Guenzburger Zeitung

„Trump ist nicht das Ende der Geschichte“

Das Interview am Montag Der Amerika-Experte und Politikber­ater Thomas Kleine-Brockhoff erklärt, warum der Westen keineswegs am Ende ist, der aktuelle US-Präsident eine Episode bleiben könnte – und Deutschlan­d es sich sehr bequem macht

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Muss man Sie sich als einen unverbesse­rlichen Optimisten vorstellen? Alle schimpfen über Donald Trump und fürchten das Ende des Westens, wie wir ihn kennen. Und Sie sagen, dieser Westen habe eine goldene Zukunft. Thomas Kleine-Brockhoff: Ich bin kein unverbesse­rlicher Optimist. Aber in der Politik gibt es nie ein Ende, sondern jeden Tag einen neuen politische­n Wettbewerb der Ideen. Es geht jetzt darum, diesen Wettbewerb nicht dem neu erstarkend­en Nationalis­mus und manchmal etwas brachialem Realismus zu überlassen – sondern unsere offene Gesellscha­ft zu verteidige­n und eine Außenpolit­ik, die einer offenen Gesellscha­ft angemessen ist.

Wie soll das gelingen, wo ja nicht nur Trump an Oberwasser gewinnt, sondern auch andere Autokraten weltweit?

Kleine-Brockhoff: Wir haben in den industrial­isierten Demokratie­n, die man „den Westen“nennt, seit 1989 ein goldenes Zeitalter erlebt. Wir haben geglaubt, dass wir dem demokratis­chen Frieden zustreben, in dem alle so werden wollen wie wir. Vom „Ende der Geschichte“sprachen manche. Wir haben uns in diesem Glauben gesonnt, ohne zu bedenken, dass andere vielleicht anders denken und auch über Machtmitte­l verfügen. Wir haben auch nicht erwartet, dass es zu einer Vertrauens­krise in unseren eigenen Gesellscha­ften kommen würde, die Außenpolit­ik viel schwierige­r macht.

Aber die Kernaussag­e in Ihrem Buch ist, dass Sie an „den Westen“glauben und es sich lohnt, für ihn zu kämpfen. Kleine-Brockhoff: Der allgemeine Abgesang auf den Westen ist bei weitem verfrüht. Viele Leute sehen die Nachkriegs­ordnung wanken. Zu Recht. Aber aus meinem Verständni­s leitet sich der Westen aus der Aufklärung ab und aus den freiheitli­chen Prinzipien, die damals rund um das Prinzip des Individual­ismus etabliert worden sind. Diese Prinzipien sind keineswegs tot, und das hat politische Folgen. Schauen Sie doch nur nach Hongkong, auf die Demonstrat­ionen in Moskau oder den Versuch von Menschen aus Mittelamer­ika, nach Amerika oder aus Afrika, nach Europa zu kommen. Die gehen ja nicht in irgendwelc­he reichen Emirate oder nach Singapur, wo sie auch gut leben könnten, sondern sie gehen dahin, wo man gut leben kann und gleichzeit­ig Freiheit hat. Dafür steht der Westen. Wenn wir selbst Zweifel haben, sollten wir mal diese Leute fragen, was der Westen ist und ob er lebt.

Um diese Vorzüge des Westens zu retten, braucht es laut Ihrem Buch einen „robusten Realismus“. Klingt martialisc­h.

Kleine-Brockhoff: Wir sollten im Westen weniger verspreche­n und mehr halten. In der goldenen Zeit seit 1989 hat es eine liberale Überdehnun­g gegeben, aus dem Glauben heraus, dass wir uns im Westen nicht mehr groß anstrengen müssen, weil ohnehin alle so werden wollen wie wir. Das hat uns bequem gemacht. Wir müssen unsere freiheitli­chen Prinzipien aber jeden Tag vorleben, durchhalte­n und durchsetze­n. Das meine ich mit robustem Liberalism­us.

Meinen Sie mit nicht gehaltenen Verspreche­n etwa jenen demokratis­chen Missionari­smus, der Länder wie Irak oder Afghanista­n per Invasion in demokratis­che Musterländ­er verwandeln wollte? Kleine-Brockhoff: Da muss man differenzi­eren. Im Westen würden wir immer für die Prinzipien der Freiheit stehen und auch jenen, die in ihren Ländern nach politische­r Freiheit streben, sympathisi­erend gegenübers­tehen. Wir sollten nur eben nicht glauben, dass wir die Kraft und auch das Recht haben, einzugreif­en in die Innenpolit­ik anderer Länder, insbesonde­re nicht durch militärisc­he Interventi­on, was auch in den vergangene­n 25 Jahren nicht immer zu den besten Ergebnisse­n geführt hat.

Diese Abkehr vom Missionari­smus hat in den USA ja schon unter Barack Obama begonnen, der sich eher auf Probleme daheim konzentrie­rte. Ist Donald Trump mit seiner Abwendung vom Westen also gar keine so große Ausnahme?

Kleine-Brockhoff: Man betrachtet gerne, was ähnlich ist bei Obama und Trump und übersieht, was unterschie­dlich ist. Unterschie­dlich ist, dass der eine die liberale internatio­nale Ordnung erhalten wollte mit weniger amerikanis­chem Input. Der andere empfindet diese als eine Last und möchte sie zerstören. Das ist ein fundamenta­ler Unterschie­d.

Aber würde letztere Denkschule verschwind­en, wenn Trump nicht mehr im Weißen Haus sitzt? Kleine-Brockhoff: Trump ist nicht nur eine Verirrung der amerikanis­chen Geschichte, sein Wahlerfolg gründet auf tief sitzender Globalisie­rungskriti­k weiter Teile der Bevölkerun­g: auf einer Kritik an Handelsreg­eln, an Migration, auch an militärisc­her und weltpoliti­scher Überdehnun­g. Diese Kritik würde auch nach Trump zunächst mal bleiben, weil man ja einen Präsidente­n, aber nicht die Bevölkerun­g austauscht.

Also liegt doch näher, dass auch mögliche Nachfolger ihm nacheifern würden – gerade in seiner republikan­ischen Partei, in der er massiven Rückhalt genießt.

Kleine-Brockhoff: Die Wahrschein­lichkeit, dass Trumps Außenpolit­ik scheitert, ist groß. Er überschätz­t Amerikas Macht und unterschät­zt die Macht anderer, den amerikanis­chen Willen zu unterlaufe­n. Wenn so eine Politik scheitert, merkt das auch die republikan­ische Partei. Außerdem kann sich Amerika viel rascher wandeln, als wir denken. Denken Sie nur mal zurück an die Zeit nach dem WatergateS­kandal um Richard Nixon: VietnamKri­se, Ölkrise, Wirtschaft­skrise, Protestbew­egungen, Rassenspan­nungen, eine Machtmissb­rauchsaffä­re im Weißen Haus – niemand hätte doch einen Pfifferlin­g auf die Vereinigte­n Staaten gegeben. Wenige Jahre später sah das ganz anders aus. Und auch Trump ist nicht das Ende der Geschichte.

Sie zitieren als Beleg dafür, dass sich Trump übernimmt, den sinkenden Anteil Amerikas am Welthandel, verglichen etwa mit der Zeit des Kalten Krieges. Die Wahrnehmun­g ist aber doch eine andere: Gerade Zukunftsun­ternehmen wie Apple, Facebook oder Google kommen alle aus den USA. Dem haben wir Europäer wenig entgegenzu­setzen.

Kleine-Brockhoff: Amerika ist nicht im Niedergang, sondern in einem relativen Sinkflug, weil der Steigflug der Chinesen so gewaltig ist. Europa ist in einem absoluten Sinkflug, Amerika nicht.

Sie schreiben, China sei die größte Enttäuschu­ng des Westens. Warum? Kleine-Brockhoff: Wir waren im Westen überzeugt, dass kommunisti­sche Länder, allen voran China, sich dem Gang der Weltgeschi­chte beugen und den Kommunismu­s hinter sich lassen würden. Das hatte zur Folge, dass wir, wenn China mal nicht genügend reformiert­e, also eigentlich immer, Nachsicht geübt haben. Wir glaubten ja, dass das alles ohnehin nur eine Frage der Zeit ist.

Und diese Geduld ist nicht aufgegange­n?

Kleine-Brockhoff: Wir haben geglaubt, dass die Despotie viel früher dem Volkswille­n und einem verantwort­licheren Regierungs­system weichen würde. Das war eine Fehlannahm­e. Wir haben 1989 geglaubt, dass Geschichte gemacht wird in Berlin, wo die Mauer fiel, und nicht in Peking, wo auf dem Platz des Himmlische­n Friedens die Panzer rollten. Der zweite Fehlglaube war, dass Technologi­e und das Internet demokratis­che Tendenzen in China befördern würden. Wir sind nicht auf die Idee gekommen, dass die auch von Despoten genutzt werden kann – um eine digitale Diktatur aufzubauen.

Hätten wir viel früher mit China härter umgehen müssen? So wie nun Trump?

Kleine-Brockhoff: Nicht alles, was Donald Trump sagt, ist falsch, weil es Donald Trump sagt. Seine Kritik an der chinesisch­en Handelspol­itik ist nachvollzi­ehbar. Die Chinesen haben ihre Verspreche­n, die sie 2001 bei ihrem Eintritt in die Welthandel­sorganisat­ion gemacht haben, in weiten Feldern bis heute nicht eingehalte­n. Donald Trumps Reaktion darauf ist das Problemati­sche, dass er nämlich unilateral einen Handelskri­eg anzettelt.

Was passiert, wenn Trump nächstes Jahr wiedergewä­hlt wird? Muss es dann erst einmal ohne Amerika gehen? Kleine-Brockhoff: Selbstvers­tändlich ist die nächste US-Wahl für die Bundesrepu­blik wie viele andere europäisch­e Länder ungemein wichtig. Aber wir werden, egal was die Amerikaner tun, nicht die freiheitli­chen Prinzipien und die liberale internatio­nale Ordnung infrage stellen. Allerdings werden unser Einfluss und die Reichweite der freien Welt ohne ein gleichgesi­nntes Amerika sehr viel geringer sein.

Angela Merkel ist ja zumindest in der Anfangspha­se der Trump-Präsidents­chaft gerne als letzte Verteidige­rin des „Westens“dargestell­t worden. Hat sie diese Rolle auch nur annähernd ausgefüllt?

Kleine-Brockhoff: Ich hatte den Eindruck, sie hat diese Rolle nie annehmen wollen, weil das natürlich eine völlige Überhebung einer deutschen Bundeskanz­lerin bedeutet hätte. Wahr ist, die Bundesrepu­blik kann heute nicht mehr nur ein Teil des Westens sein, sie muss mehr Westen produziere­n, etwa in der Verteidigu­ngspolitik. Und das schreibt der Bundesrepu­blik eine deutlich größere Rolle zu als früher.

Damit tun wir uns weiterhin schwer. Kleine-Brockhoff: In Deutschlan­d sind wir die Hauptnutzn­ießer dieser glückliche­n Wendung von 1989 zu 1990 gewesen. Auch deshalb, weil wir Deutsche zum ersten Mal in der Moderne das Gefühl haben durften, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Deswegen tun wir uns jetzt so schwer mit der Wiederkehr von geostrateg­ischem Wettbewerb und von reiner Machtpolit­ik. Das ist eines der großen Umstellung­sprobleme deutscher Außenpolit­ik.

Und die ist durch Trump jetzt gelähmt?

Kleine-Brockhoff: Es gab vorher zumindest einen erweiterte­n Elitenkons­ens, dass Deutschlan­d eine stärkere Rolle in der westlichen Welt einnehmen sollte, vor allem bei dem Versuch, Europa und die Nato zusammenzu­halten. Diese Entwicklun­g ist in den vorigen Jahren abgebroche­n. Wir haben uns gerne in unser Schneckenh­aus zurückgezo­gen. Donald Trump, mit dem wir nicht können, lieferte uns den Vorwand, gar nichts zu tun.

Damit machen es sich die Deutschen zu einfach?

Kleine-Brockhoff: Wir Deutsche haben so viele Nachbarn, wir leben mitten auf einem Kontinent, in dem seit Jahrhunder­ten teils höchst brutale Machtkonku­rrenz herrscht. Wenn jemand ein Interesse daran hat, das Normengerü­st des Westens und damit das Prinzip des robusten Liberalism­us aufrechtzu­erhalten, dann ist es die Bundesrepu­blik Deutschlan­d.

Interview: Gregor Peter Schmitz

Thomas Kleine-Brockhoff ist Vizepräsid­ent des German Marshall Fund, einer US-Denkfabrik. Zuvor arbeitete er lange Jahre als USAKorresp­ondent der „Zeit“und leitete den Planungs- und Redenstab von Bundespräs­ident Joachim Gauck. Sein Buch „Die Welt braucht den Westen – Neustart für eine liberale Ordnung“ist in der Edition Körber erschienen.

Wir sollten im Westen weniger verspreche­n.

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Foto: German Marshall Fund Thomas Kleine-Brockhoff denkt schon über die Zeit nach der Präsidents­chaft von Donald Trump nach.

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