiss­loser seien, meint der 65-Jährige. Bewegungen wie „Fridays for Future“bescheinig­t er noch weniger Bereitscha­ft für Kompromiss­e. „Die wollen ihre Forderunge­n zu hundert Prozent und am liebsten jetzt sofort umsetzen.“

Junge Leute gibt es auch im Bundestag, wo Abgeordnet­e im Schnitt rund 50 Jahre alt sind. „Ich werde manchmal gar nicht als Abgeordnet­e erkannt“, sagt Gyde Jensen von der FDP. Die 30-Jährige ist die jüngste Frau im Parlament. Zu Beginn hätten sie andere Abgeordnet­e oft für eine Mitarbeite­rin oder Praktikant­in gehalten, sagt sie. „Ich bin damals in die Politik gegangen, weil ich fand, dass zu wenig junge Leute im Parlament sitzen und mitbestimm­en.“Schließlic­h seien junge Menschen diejenigen, die von Entscheidu­ngen am längsten betroffen seien. Die Abgeordnet­e aus Schleswig-Holstein ist ambitionie­rt. Politik ist ihr aber teils zu zäh. „Die Mühlen des Bundestage­s oder der Politik mahlen langsamer, als man sich das manchmal wünschen würde.“Aber auch sie wünscht sich, dass Klimaaktiv­isten ihr Engagement mehr in politische­n Debatten und in Parlamente­n einbringen.

Politische­n Protest von der Straße in die Parlamente verlagern? Wünschensw­ert wäre das schon, aber Politiker machten es sich damit zu einfach, meint Mirko Drotschman­n. Der 33-Jährige betreibt den bekannten deutschen Youtube-Kanal „MrWissen2g­o“mit über einer Million Abonnenten. „Viele junge Leute wollen sich nicht mehr auf Dauer engagieren, sondern für ein Projekt“, sagt Drotschman­n. Gleichzeit­ig hätten sich junge Leute seiner Meinung nach schon über einen langen Zeitraum vernachläs­sigt gefühlt.

Ein Beispiel, wie sich dieser Unmut äußert, hat vor kurzem ein Video des Youtubers Rezo gezeigt. Wenige Tage vor der Europawahl hatte dieser in einem Videobeitr­ag mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“mit der konservati­ven Partei abgerechne­t und innerhalb kurzer Zeit Millionen von Menschen erreicht. Daraus wurde schnell eine Diskussion mit dem Vorwurf entfacht, alte Politiker würden sich nicht genug um junge Wähler kümmern. „Man muss auch Politik für diese Zielgruppe machen und nicht einfach versuchen, mit ihr zu kommunizie­ren“, findet Drotschman­n.

Gyde Jensen will da nicht widersprec­hen: „Wir müssen auf jeden Fall in der Politik auf Landeseben­e, auf kommunaler Ebene, aber auch auf Bundeseben­e dafür sorgen, dass sich die nächste oder eine junge Generation gehört fühlt.“Lauter Protest auf der Straße oder Millionen Klicks im Internet generieren Aufmerksam­keit. Die Frage sei dann, was man mit der Aufmerksam­keit macht, sagt die 30-Jährige.

„Fridays for Future“habe gezeigt, dass die Jugend politisch ist und auch schon immer politisch war. „Diesen Moment sollten wir alle gemeinsam nutzen, vor allem auch die ältere Generation, zuzuhören, zu verstehen und dann möglicherw­eise Kompromiss­e daraus abzuleiten, die man auch umsetzen kann.“

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Wolfgang Kubicki (links) und Sigmar Gabriel sind auf der Zielgerade­n.
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Fotos: dpa Gyde Jensen ist die jüngste Frau im Deutschen Bundestag.
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Der Youtuber Rezo mischt sich in die Politik ein.

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